Die entscheidenden beiden Botschaften stecken hinter den Zahlen: Im Großen und Ganzen bestätigt der von der Bundesregierung eingesetzte Expertenrat für Klimafragen die offiziellen Zahlen zum Ausstoß von Treibhausgasen. 2023 ging der Ausstoß so stark zurück wie seit 1990 nicht.
Doch die Gründe sprechen nicht dafür, dass Deutschland auf dem Pfad ist, die selbst gesteckten als auch die von der EU gesetzten Klimaziele einzuhalten. Denn der Rückgang des CO2-Ausstoßes liegt sehr stark am Schwächeln der Wirtschaft, und besonders am Einbruch in energieintensiven Branchen. Zudem reißt der Verkehr nun schon seit Jahren so stark seine Ziele, dass die Experten hier inzwischen ein ernsthaftes Bemühen der Regierung anzweifeln.
Der Reihe nach: Die fünf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Expertenrat sind von der Bundesregierung beauftragt, die Berechnungen und Schätzungen vom Umweltbundesamt zu prüfen. Dabei geht es um die Emissionen aus dem vorigen Jahr 2023 und um absehbare Entwicklungen in wichtigen Bereichen wie der Energieerzeugung, der Industrie, dem Verkehr oder das Heizen. Grob bestätigte der Expertenrat nun den Rückgang des Ausstoßes an Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen im vergangenen Jahr um rund zehn Prozent von 750 auf 674 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten. Das Ziel für die Gesamtemissionen sei damit erreicht worden.
Der Verkehr liefert nicht
Doch dahinter stecken sowohl schlechte Nachrichten für die Industrie als auch die Botschaft, dass beim Verkehr seit Jahren so wenig unternommen wurde, dass ein Erreichen der Ziele immer schwieriger wird. Das können auch andere Sektoren nicht ausgleichen, sagen der Expertenrats-Vorsitzende Hans-Martin Henning und seine Stellvertreterin Brigitte Knopf.
Die Emissionen der Industrie seien nur so stark zurückgegangen, weil die Konjunktur geschwächelt habe. Wegen der hohen Energiepreise ist die Produktion 2023 in energieintensiven Branchen geschrumpft. Der Ratsvorsitzende Henning, der im Hauptberuf Direktor am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ist, sagte zur Industrie: „Die energieintensive Industrie hat einen wesentlichen Teil zum Rückgang der Emissionen beigetragen.“ Hauptgrund sei die schlechte Konjunktur gewesen - und nicht etwa technologische Sprünge zur Einsparung von CO2 in der Produktion.
Knopf, die die Denkfabrik Zukunft KlimaSozial führt, ergänzte: „Ohne den Rückgang der energieintensiven Industrie und die erneut milde Witterung im Jahr 2023 hätten die Emissionen deutlich höher gelegen“. Und zwar um 74 Millionen Tonnen CO2. „Damit wäre das implizite Jahresziel für alle Sektoren in Summe vermutlich nicht erreicht worden.“ Nach dem Bericht setzte die Papierindustrie gut 16 Prozent weniger Brennstoffe ein, die Grundstoffchemie gut zehn Prozent, die Metallerzeuger wie etwa die Stahlkocher rund elf Prozent und die Baustoffindustrie gut sieben Prozent. Hinter einer positiven Nachricht für den Klimaschutz dürften also vor allem Fragen nach der Wettbewerbsfähigkeit des Produktionsstandorts stecken.
Offen kritisch zeigten sie die Sachverständigen zur Entwicklung bei Autos und LKW. „Vor allem im Verkehrssektor besteht eine erhebliche Lücke“, sagte Knopf. „Auch in den früheren Berichten steht, dass der Verkehr nicht auf Kurs ist.“ Es entstehe „eine immer größere Lücke“. Und: „Das ist nichts, was ganz plötzlich kommt.“ Der Bereich verfehle die zulässigen Emissionen 2023 um 12,8 Millionen Tonnen.
Fünf Ideen für die Mobilitätswende
Das Aufreger-Thema „Tempolimit“ wird öffentlich fast ausschließlich mit Bezug auf Autobahnen diskutiert. Geschwindigkeitsbegrenzungen innerorts hingegen bleiben unter dem Radar, obwohl sie starke Fürsprecher haben, vor allem unter den Kommunen. Die im Juli 2021 von den sieben Städten Aachen, Augsburg, Freiburg, Hannover, Leipzig, Münster und Ulm gegründete Initiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“ ist inzwischen auf über 850 Mitglieder angewachsen. Neben kleineren und mittelgroßen Kommunen haben sich seit Gründung auch mehrere Großstädte wie Düsseldorf, Frankfurt, Köln, Saarbrücken oder Freiburg der Initiative angeschlossen. Die Bürgermeister fordern den Bund auf, rechtliche Rahmenbedingungen für den großflächigen Einsatz von Tempo-30-Zonen zu schaffen. Nach Ansicht der Initiative würde die Leistungsfähigkeit des Verkehrs durch eine großflächige Einführung nicht eingeschränkt, die Aufenthaltsqualität der Bewohner hingegen spürbar gesteigert. Auf einigen Hauptverkehrsstraßen soll den Plänen zufolge weiterhin Tempo 50 möglich bleiben.
(Stand: Juli 2023)
In Städten könnten Fahrräder eine taugliche Alternative zu Auto und ÖPNV sein. Spaß macht das Radeln aber in den wenigsten Citys, allein schon wegen Ängsten um die eigene Sicherheit. Die Unfallforscher der Versicherung (UDV) haben vor diesem Hintergrund mehrere Vorschläge entwickelt, den Radverkehr weniger gefährlich zu machen. Darunter findet sich auch die Idee zur besseren Sicherung von Grundstückseinfahrten. Fast jeder fünfte Unfall zwischen einem Radler und einem Pkw spielt sich an den Zufahrten zu Firmengeländen, Tankstellen, Supermarkt-Parkplätzen und Parkhäusern ab. Fast jeder siebte Unfall mit schwerverletzten oder getöteten Radfahrern passiert an einer solchen Grundstückszufahrt. Je nach Frequenz und Lage könnten die Kommunen für die Zufahrten freie Sichtachsen, das Anbringen von Spiegeln oder sogar die Installation einer Ampel vorschreiben.
(Stand: August 2022)
E-Autoprämie und Dienstwagensteuer fördern vor allem elektrische SUV und Premiumlimousinen mit zwei und mehr Tonnen Gesamtgewicht. Kein Geld hingegen gibt es zumindest aus diesen Töpfen für elektrische Leichtfahrzeuge. Die großen Autohersteller ignorieren die Zulassungsklassen L1e bis L7e mit ihren leichten und langsamen, aber effizienten und ressourcensparenden Stromern fast komplett – mit wenigen Ausnahmen wie dem Opel e-Rocks und dem Renault Twizy. Stattdessen tummelt sich dort eine unüberschaubare Vielzahl kleiner Anbieter mit teils exotisch anmutenden Zwei-, Drei- und Vierrädern. Die Micromobile taugen zum Pendeln, zum Einkaufen, zum Sightseeing oder auch zum Warentransport. Der Bundesverband E-Mobilität (BEM) fordert schon seit langem von den unterschiedlichen Bundesregierungen eine finanzielle Förderung sowie die Erhöhung der meist auf 45 km/h begrenzten Geschwindigkeit auf innenstadttauglichere Werte. Bislang allerdings erfolglos.
(Stand: August 2022)
„Der Verkehr leidet in der Hauptsache daran, dass die Berufspendler zwei Mal am Tag alles verstopfen“, sagt Günter Schuh. Der E-Mobilitätspionier und Hochschul-Professor will das Problem mit seinem frisch gegründeten Shuttle-Dienst e.Volution lösen. Der Dienstleister stellt Unternehmen elektrische Mini-Vans mit sieben Sitzen zur Verfügung, die morgens die Belegschaft einsammeln und ihnen während der Fahrt ins Büro mobile Arbeitsplätze zur Verfügung stellt. Deswegen zahlt der Weg bereits aufs Zeitkonto ein, was die Akzeptanz des gemeinschaftlichen Transports erhöhen soll. Verhandlungen mit Großunternehmen laufen bereits, 2024 sollen die ersten Meta-Mobile auf der Straße sein.
(Stand: August 2022)
Neue U- und Straßenbahnen sind teuer und langwierig im Bau. In manchen Anwendungsfällen könnte die Seilbahn eine Alternative sein. Einer Studie der Beratungsgesellschaft PwC zufolge schneiden sie bei Bau und Betrieb besser ab als die schienengebundenen ÖPNV-Lösungen. Die Kosten für Seilbahnsysteme pro Kilometer betragen den Experten zufolge etwa 10 bis 20 Millionen Euro – und liegen damit auf dem Niveau einer Straßenbahnstrecke. Da kein Betriebshof und keine Signal- und Verkehrsleittechnik erforderlich sind, sind die gesamten Investitionskosten im Verkehrsmittelvergleich gering. Zudem ist die Bauzeit von Seilbahnen mit 12 bis 18 Monaten relativ kurz. Dazu kommen der Studie zufolge wirtschaftliche Vorteile im Unterhalt, unter anderem ist der Energieverbrauch nur halb so hoch wie bei schienengebundenen Verkehrsmitteln. Ob Seilbahnen für eine konkrete Anwendung in einer Stadt geeignet sind, lässt sich laut PwC aber nur für den Einzelfall beantworten. Bei der Planung sei unter anderem mit Widerstand in der Bevölkerung zu rechnen, die eine Beeinträchtigung des Stadtbildes befürchten.
(Stand: August 2022)
Drohen mit Fahrverboten
Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hatte vorige Woche angesichts der krachend verfehlten Ziele beim Klimaschutz flächendeckende Fahrverbote als drohendes Szenario ins Spiel gebracht. Nur solche drastischen Maßnahmen an Wochenenden würden helfen, im Verkehrssektor die Klimaziele einzuhalten, hatte Wissing gesagt und gefordert, das geltende Klimaschutzgesetz bald zu ändern.
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Im Gesetz sind die Klimaschutzziele im Ganzen und nach Sektoren aufgeteilt verbindlich geregelt. Es sieht vor, die Treibhausgase bis 2030 um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 zu vermindern. Wenn Sektoren Vorgaben verfehlen, müssen die zuständigen Ministerien mit Sofortprogrammen nachsteuern. Darauf wiesen auch die Fachleute nun hin: „Nach geltendem Gesetz muss ein Sofortprogramm vorgelegt werden“, heißt es zum Verkehr.
Beide Fachleute wollten sich nur indirekt zum Szenario des Verkehrsministers äußern, der mit Fahrverboten gedroht hatte. „Es wird gar nicht ernsthaft um Maßnahmen gestritten“, sagte Knopf zur Bundesregierung. „Die Lücke im Verkehr ist so groß, dass man mit einer Maßnahme immer nur ein bisschen erreicht wird. Es braucht einen ganzen Maßnahmenkatalog.“ Das erzwinge im Übrigen nicht nur das deutsche Gesetz, sondern verlangten auch die europäischen Vorgaben zum Klimaschutz. Knopf nannte als mögliche Schritte ein Bündel an Maßnahmen: Das Vorziehen von Grenzwerten für Autos und ein höherer CO2-Preis auf Brennstoffe, den Abbau von klimaschädlichen Subventionen für Autos und ein Tempolimit. Ein Fahrverbot nannte sie auf Nachfrage dabei nicht.
Knopf wies darauf hin, dass auch das geltende Klimaschutzgesetz - wie von der FDP gefordert – schon ermögliche, dass andere Sektoren Einsparungen übernehmen könnten, wenn ein Bereich es in einem Jahr nicht schaffe. Die Einsparungen seien aber „spezifische Verantwortung eines Ministeriums“ und deshalb sei die Vorgabe bindender als bei der geplanten Novelle des Klimaschutzgesetzes. Dann trage nur noch die Bundesregierung „kollektiv“ Verantwortung. Zudem bestehe heute bereits die Möglichkeit, dass ein Sofortprogramm auf mehrere Jahre verteilt Emissionen reduziere.
Auch der Ratsvorsitzende Henning warnte vor einer Aufweichung der Verantwortlichkeiten: „Es bedarf der Maßnahmen.“ Und andere Sektoren könnten Verfehlungen immer nur begrenzt ausgleichen. Mitte des Jahrhunderts wolle Deutschland klimaneutral sein. Dann dürfen nicht mehr Treibhausgase ausgestoßen werden als auch neutralisiert werden.
Die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP will das Klimaschutzgesetz reformieren. Dann wären nicht mehr einzelne Sektoren, sondern die Emissionsbilanz aller Wirtschaftsbereiche ausschlaggebend. Die FDP verlangt die Umsetzung der im Grundsatz vereinbarten Änderungen, die Grünen und Teile der SPD sehen eine Aufweichung des Klimaschutzes.
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