Debatte um deutsches Waffensystem Was macht die deutschen Taurus-Raketen so besonders?

Bundeskanzler Olaf Scholz will das Zwei-Prozent-Ziel der Nato auch in den nächsten Jahrzehnten weiterhin erreichen. Die Koalitionspartner sind sich jedoch nicht einig über den Weg dorthin. Quelle: dpa

Der Bundeskanzler will keine Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine liefern. Das stößt auf enorme Kritik aller politischen Lager. Warum kocht der Streit so hoch? Und stimmen die Kanzler-Argumente? Ein Überblick in fünf Antworten. 

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Nach monatelangen Debatten über eine Lieferung von Taurus-Raketen hat Bundeskanzler Scholz sein Schweigen gebrochen und den Waffensystemen eine klare Absage erteilt. Er hatte seine Weigerung mit dem Risiko einer Verwicklung Deutschlands in den Krieg begründet.

Was macht die Raketen so besonders – und stimmt das, was Scholz sagt? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

1. Was kann Taurus besser als andere Marschflugkörper?

Hinter der komplizierten Bezeichnung „Target Adaptive Unitary and Dispenser Robotic Ubiquity System“ (Taurus) steckt ein Luft-Boden-Marschflugkörper, der aus dem Flugzeug abgeworfen wird. 

Rund fünf Meter lang und einen Meter breit sind die kofferartigen Raketen in der Lage, nahe des Bodens feindliches Radar zu unterfliegen und dann in feindliche Bunkeranlagen einzuschlagen. Ein Höhenradar, Infrarotsensor und GPS-Navigation steuern selbstständig auf ihr Ziel zu. Dann schlägt Taurus mit einem 400 Kilogramm schweren Metallpenetrator voller Sprengstoff ein. Laut Bundeswehr ist der Marschflugkörper einer der modernsten der Welt und hat eine Reichweite von bis zu 500 Kilometern. Damit übersteigt Taurus die Reichweite anderer Systeme wie Scalp/Storm Shadow, die nur bis zu 250 Kilometer weit fliegen können. Letztere sind in der Ukraine bereits im Einsatz. 

2. Anzahl, Kosten, Entwicklung: Was ist die Geschichte des Taurus?

Das Konsortium Taurus Systems GmbH baut die Rakete. Dahinter steckt ein Gemeinschaftsunternehmen von MBDA Deutschland und der schwedischen Saab Dynamics AB. Einen ersten Testflug gab es bereits 1999 – nachdem unterschiedliche Versionen der Rakete stetig weiterentwickelt und letztendlich vereinheitlicht wurden, bestellte die Bundeswehr 2005 eine Stückzahl von 600 Flugkörpern zum Gesamtpreis von 570 Millionen Euro, über welche sie nun verfügt.

3. Welchen militärischen Vorteil könnte das System der Ukraine bringen?

Während US-amerikanische Raketen des Typs „Army Tactical Missile System“, kurz ATACMS, vor allem gegen Munitionslager geeignet sind, fehlt den bisher eingesetzten Artillerieraketen die Reichweite und Durchschlagskraft von Taurus. 

Die Ukraine möchte damit vor allem Versorgungswege, Brücken und Bunker weit hinter der Frontlinie angreifen. Möglich wäre auch ein gezielter Beschuss der Krim, wo die russische Schwarzmeerflotte ankert. Einen Angriff auf russisches Kerngebiet, so versichert Kiew, wolle man mit Taurus nicht einleiten. Es ginge darum, die Logistik der russischen Armee zu brechen und damit den eigenen Truppen dringend benötigte Entlastung zu bescheren.



4. Kann die Ukraine Taurus ohne deutsche Unterstützung nutzen?

„Die Ukraine könnte Taurus binnen weniger Monate einsetzen“, hieß es aus der Industrie bereits mehrfach in Gesprächen mit der WirtschaftsWoche. Die Plattform müsse lediglich an Kampfjets der ukrainischen Luftwaffe angepasst werden. Die Industrie versichert weiter, dass die Reichweite der Marschflugkörper technisch reduziert werden und auch die Ausbildung und Vorbereitung von ukrainischem Personal in Deutschland vorgenommen werden könne. 

Die Botschaft: Praktisch – und wohl auch juristisch – wäre eine Bereitstellung von Taurus nicht anders zu bewerten als etwa die Lieferung von Leopard-Panzern, bei denen die Ausbildung ebenfalls im Westen stattfindet.

Bestätigung kommt vom Rüstungsexperten Fabian Hoffmann von der Universität Oslo. Er argumentiert, die geografischen Daten für die Taurus-Zielsteuerung seien größtenteils öffentlich zugänglich. Es brauche deshalb im Einsatz keine Unterstützung durch die Bundeswehr selbst. Das Eskalationsrisiko nach einer Auslieferung hält er für „extrem gering“.

5. Stimmen die Argumente des Kanzlers gegen die Lieferung der Taurus-Marschflugkörper?

Olaf Scholz, so zeigt der aktuelle Streit um das System, sieht das anders. Sein Argument lautet: „Deutsche Soldaten dürfen an keiner Stelle und an keinem Ort mit den Zielen, die dieses System erreicht, verknüpft sein. Auch nicht in Deutschland.“ Das sagte er am Montag auf einer Chefredakteurskonferenz der Nachrichtenagentur dpa. „Ich wundere mich, dass es einige gar nicht bewegt, dass sie nicht einmal darüber nachdenken, ob es gewissermaßen zu einer Kriegsbeteiligung kommen kann durch das, was wir tun.“

Der Kanzler erhebt die Taurus-Frage gewissermaßen zu einer existenziellen Frage, die in letzter Konsequenz über deutsche Kriegsbeteiligung entscheidet.

Sowohl Industriekreise als auch unabhängige Expertinnen und Sicherheitspolitiker halten dieses Argument allerdings für nicht stichhaltig. CDU-Außenexperte Norbert Röttgen etwa entgegnet scharf: „Die Behauptung, mit der Lieferung von Taurus würde Deutschland zur Kriegspartei, ist rechtlich schlicht falsch und politisch infam.“

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Das Hauptargument gegen den Kanzler sind frühere Auslieferungen des Systems an strategische Partner. Südkorea etwa bekam Taurus im Jahr 2014 von Deutschland. Ein Bundeswehrmandat des Bundestags oder den Einsatz von deutschen Soldaten brauchte es dazu nicht. Technische Anpassungen sind laut Industrieexperten ohne Probleme vom Hersteller durchführbar. Heißt: Wenn Deutschland durch die Lieferung von Leopard-2-Panzern nicht Kriegspartei wurde, wird es das auch nicht durch die Lieferung von Taurus-Raketen.

Lesen Sie auch: Der bittere Streit Europas über den richtigen Ukraine-Weg

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