Coronavirus Jetzt zahlen deutsche Firmen den Preis für ihre China-Abhängigkeit

Coronavirus: Jetzt zahlen deutsche Firmen den Preis für ihre China-Abhängigkeit Quelle: REUTERS

Erstmals seit Ausbruch des Coronavirus liegt ein Stimmungsbild über die Auswirkungen für ausländische Unternehmen in China vor. Die Ergebnisse sind alarmierend.

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Philipp Senff ist derzeit ein gefragter Mann. Der deutsche Anwalt arbeitet seit 2007 in Shanghai, spezialisiert auf Risiko- und Krisenmanagement. Und ein erfahrener Krisenmanager ist genau das, was viele deutsche und europäische Firmen in diesen Tagen brauchen. Denn einer ähnlich schwer zu kalkulierenden Situation war ein Großteil von ihnen in China noch nie ausgesetzt. „Das Coronavirus ist für viele Unternehmen ein unvorhergesehener Stresstest“, berichtet Senff, der für die Wirtschaftsanwaltskanzlei CMS arbeitet.

Nicht die Lungenkrankheit Covid-19 ist die eigentliche Bedrohung für das Geschäft, sondern die strengen Maßnahmen, die China ergriffen hat, um das Virus einzudämmen. Seit gut einem Monat steht die zweitgrößte Volkswirtschaft still. Nur ganz langsam kehrt das Land zur Arbeit zurück. Wie gravierend die Auswirkungen schon jetzt sind, zeigen nun erstmals veröffentlichte Umfragen unter ausländischen Firmen.

Zur gemeinsamen Pressekonferenz der Deutschen- und der EU-Handelskammer werden Journalisten am Donnerstag nicht wie sonst üblich zur Pressekonferenz in ein Pekinger Hotel gebeten. In Viruszeiten muss eine Video-Schalte reichen, um das trübe Stimmungsbild zu verbreiten.

Fast 90 Prozent der befragten Firmen berichten von „mittleren bis hohen Auswirkungen“ durch die Regierungsmaßnahmen. Jedes zweite Unternehmen plant, das Geschäftsziel für dieses Jahr zu senken. Auch prognostiziert fast die Hälfte der Befragten einen zweiteiligen Umsatzrückgang. Ein Viertel geht sogar von einem Rückgang von über 20 Prozent aus.

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Fast zeitgleich mit den europäischen Firmen veröffentlicht auch die AmCham, die Vertretung von US-Firmen in China, die Ergebnisse einer Mitgliederbefragung. Bereits zehn Prozent der befragten US-Firmen verlieren demnach derzeit etwa eine halbe Million Yuan (etwa 65.000 Euro) pro Tag. Fast die Hälfte der US-Firmen geht davon aus, dass ihre Einnahmen in China im Jahr 2020 sinken werden, wenn das Geschäft nicht vor dem 30. April wieder normalisiert werden kann. Fast 25 Prozent sagen, dass die Einnahmen im Jahr 2020 um mehr als 50 Prozent sinken werden, wenn sich die Virusepidemie bis zum 30. August erstreckt.

Zu den größten Herausforderungen zählen aus Sicht der deutschen und europäischen Firmen derzeit die stark restriktiven Quarantäneanforderungen. Auch sieht sich die Hälfte der Befragten mit inkonsistenten Regeln konfrontiert, die in verschiedenen Gerichtsbarkeiten und Provinzen gelten und sich häufig ändern können.

Von einem „Flickenteppich widersprüchlicher Regeln“, der es derzeit nahezu unmöglich mache, Waren oder Menschen in China zu bewegen, spricht Jörg Wuttke, Präsident der EU-Handelskammer. Sein Kollege Stephan Wöllenstein, Vorsitzender der Deutschen Handelskammer, sieht China in einem „prekären Spagat“. Das Land müsse an Maßnahmen zur Virusprävention festalten, während es für die Rückkehr zur wirtschaftlichen Normalität kämpfe. Vor allem kleinen und mittelgroßen Unternehmen müsse die Regierung nun unter die Arme greifen bis sich die Geschäftstätigkeit normalisiert.

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Anwalt Senff sieht vor allem die Störung der Lieferketten als „zentrale Herausforderung“ für Unternehmen. Nachdem bereits vor Wochen Produktionsstopps verhängt wurden, seien noch immer zahlreiche Arbeiter nicht in die Fabriken zurückgekehrt. „Meine Mandanten sagen mir, dass dies in Shanghai noch zwei bis drei Wochen dauern wird“, sagt Senff. Zudem bestünde die Gefahr, dass einige Produkte nicht fertig gestellt werden können, da eigene Zulieferer ausgefallen sind oder nur verspätet liefern.

Senff sieht Unternehmen so derzeit nicht nur erheblichen finanziellen sondern auch rechtlichen Risiken ausgesetzt. „In rechtlicher Hinsicht bedeutet die Nichteinhaltung von Lieferzeiten, dass enttäuschte Kunden Schadensersatzansprüche geltend machen könnten“, warnt Senff.

Unternehmen in China sollten unbedingt sicherstellen, dass sie die Vorgaben und Regelungen zur Bekämpfung des Coronavirus tatsächlich einhalten. Die Nichtbefolgung könne „signifikante Haftungsrisiken“ auslösen – bis hin zum Entzug der Geschäftslizenz der betroffenen Gesellschaft in China und zu strafrechtlichen Folgen.

Laut Senff sei es durchaus denkbar, dass ausländische Firmen sich wegen der Corona-Krise vom chinesischen Markt verabschieden müssen oder sogar in existenzielle Nöte geraten: „Das Coronavirus wird für Unternehmen mit bestehender Schieflage im China-Geschäft zum Katalysator für die bereits bestehenden Probleme.“

Bei deutschen und europäischen Unternehmen macht sich eine unangenehme Erkenntnis breit: Der Handelskrieg zwischen Peking und Washington sei ein Weckruf für die „übermäßige Abhängigkeit“ von China gewesen, heißt es im gemeinsamen Bericht der Deutschen und Europäischen Handelskammer. Der Covid-19-Ausbruch haben nun die Notwendigkeit einer Diversifizierung der Lieferketten weiter verstärkt.

Eine Lehre, die aus der derzeitigen Krise deshalb gezogen werden muss: Wer bisher zu sehr auf China fokussiert war und sich nicht nach Märkten in anderen Teilen der Welt umgesehen hat, bekommt das nun umso schmerzhafter zu spüren.

Mehr zum Thema: Laut renommierten Virologen wird die Suche nach einem sicheren Impfstoff gegen das Coronavirus durch ein seltenes Phänomen massiv erschwert: Eine Impfung könnte sogar zu einem schwereren Krankheitsverlauf führen.

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