Deutsche Bahn „Das ist ein Skandal“

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Wie lässt sich das malade Unternehmen Deutsche Bahn reformieren? Der Chef der Monopolkommission, Jürgen Kühling, fordert eine weitere Entflechtung – und moniert wettbewerbswidriges Verhalten des Staatskonzerns.

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Wirtschaftswoche: Herr Kühling, wie sind Ihre persönlichen Erfahrungen mit der Deutschen Bahn?
Jürgen Kühling: Aktuell war und bin ich von allen vier Streiks seit November betroffen, neben dienstlichen Reisen unter anderem auch auf meinen privaten Fahrten zur Handball-EM in Düsseldorf, Berlin und Köln. Dass die Bahn der Mobility-Partner der EM ist, ist dabei nicht frei von Ironie. Ansonsten leide ich als Vielfahrer wie alle anderen unter der Unpünktlichkeit im Fernverkehr und der erheblichen Unzuverlässigkeit. Dabei ist die Bahn an sich ein fantastisches Verkehrsmittel.

Müssten Zugführer gar nicht erst streiken, wenn es bei der Deutschen Bahn mehr Wettbewerb gäbe?
Wettbewerb heißt auch Wettbewerb um gutes Personal und gute Arbeitsbedingungen. Bei den Streiks sehen wir aktuell den Unterschied zwischen Fern- und Nahverkehr. Im Nahverkehr haben wir einen starken Anteil an Wettbewerber, die zum Teil schon Tarifabschlüsse geschlossen haben. Deren Züge fahren auch weiter, wenn gestreikt wird. Im Fernverkehr haben wir 96 Prozent Deutsche Bahn. Und wenn die bestreikt wird, dann gibt es gar keinen Bahnverkehr mehr. Insofern hat Wettbewerb gerade einen sehr sichtbaren Effekt.

Funktioniert der Wettbewerb im Bahnsektor?
Nur eingeschränkt. Wettbewerber werden noch immer an vielen Stellen behindert. Die Deutsche Bahn stellt Echtzeitdaten, das heißt etwa Verspätungen, nicht allen Unternehmen in voller Breite zur Verfügung. Das hat auch das Bundeskartellamt in einem aufwändigen Ermittlungsverfahren festgestellt.

Jürgen Kühling Quelle: imago images

Zur Person

Wer mit Flixtrain fährt, kennt das Problem. Mit der DB-App kommt man nur bedingt weiter, wenn man wissen will, wann und an welchem Gleis der Flixtrain ankommt.
Ja, in Deutschland erhält man solche Informationen des Marktführers nicht in gleicher Qualität und Schnelligkeit wie etwa in Frankreich und Spanien. Das ist ein Skandal.

Warum ist das Schienennetz in Deutschland so schlecht?
Weil wir dort jahrelang zu wenig investiert haben! Das deutsche Schienennetz ist chronisch unterfinanziert, verglichen beispielsweise mit der Schweiz, wo pro Kilometer wesentlich mehr Geld in die Schieneninfrastruktur fließt. Wenn wir künftig mehr Verkehr auf die Schiene verlagert wollen, müssen wir mehr investieren. Zudem muss der Bund seine Interessen stärker durchsetzen und dem Unternehmen an den Ergebnissen wie Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit orientierte Anreize setzen.

Was meinen Sie damit?
Die Monopolkommission fordert etwa seit Jahren, dass der Staat nicht nur den Netzneubau, sondern auch Bestandsinvestitionen finanziert. Jahrelang ist da nichts passiert. Deshalb gab es lange Zeit keinen Anreiz für die Bahn, Ersatzinvestitionen zu tätigen, wenn man sich doch den Neubau durch den Bund bezahlen lassen kann. Dadurch ist das Netz schlicht verschlissen worden. 

Die neue Bundesregierung hat das aber nun geändert.
Zum Glück. Aber es hat halt sehr lange gedauert. Jetzt kommt es darauf an, dass die Staatsgelder für die Bahn auch effektiv eingesetzt werden. Derzeit fehlen hinreichende Sanktionsmechanismen für schlechte Leistungen. Ein wesentliches Instrument müsste künftig sein, dass die Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit der Bahn einen stärkeren Einfluss auf den Erfolg des Unternehmens und auf die Vergütung der Vorstände hat. Zuletzt hat die Bahn ihre Pünktlichkeitsziele nicht ansatzweise erreicht, Boni wurden trotzdem gezahlt, unter anderem mit Verweis auf eine große Mitarbeiterzufriedenheit im Konzern.

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In der Vergangenheit haben Sie wiederholt Spanien als Musterbeispiel genannt, weil das Land den Fernverkehr für Wettbewerber geöffnet hat und die Preise gesunken sind. Spanien hat allerdings neue Schnelltrassen, Deutschland ein marodes Schienennetz. Hinkt Ihr Vergleich nicht?
Sicher, wir können uns nicht per se mit dem Ausland vergleichen. Aber das ändert nichts daran, dass wir besser fahren würden, wenn in der Deutschen Bahn AG nicht das Netz und die Verkehrsanbieter in einer Hand wären. In Spanien gibt es ein entflochtenes System, wo der Netzbetreiber wirtschaftliche Anreize hat, so viel Schienenverkehr wie möglich auf seinem Netz zu generieren. Auch Japan ist diesen Weg mit Erfolg gegangen.



60 Prozent des Güterverkehrs entfällt auf Wettbewerber, die DB Cargo hat hier nur 40 Prozent Marktanteil. Warum klappt im Personenverkehr nicht, was im Güterverkehr möglich ist?
Im Güterverkehr können die Zugbetreiber vorab Verträge mit den Produzenten der Güter abschließen und erhalten so hohe Sicherheit für ihr Geschäft. Im Fernverkehr müssen sich die Anbieter über Jahre durch die Ticketeinnahmen refinanzieren. Dabei gibt es Zugangs- und Abnahmerisiken, die sich auf die Finanzierung auswirken. Hinzu kommen die größeren Kostenrisiken, weil der Betrieb von Fernverkehrszügen vergleichsweise teurer sind als kleinteilige Güterzüge.

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Was würde sich bei einer Entflechtung der Bahn ändern, wie sie die Monopolkommission seit Langem fordert?
Einem Schienennetzbetreiber, der nicht mit dem marktdominanten Fernverkehrsanbieter verflochten ist, ist es egal, welches Unternehmen sein Netz nutzt. Er möchte, dass sein Netz optimal ausgelastet ist, indem er es für Zugbetreiber attraktiv macht, darauf zu fahren. Er käme zum Beispiel niemals auf die Idee, wie aktuell die DB, Echtzeitdaten des Fahrbetriebs einzelnen Unternehmen vorzuenthalten.

Zum Jahresbeginn sind die Infrastruktureinheiten der Bahn zu einer neuen gemeinwohlorientierten Infrastruktursparte namens DB InfraGO zusammengelegt worden. Formell sind Infrastruktur und Zugbetrieb jetzt getrennt. Sind Sie damit zufrieden?
Die InfraGO ist ein kleiner Schritt. Wir hoffen, dass weitere Schritte folgen. Wir bräuchten eine echte eigentumsrechtliche Entflechtung, eine Abkopplung der InfraGO aus der Konzernstruktur. Das fängt schon mit dem Namen an. Die neue Gesellschaft heißt DB InfraGO, das ist kein guter Name für eine neutrale Infrastruktur. Das ist so, als würden wir eine Autobahn die Daimler- oder Audi-Autobahn nennen.

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Anders ausgedrückt: Die Reform wird Ihrer Forderung nach einer Zerschlagung nicht gerecht?
Den Begriff Zerschlagung nehmen wir nicht in den Mund. Zerschlagung klingt so, als ob man was kaputt macht. Das ist ein Kampfbegriff, er klingt martialisch. Ich spreche lieber von Entflechtung. Und in dieser Entflechtung hat die Deutsche Bahn jetzt einen Schritt gemacht. Nicht mehr und nicht weniger.

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