Es war ein anderer Friedrich Merz, der zum Auftakt des CDU-Parteitages in Berlin zu den 1001 Delegierten sprach. Wenig Schärfe, viel Nachdenken, kaum Bierzelt, mehr Politikseminar. Der Angreifer Merz wurde zum Sinnstifter, zum Motivationstrainer seiner durchgeschüttelten Partei.
Über 75 Minuten redete der Vorsitzende ungewohnt nachdenklich über die Grundlagen und Verdienste der CDU, aber sehr offen auch über die Fehler der letzten Jahre, über Entwicklungen, die man nicht noch einmal zulassen könne – etwa die Unterschätzung des Rechtsradikalismus und des russischen Imperialismus oder die Vernachlässigung der Bundeswehr.
Es ging in seiner programmatischen Rede viel um Werte, um Haltungen, um Freiheit als Grundlage für den Frieden. Dem Versuch der SPD, sich als Friedenspartei „gegen Rechts“ und damit gegen die Union zu positionieren, setzte er den Satz entgegen, dass Frieden nicht allein durch Friedfertigkeit entstehe. Er erinnerte an lange umstrittene Richtungsentscheidungen wie die Westbindung, die Wiederbewaffnung und die Nachrüstung. Dabei stand die Union meistens gegen den Mainstream der Sorgenvollen und Ängstlichen, aber in der Nachschau doch auf der richtigen Seite der Geschichte.
Merz hat mit seinen sehr grundsätzlichen Worten versucht, das zerrüttete Fundament der CDU nicht gänzlich neu zu bauen, es aber immerhin zu sanieren und neu zu befestigen. Dazu gehörte ein Bekenntnis zum Sozialstaat, aber auch zur Eigenverantwortung sowie eine Garantie für die Industrie in einem künftig dekarbonisierten Deutschland. Den Staat will er zurückdrängen, Klimapolitik machen seiner Ansicht nach am besten Ingenieure, Unternehmer und Wissenschaftler und nicht die Grünen als „klimapolitische Geisterfahrer“.
Merz hat betont besonnen agiert und auf die bei Parteitagen üblichen rhetorischen Knallbonbons weitgehend liegen lassen. Laute Kritik an der Ampel ersetzt eben nicht eigene Konzepte, als Regierungspartei im Wartestand muss man schon neue Antworten geben. Darauf allerdings hat Merz weitgehend verzichtet. Wie niedrige Steuern, notwendige Investitionen, die ökologische Transformation und eine stärkere Bundeswehr finanziert werden sollen, hat Merz nicht gesagt. Auch auf Widersprüche innerhalb der CDU, etwa zum Umgang mit der Schuldenbremse, ging er nicht ein.
Kämpferisch war er vor allem mit Blick auf die AfD. Wenn es überhaupt noch Zweifel an der Stabilität der Brandmauer gegen Rechtsaußen gab, dann hat er sie mit einem entschlossenen Angriff gegen die AfD zerstreut. Er bläst zum Angriff gegen die Rechtsradikalen und der CDU-Parteitag belohnte diese Entschlossenheit mit stürmischem Applaus. Etwas mehr Offensive hätte allerdings auch nicht geschadet. Wie weit er diese Aufbruchstimmung und neue Entschlossenheit durch das Wahljahr 2024 tragen kann, wird sich zeigen. Die Ergebnisse der Wahlen in Europa und den drei Ostländern entscheiden auch über die Bereitschaft der CDU, ihrem Vorsitzenden zu folgen. Dann kann er sich beim nächsten Parteitag vielleicht auch wieder über Ergebnisse von mehr als 90 Prozent freuen.
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