Klimaschutz Bundesregierung bleibt konkrete Klimaschutz-Vorschläge schuldig

Der Expertenrat für Klimafragen stellt seine Prüfbericht zur Berechnung der deutschen Treibhausgasemissionen für das Jahr 2023 vor. Im Bild l. Dr. Brigitte Knopf, Stellvertretende Vorsitzende des Expertenrats für Klimafragen ERK und Direktorin Zukunft KlimaSozial, und Prof. Dr. Hans-Martin Henning, Vorsitzender des Expertenrats für Klimafragen ERK. Quelle: imago images

Die Fachleute im Auftrag der Bundesregierung vermissen besonders im Verkehr Schritte zur Einhaltung der gesetzlichen Ziele. Nicht Fahrverbote, sondern ein ganzes Bündel an Maßnahmen sei nötig.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Die entscheidenden beiden Botschaften stecken hinter den Zahlen: Im Großen und Ganzen bestätigt der von der Bundesregierung eingesetzte Expertenrat für Klimafragen die offiziellen Zahlen zum Ausstoß von Treibhausgasen. 2023 ging der Ausstoß so stark zurück wie seit 1990 nicht.

Doch die Gründe sprechen nicht dafür, dass Deutschland auf dem Pfad ist, die selbst gesteckten als auch die von der EU gesetzten Klimaziele einzuhalten. Denn der Rückgang des CO2-Ausstoßes liegt sehr stark am Schwächeln der Wirtschaft, und besonders am Einbruch in energieintensiven Branchen. Zudem reißt der Verkehr nun schon seit Jahren so stark seine Ziele, dass die Experten hier inzwischen ein ernsthaftes Bemühen der Regierung anzweifeln.

Der Reihe nach: Die fünf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Expertenrat sind von der Bundesregierung beauftragt, die Berechnungen und Schätzungen vom Umweltbundesamt zu prüfen. Dabei geht es um die Emissionen aus dem vorigen Jahr 2023 und um absehbare Entwicklungen in wichtigen Bereichen wie der Energieerzeugung, der Industrie, dem Verkehr oder das Heizen.  Grob bestätigte der Expertenrat nun den Rückgang des Ausstoßes an Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen im vergangenen Jahr um rund zehn Prozent von 750 auf 674 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten. Das Ziel für die Gesamtemissionen sei damit erreicht worden.

Mehr Solarkraft und neue Leitplanken für die Bundesregierung beim Klimaschutz: Bei diesen Themen sind SPD, Grüne und FDP nun einer Meinung. Fahrverbote für Autofahrer soll es damit nicht geben.

Der Verkehr liefert nicht

Doch dahinter stecken sowohl schlechte Nachrichten für die Industrie als auch die Botschaft, dass beim Verkehr seit Jahren so wenig unternommen wurde, dass ein Erreichen der Ziele immer schwieriger wird. Das können auch andere Sektoren nicht ausgleichen, sagen der Expertenrats-Vorsitzende Hans-Martin Henning und seine Stellvertreterin Brigitte Knopf.

Die Emissionen der Industrie seien nur so stark zurückgegangen, weil die Konjunktur geschwächelt habe.  Wegen der hohen Energiepreise ist die Produktion 2023 in energieintensiven Branchen geschrumpft.  Der Ratsvorsitzende Henning, der im Hauptberuf Direktor am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ist, sagte zur Industrie: „Die energieintensive Industrie hat einen wesentlichen Teil zum Rückgang der Emissionen beigetragen.“ Hauptgrund sei die schlechte Konjunktur gewesen - und nicht etwa technologische Sprünge zur Einsparung von CO2 in der Produktion.

Eine nur mäßige Erderwärmung scheint nicht mehr erreichbar. Die Regierungen müssen sich bei den Verhandlungen ebenso mit der Eindämmung der Folgen und neuen Technologien auseinandersetzen. Auch Deutschland ist betroffen.
von Cordula Tutt

Knopf, die die Denkfabrik Zukunft KlimaSozial führt, ergänzte: „Ohne den Rückgang der energieintensiven Industrie und die erneut milde Witterung im Jahr 2023 hätten die Emissionen deutlich höher gelegen“. Und zwar um 74 Millionen Tonnen CO2. „Damit wäre das implizite Jahresziel für alle Sektoren in Summe vermutlich nicht erreicht worden.“ Nach dem Bericht setzte die Papierindustrie gut 16 Prozent weniger Brennstoffe ein, die Grundstoffchemie gut zehn Prozent, die Metallerzeuger wie etwa die Stahlkocher rund elf Prozent und die Baustoffindustrie gut sieben Prozent. Hinter einer positiven Nachricht für den Klimaschutz dürften also vor allem Fragen nach der Wettbewerbsfähigkeit des Produktionsstandorts stecken.

Offen kritisch zeigten sie die Sachverständigen zur Entwicklung bei Autos und LKW. „Vor allem im Verkehrssektor besteht eine erhebliche Lücke“, sagte Knopf. „Auch in den früheren Berichten steht, dass der Verkehr nicht auf Kurs ist.“ Es entstehe „eine immer größere Lücke“. Und: „Das ist nichts, was ganz plötzlich kommt.“ Der Bereich verfehle die zulässigen Emissionen 2023 um 12,8 Millionen Tonnen.   

Fünf Ideen für die Mobilitätswende

Drohen mit Fahrverboten

Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hatte vorige Woche angesichts der krachend verfehlten Ziele beim Klimaschutz flächendeckende Fahrverbote als drohendes Szenario ins Spiel gebracht. Nur solche drastischen Maßnahmen an Wochenenden würden helfen, im Verkehrssektor die Klimaziele einzuhalten, hatte Wissing gesagt und gefordert, das geltende Klimaschutzgesetz bald zu ändern.

Lesen Sie auch: „Herr Wissing macht seine Hausaufgaben nicht“

Im Gesetz sind die Klimaschutzziele im Ganzen und nach Sektoren aufgeteilt verbindlich geregelt. Es sieht vor, die Treibhausgase bis 2030 um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 zu vermindern. Wenn Sektoren Vorgaben verfehlen, müssen die zuständigen Ministerien mit Sofortprogrammen nachsteuern. Darauf wiesen auch die Fachleute nun hin: „Nach geltendem Gesetz muss ein Sofortprogramm vorgelegt werden“, heißt es zum Verkehr.

Beide Fachleute wollten sich nur indirekt zum Szenario des Verkehrsministers äußern, der mit Fahrverboten gedroht hatte.  „Es wird gar nicht ernsthaft um Maßnahmen gestritten“, sagte Knopf zur Bundesregierung. „Die Lücke im Verkehr ist so groß, dass man mit einer Maßnahme immer nur ein bisschen erreicht wird. Es braucht einen ganzen Maßnahmenkatalog.“ Das erzwinge im Übrigen nicht nur das deutsche Gesetz, sondern verlangten auch die europäischen Vorgaben zum Klimaschutz. Knopf nannte als mögliche Schritte ein Bündel an Maßnahmen: Das Vorziehen von Grenzwerten für Autos und ein höherer CO2-Preis auf Brennstoffe, den Abbau von klimaschädlichen Subventionen für Autos und ein Tempolimit. Ein Fahrverbot nannte sie auf Nachfrage dabei nicht.

Knopf wies darauf hin, dass auch das geltende Klimaschutzgesetz - wie von der FDP gefordert – schon ermögliche, dass andere Sektoren Einsparungen übernehmen könnten, wenn ein Bereich es in einem Jahr nicht schaffe. Die Einsparungen seien aber „spezifische Verantwortung eines Ministeriums“ und deshalb sei die Vorgabe bindender als bei der geplanten Novelle des Klimaschutzgesetzes. Dann trage nur noch die Bundesregierung „kollektiv“ Verantwortung. Zudem bestehe heute bereits die Möglichkeit, dass ein Sofortprogramm auf mehrere Jahre verteilt Emissionen reduziere.

Auch der Ratsvorsitzende Henning warnte vor einer Aufweichung der Verantwortlichkeiten: „Es bedarf der Maßnahmen.“ Und andere Sektoren könnten Verfehlungen immer nur begrenzt ausgleichen. Mitte des Jahrhunderts wolle Deutschland klimaneutral sein. Dann dürfen nicht mehr Treibhausgase ausgestoßen werden als auch neutralisiert werden.

Altersvorsorge Drohender Renten-Schock: Die hochriskanten Investments der Versorgungswerke

Berufsständische Versorgungswerke erwirtschaften Renten für Ärzte, Anwälte und Mediziner. Doch sie haben Geld überaus riskant angelegt – mit potenziell dramatischen Folgen.

Frauenförderung à la Siemens Siemens-Managerin klagt an: Nutzt der Konzern Compliance als „Mitarbeiter-Entsorgungstool“?

Der Fall einer Siemens-Managerin, die schwanger wurde und nun um ihren Job kämpfen muss, erschüttert den Dax-Konzern. Nun droht der mit ihr verheiratete Personalchef in Mitleidenschaft gezogen zu werden.

Selbstversuch Der Weg zum eigenen Wald – für kleines Geld

Unser Autor träumt von einem Wald. Er bekommt ihn bei einer Zwangsversteigerung – für 1550 Euro.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP will das Klimaschutzgesetz reformieren. Dann wären nicht mehr einzelne Sektoren, sondern die Emissionsbilanz aller Wirtschaftsbereiche ausschlaggebend. Die FDP verlangt die Umsetzung der im Grundsatz vereinbarten Änderungen, die Grünen und Teile der SPD sehen eine Aufweichung des Klimaschutzes.

Lesen Sie auch: Niemand will den Wochenendverkehr verbieten!

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%