Trotz Bedenken in der SPD und offener Kritik von Medizinerinnen, Polizeivertretern und Elternverbänden hat der Bundestag das Gesetz zur Freigabe von Cannabis an diesem Freitag verabschiedet. Demnach ist ab 1. April 2024 der Besitz von 25 Gramm Cannabis zum eigenen Konsum für alle ab 18 Jahren künftig straffrei. In der Wohnung dürfen 50 Gramm aufbewahrt werden. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will zudem den Schwarzmarkt eindämmen. Anbau und Abgabe der Droge sollen ab Juli im Rahmen von Vereinen, so genannten Cannabis-Clubs, möglich werden. Der private Anbau von bis zu drei Pflanzen soll erlaubt sein.
Der Düsseldorfer Ökonomieprofessor Justus Haucap (54) befürwortet die Legalisierung. Der frühere Chef der Monopolkommission und Wettbewerbsexperte rechnet nicht mit einem Ende des Schwarzmarktes und zu Beginn sogar mit einem Haschisch-Boom.
WirtschaftsWoche: Herr Haucap, was kostet aktuell ein Gramm Hasch auf dem Schwarzmarkt einer deutschen Großstadt?
Justus Haucap: Im Durchschnitt sind es wohl zehn Euro pro Gramm. Es kommt auf die Art und die Qualität des Stoffes an. In NRW ist es tendenziell billiger durch die Nähe zu den Niederlanden.
Hat die geplante Legalisierung schon Auswirkung auf den Preis?
Davon kann man nicht viel sehen. Die Preise werden nicht vom Statistischen Bundesamt erhoben. Aber in einschlägigen Internetforen ist von einem Schlussverkauf noch nichts zu merken.
Warum sind Sie als Ökonom für eine Freigabe der Droge Cannabis?
Das ist eine Abwägung. Ich gehe davon aus, dass die Legalisierung gesundheitlich Vorteile hat. Die Erfahrungen im Ausland zeigen, dass es nicht unbedingt mehr problematischen Konsum mit hohen Mengen gibt. Und die Qualität des Cannabis wird eher besser. Derzeit muss man davon ausgehen, dass immer wieder schädliche Stoffe beigemischt werden. In den nun geplanten Anbauclubs werden die Mitglieder sich gegenseitig keinen verunreinigten Stoff unterjubeln. Auch beim privaten Eigenanbau ist die Qualität nachprüfbar.
Was ist mit den Jugendlichen?
Ich bin optimistisch, dass der Jugendschutz sogar besser wird. Die Anbauvereine werden nichts an Jugendliche unter 18 weiterreichen, sonst steht ihre Existenz auf dem Spiel. Für Minderjährige wird es also nicht einfacher, an den Stoff zu gelangen. Der illegale Straßenhandel wird zurückgehen, weil Erwachsene wegbleiben.
Das Gesetz will auch den Schwarzmarkt unterbinden. Doch Gelegenheitskiffer, wahrscheinlich die größte Gruppe, haben keine andere Anlaufstelle. Stoff gibt's nur im Eigenanbau zu Hause oder dann in den Cannabisclubs. Ist ein Ende des illegalen Handels Illusion?
Der Schwarzmarkt wird nicht völlig verschwinden. Die Gelegenheitskiffer werden tatsächlich nicht konkret bedacht. Das ist ein Manko des Gesetzes. Die Vereine mit sehr begrenzter Mitgliederzahl werden eher die aufnehmen, die mehr abnehmen. Die anderen bedeuten zu großen Aufwand und nur geringe Abnahmemengen. Und nur wenige wollen wohl zu Hause eigene Pflanzen ziehen.
Geschichte der Drogen: Raketentreibstoff und Panzerschokolade
Alexander von Humboldt bereist Lateinamerika und berichtet, wie Einheimische die Blätter der Kokapflanze konsumieren. Das zügelt ihren Appetit, und die harte Feldarbeit fällt ihnen leichter.
In Göttingen gelingt es dem Apotheker und Chemiker Albert Niemann, die aktiven Komponenten des Koka-Strauches zu isolieren. Er gibt dem Stoff den Namen Kokain. Weil er euphorisiert und betäubt, wird er zunächst bei Patienten mit Depressionen und bei Operationen eingesetzt.
1883 mischt der bayrische Militärarzt Theodor Aschenbrand seinen Soldaten Kokain ins Essen. Mit beeindruckendem Ergebnis: Selbst sehr erschöpfte und verwundete Soldaten fangen wieder an zu kämpfen.
Ein neues Mittel gegen Kopfschmerzen, Hysterie, Melancholie und Müdigkeit kommt auf den Markt: Coca-Cola. Sein Erfinder John Stith Pemberton bewirbt die Medizin als „Brain Tonic“ – zu Deutsch: Hirntrunk. Zeitweise soll ein Liter etwa 250 Milligramm Kokain enthalten haben.
Am 17. Dezember 1914 gibt es schärfere Gesetze in den USA: Der Missbrauch von Kokain wird unter Strafe gestellt. Der Stoff verschwindet aus Coca-Cola und wird durch Koffein ersetzt.
Während es mit der Wirtschaft bergab geht, hat der Kokainkonsum in Deutschland Hochkonjunktur. Hier wird er erst um 1930 verboten.
Knapp 40 Jahre, nachdem Amphetamin erstmals künstlich hergestellt wurde, testet der US-Chemiker Gordon Alles im Selbstversuch, wie der Stoff wirkt: stimulierend und euphorisierend.
1932 bringen US-Pharmafirmen ein Amphetamin-Präparat auf den Markt: Benzedrine soll Krampfanfälle von Asthmatikern lindern. Kurz darauf wird es auch gegen 40 weitere Krankheiten eingesetzt, zum Beispiel Allergien und Erkältungen.
Studenten der Universität Minnesota bemerken in einem Forschungsprojekt, dass Amphetamin Müdigkeit vertreibt, und sie benutzen es, um nächtelang zu lernen.
Benzedrine gibt es jetzt auch als Tablette. Und es wird bald ein Kassenschlager: Wer sich damit aufputscht, kann rund um die Uhr arbeiten.
1938 wird in Deutschland das Mittel Pervitin zugelassen und massiv beworben. In ihm steckt der Wirkstoff Methamphetamin, das noch stärker stimuliert als Amphetamin. Eine kleine Dosis der „Wunderdroge“ genügt, um 24 Stunden am Stück wach bleiben zu können.
Deutsche Soldaten fallen in Polen ein. Viele von ihnen stehen unter Drogen. Millionen Einheiten Pervitin – auch bezeichnet als „Panzerschokolade“ oder „Hermann-Göring-Pillen“ – halten die Wehrmacht und die Arbeiter in der Rüstungsindustrie wach und fit. Der Stoff nimmt den Soldaten Todesangst, Durst und Hungergefühl, steigert ihre Aggressivität und Leistungsbereitschaft.
Angesichts hoher Nebenwirkungen erkennt der „Reichsgesundheitsführer“ der Nazis im Jahr 1941 die „Pervitingefahr“. Das Mittel wird verschreibungspflichtig.
Im Zweiten Weltkrieg ziehen auch britische, amerikanische und japanische Soldaten mit Millionen von Amphetamin-Tabletten in den Krieg. Der Stoff versetzt sie in den sogenannten „Fight, Fright, Flight“-Zustand: Der Körper konzentriert sich auf „Kämpfen, Fürchten, Flüchten“ und das pure Überleben. Alle anderen Bedürfnisse werden abgeschaltet.
Der Chemiker Leandro Panizzon synthetisiert Methylphenidat – ein künstlicher und anregender Stoff, der Amphetamin ähnelt. Nach Jahrzehnten im Schattendasein wird es als Ritalin seinen Siegeszug antreten. Namensgeberin ist übrigens Marguerite Panizzon, die Ehefrau des Forschers: Sie nimmt das Mittel vor dem Tennisspielen und spielt gleich viel besser.
Auch wenn 1945 der Zweite Weltkrieg endet, geht der Konsum von Aufputschmitteln weiter: Lastwagenfahrer, Lohnschreiber und Studenten setzen auf die stimulierende und Schlaf verhindernde Wirkung von Amphetamin.
Die USA und 15 andere Nationen intervenieren im Koreakrieg. US-Soldaten injizieren sich „Speedballs“: Cocktails aus Heroin und Amphetamin, das sie „Splash“ nennen.
Der österreichische Bergsteiger Hermann Buhl erklimmt im Himalaya den Nanga Parbat (8125 Meter) – auch dank Pervitin.
In Bern gewinnt die deutsche Nationalelf die Fußball-WM. Ihr Mannschaftsarzt wird später verdächtigt, den Spielern den „Raketentreibstoff“ Pervitin eingeflößt zu haben.
Ritalin ist jetzt auch in Deutschland zu haben: Wer schnell müde wird oder deprimiert ist, soll es nehmen, empfiehlt die Werbung – außerdem all jene, die nach einer schlaflosen Nacht am nächsten Tag Vollgas geben müssen.
Die USA bombardieren Ziele in Nordvietnam. In den folgenden Jahren werden an die US-Militärs in Indochina über 200 Millionen Einheiten Amphetamine verteilt.
Hippies in den USA berauschen sich an der „Liebesdroge“ MDMA – einem Amphetaminabkömmling, der später als Ecstasy bekannt wird.
In den USA werden die Gesetze verschärft: Wer Amphetamin ohne Genehmigung herstellt, besitzt oder damit handelt, macht sich strafbar. Präsident Richard Nixon erklärt dem „Staatsfeind Nummer eins“ den Krieg: Der „War on Drugs“ beginnt.
1971 löst in Deutschland das Betäubungsmittelgesetz das Opiumgesetz von 1929 ab. Die ungenehmigte Produktion von und der Handel mit Amphetaminen werden erst 1981 strafbar.
In den USA mehren sich die Fälle von heftigem Methamphetamin-Missbrauch: Der Konsum von „Crystal“ oder „Meth“ steigt bis heute immer weiter an. Der Stoff macht enorm abhängig, stürzt die Konsumenten in einen orgiastischen Rausch und ruiniert ihr Leben in kürzester Zeit.
Der Amphetaminabkömmling MDMA darf in den USA nicht mehr benutzt werden – dennoch hat er als Partydroge Ecstasy eine steile Karriere vor sich. Wer sie nimmt, kann zwar nicht besser arbeiten, aber besser feiern.
Während Methamphetamin in den USA um sich greift, wird das baugleiche Pervitin aus den Regalen der deutschen Apotheken verbannt. Ritalin, das lange frei verkäuflich war, darf nur noch in geringen Mengen abgegeben werden.
Vier Wochen nach den Anschlägen auf das World Trade Center beginnt in Afghanistan die Operation „Enduring Freedom“. In dem jahrelangen Einsatz schlucken viele Soldaten Antidepressiva wie Prozac. Schon länger nehmen Piloten der US-Air-Force vor Kampfeinsätzen „go pills“ – kleine Dosen Amphetamin.
Also ändert sich für viele fast nichts?
Der Rest der vier bis fünf Millionen Menschen im Land wird weiter den klassischen Schwarzmarkt aufsuchen. Oder sie kaufen von Bekannten und Freunden unter der Hand, die in einem Club sind oder privat anbauen. Das lässt sich nicht wirklich überprüfen. Das ist so wie der 18-Jährige, der heute eine Flasche Wodka kauft, und die dann an seinen 17-jährigen Kumpel weitergibt. Das wird sich nicht vermeiden lassen. Es ist aber etwas anderes als der Dealer, hinter dem organisierte Kriminalität steht.
Die organisierte Kriminalität hinter Cannabis nimmt ab? Die Niederlande zeigen das Gegenteil ...
In den Niederlanden ist das Modell leider so, dass der Anbau und der Großhandel weiter illegal sind. Nur der Einzelhandel wurde toleriert. Da züchtet man sich illegale Strukturen heran. Das ist bei uns besser gelöst. Bei uns wird der Anbau erlaubt. Die Menschen werden eher in einem Club kaufen oder beim Nachbarn – auch wenn es nicht erlaubt ist. Das ist vertrauenswürdiger als der Dealer.
Wird der Konsum zunehmen?
Es ist erstmal ein Boom zu erwarten. Viele Menschen könnten sagen: Jetzt wo es erlaubt ist und sicherer, probiere ich es aus. Schwierig wird es, wenn die mehr zu sich nehmen, für die es problematisch ist. Das gilt für die Gruppe mit hohem Verbrauch und für die Jugendlichen. In Kanada und den USA sind die Zahlen nicht eindeutig, ob Jugendliche mehr nehmen.
Ich kann nicht sagen, ob es bei den jungen Menschen mehr wird, wenn es leichter zugänglich oder sogar weniger spannend wirkt, weil es erlaubt ist. Da braucht es eine gute Evaluation. Ich bin allerdings skeptisch, ob dazu belastbare Untersuchungen in Auftrag gegeben werden.
Was kostet ein Gramm Hasch künftig in Deutschland?
Ich vermute, dass es eher günstiger wird als heute. Die Clubs haben gewissen Aufwand mit der Ware, die sie abgeben. Aber sie haben kein Risiko mehr wie Dealer heute mit illegaler Ware.
Sie selbst haben mal veranschlagt, dass der Staat knapp fünf Milliarden Euro Einnahmen bekäme, würde der Verkauf von Cannabis unter strengen Auflagen legalisiert. Diesen kontrollierten Verkauf gibt es nun ja nicht. Was bedeutet das?
Unsere Idee war, die legalisierte Droge zu besteuern, die ja eher günstiger wird: Cannabissteuer, dann Körperschafts-, Gewerbe- und Umsatzsteuer sowie Sozialbeiträge und Lohnsteuer durch den Verkauf. Zieht man dann eingesparte Kosten der Strafverfolgung und der Justiz ab, ergibt sich ein positiver fiskalischer Effekt von jährlich gut 4,7 Milliarden Euro. Aber diesen Weg hat die Bundesregierung nicht gewählt.
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Und die gesundheitlichen Kosten bei höherem Konsum?
Die entstehen nur, wenn der problematische Konsum zunimmt. Das muss beobachtet werden. Es könnte auch positive Effekte geben: Bei illegalem Stoff werden manchmal giftige Stoffe wie Blei beigemischt. Das dürfte abnehmen. Und einige Menschen werden bereit sein, sich bei gesundheitlichen Problemen früher helfen zu lassen. Heute müssen sie eingestehen, etwas Verbotenes getan zu haben.
Was ist schlecht am Gesetz?
Es ist unglaublich bürokratisch und viele Regeln ergeben gar keinen Sinn. Alles zu kontrollieren ist enorm aufwändig: Clubs dürfen nur 500 Mitglieder haben, dann bleiben sie aber eher unprofessionell. Der Eigenanbau zuhause ist schwer zu überprüfen. Die Abstandsregeln zu Schulen oder Jugendeinrichtungen sind reine Symbolpolitik. Mir tun die Polizisten jetzt schon leid, die nachmessen müssen, ob jemand 80 oder 100 Meter vom Spielplatz entfernt steht.
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