Im Zuge der Energiewende sind in Deutschland erhebliche Investitionen in die Energienetze notwendig. Die Betreiber legen die Kosten über die Netzentgelte auf die Stromkunden um. Der Chef des Chemiekonzerns BASF, Martin Brudermüller, fordert nun einen radikalen Schritt: „Wir müssen die Netze allen unentgeltlich zur Verfügung stellen“, sagt er im Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Ohne eine vollständige Verstaatlichung sei das nicht möglich, räumt er ein.
Der Unternehmenschef zieht einen Vergleich: „Netze sind wie Straßen, sie gehören zu einer erfolgreichen Volkswirtschaft.“ Ein Kauf durch den Bund sei zwar mit hohen Kosten verbunden, diese Diskussion müsse aber geführt werden. Brudermüller hält auch eine öffentlich-private Partnerschaft für denkbar, um die Kosten zu teilen.
Auf den ersten Blick scheint eine Verstaatlichung angesichts der Haushaltslage und der Tatsache, dass mit der FDP ein erklärter Verstaatlichungsgegner mitregiert, unwahrscheinlich. Schaut man sich jedoch die Eigentümerstruktur der Netzbetreiber in Deutschland an, wird dies schnell weniger abwegig.
Verstaatlichung auf leisen Sohlen
Die deutsche Förderbank KfW hält bereits mehrere Minderheitsbeteiligungen an den in Deutschland tätigen Übertragungsnetzbetreibern, also den Unternehmen, die für die Investitionen in die großen Stromautobahnen verantwortlich sind. Nach Unternehmensangaben hält der Bund indirekt bereits 20 Prozent der Anteile an 50Hertz und 24,95 Prozent an TransnetBW. Im aktuellen Geschäftsbericht des belgischen Netzbetreibers Tennet werden die deutschen Aktivitäten zudem als „Discontinued Operations“ deklariert, seit Februar 2023 laufen demnach Verhandlungen mit der KfW über einen Verkauf.
Einzig Netzbetreiber Amprion bliebe bei einem Rückkauf als Unternehmen vollständig in privater Hand. Deren Geschäftsführer Hans-Jürgen Brick sagte 2020 gegenüber dem „Handelsblatt“: Grundsätzlich sehe er „keinen Bedarf für eine Verstaatlichung des Netzbetriebs“. Er habe „erhebliche Zweifel, dass ein staatliches Unternehmen die Innovationskraft aufbringen kann, die für die Energiewende benötigt wird.“
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Würden sich neben Tennet auch 50Hertz und TransnetBW von ihren Übertragungsnetzen trennen, wären es im Übertragungsnetzbereich bereits fast vier Fünftel der Landesfläche, die durch den Bund kontrolliert würden. Wenn man dann noch bedenkt, dass ein Großteil der Verteilnetze, also der Stromnetze auf regionaler Ebene, im Besitz kommunaler Unternehmen ist, erscheint die Idee einer vollständigen Verstaatlichung vielleicht gar nicht mehr so unrealistisch.
Nichts schön zu rechnen
Brudermüllers Forderung beruht nicht auf einem Bauchgefühl, sondern auf harten Zahlen. Im „FAZ“-Interview macht er deutlich, wo die Energiewende die bisherige Stromversorgung des Chemiekonzerns auf den Kopf stellt. Wie viele industrielle Großverbraucher setzt BASF bislang auf eigene Gaskraftwerke, die schnell und in großen Mengen Strom liefern können. Im Zuge der Energiewende hat das Unternehmen zudem eine Milliarde Euro in einen Windpark in der Nordsee investiert. „Unser Windpark war der erste, der keine Subventionen gebraucht hat. Wenn nur diese Kosten meinen Strompreis ausmachen würden, baue ich fünf Parks.“
Doch weil der Bund die Flächen für die Parks versteigert, habe die Branche im vergangenen Jahr 12,5 Milliarden Euro zusätzlich aufbringen müssen. Hinzu kämen die langsam steigenden Netzentgelte. „Im Januar 2024 haben sich die Netzgebühren von 31 auf 64 Euro je Megawattstunde mehr als verdoppelt. So kommt die Industrie künftig von einem mittleren einstelligen Centbetrag je Kilowattstunde auf fast 20 Cent.“ Dieser Preis sei für die Industrie nicht tragbar, so der BASF-Chef. An eine Dekarbonisierung sei nicht mehr zu denken: „Da ist sie mausetot, bevor sie damit begonnen hat.“
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