Robert Habecks grünes Wirtschaftswunder lässt auf sich warten. Die Weltwirtschaft wächst 2023 um drei Prozent, für Deutschland erwartet der Internationale Währungsfonds (IWF) minus 0,3 Prozent. Wie beim European Song Contest – Germany: Zero Points, letzter Platz unter 22 Nationen. Das ist nicht nur ein Konjunkturproblem, und auch keine „German Angst“, wie Habeck nonchalant behauptet, sondern Realität. „Der deutsche Abstieg ist auch Folge einer seit Jahren dysfunktionalen Wirtschaftspolitik, die das Handlungskorsett der Betriebe durch immer neue Auflagen, Kosten und Regulierungen einengt,“ schreibt mein Kollege Bert Losse.
Nun klagen Unternehmen seit Generationen über überbordende Bürokratie, mancher mag da ein Gähnen nicht unterdrücken. Doch verschwunden ist die Überregulierung dennoch nicht, und in Kombination mit hohen Steuern und teurer Energie ergibt sich eine toxische Gemengelage. Laut einer Umfrage des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW) denkt heute jeder vierte Mittelständler ans Aufgeben, mehr als jeder fünfte erwägt eine Verlagerung ins Ausland. Am stärksten eingeschränkt sehen sie sich durch „bürokratische Hürden“.
Dabei versprachen Regierungen jeder Couleur, diese abzubauen, und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte noch im Frühjahr getönt, sie wolle Unternehmen von Berichtspflichten entlasten. Stattdessen feuert Brüssel ständig neue Regeln nach, die Unternehmen Zeit kosten und Kräfte binden. Bürokratieabbau ja, aber alles, was dem Wahren, Schönen, Guten dient, muss kontrolliert und dokumentiert werden: Klimaschutz, Nachhaltigkeit in der Lieferkette, Glück der Beschäftigten, Geschlechtergerechtigkeit.
Große Unternehmen geben den Druck nach unten an ihre Zulieferer weiter, so kommt es, dass selbst die kleinste Metzgerei künftig Abwasser typisieren, Emissionen dokumentieren und einen Antikorruptionsbeauftragten benennen muss.
Zu bürokratischen Monstern wie dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und der Verordnung für Nachhaltigkeitsstandards – letztere verpflichtet Unternehmen etwa, die Work-Life-Balance ihrer Beschäftigten und der ihrer Lieferanten zu überprüfen, gesellen sich weitere. Die EU-Taxonomie, in deren Rahmen die Lufthansa für jedes neu gekaufte Flugzeug ein altes verschrotten muss. Und die neue EU-Lohntransparenz-Richtlinie, auf die mich eine Leserin aufmerksam gemacht hat.
Dieses jüngste Meisterwerk der EU-Bürokratie gilt für Unternehmen mit mehr als 100 Beschäftigten. Kleinere Firmen können auf Wunsch mitmachen. Prognose: Keiner wird sich das freiwillig antun. Unternehmen mit unter 100 Beschäftigten können zudem von ihrer nationalen Regierung dazu verdonnert werden. Prognose: Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Frauenministerin Lisa Paus (Grüne) werden es durchboxen, Justizminister Marco Buschmann (FDP) wird nicht gegenhalten. Wie es eben so läuft in der Ampel.
Das auf 74 Seiten bis ins aberwitzige Detail ausgearbeitete Gesetzeswerk soll erreichen, dass Frauen nicht schlechter bezahlt werden als Männer. Menschen nach einer Geschlechtsumwandlung oder solche, die sich „rechtlich als ein drittes, oftmals neutrales, Geschlecht“ haben registrieren lassen, sind mit eingearbeitet worden, sie dürfen auch nicht diskriminiert werden. Ebenso Bewerber, Auszubildende, Praktikanten.
Es ist ungerecht und abzulehnen, wenn Männer für den gleichen Job besser bezahlt werden als Frauen - im Kommentar zur Richtlinie ist von 13 Prozent Unterschied im EU-Durchschnitt die Rede, das Statistische Bundesamt nennt für Deutschland sechs Prozent. Aber wer Unternehmen mit Dokumentations- und Berichtspflichten erstickt und Regulierer von außen in das innerbetriebliche Verhältnis von Arbeitgebern und Beschäftigten einschleust, wird daran bestimmt nichts ändern.
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Das Ziel ist ehrenwert, aber mir scheint es ausgeschlossen, über viele hundert Jobs hinweg aussagekräftige Durchschnittswerte zu bekommen – und wenn man noch so viele Daten einfordert. Es wird immer pauschalisiert und vereinfacht werden, weil es in der Masse unmöglich zu beweisen ist, dass unterschiedlich bezahlte Arbeit tatsächlich die absolut gleiche Tätigkeit beinhaltet. Dass ein höheres Gehalt geschlechtsbedingt ist, und nicht etwa individuellem Verhandlungsgeschick geschuldet, oder unterschiedlichen Prioritäten in Sachen Familie und Work-Life-Balance. Zudem gibt es Tarifverträge, an die sich Unternehmen halten müssen – und wo die Ungleichheit offenkundig ist, können Frauen auf Basis bestehenden Rechts dagegen klagen.
Im Ton ist die Richtlinie grob. 57-mal ist von „Maßnahmen“ die Rede, „Überwachung“ kommt 18-mal vor, „Sanktionen“ 16-mal, und „Aufsicht“ zwölfmal. Die Unternehmen müssen eine Vielzahl von Daten zum „geschlechtsspezifischen Entgeltgefälle zwischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern" liefern - an wen, das wird sich sicher finden: Durchschnittsgehälter und Daten aller Beschäftigten und verschiedener Gruppen, dazu den Median, also die Gehaltssumme, bei der die Hälfte der Beschäftigten darüber und die andere Hälfte darunter liegt. Das Gehaltsgefälle in nach Gehalt geordneten vier Gruppen, und einen Haufen Daten, von Abfindungen und Boni über Krankengeld und Überstundenausgleich bis hin zu Verpflegungszuschüssen. Wenn Unternehmen nicht liefern: Zwangsgeld.
Findet sich dann irgendwo ein Gehaltsgefälle von mehr als fünf Prozent, ist das zu begründen oder zu „korrigieren“ – ob es möglich ist, das Gehalt des Besserverdienenden dann nach unten zu korrigieren, sagt die Richtlinie nicht. Sperrt sich der Arbeitgeber, kommt die Peitsche: Der Prozess der „gemeinsamen Entgeltbewertung“ mit den Arbeitnehmervertretern, gern mit Überwachungsstelle, Arbeitsaufsichtsbehörde und Gleichbehandlungsstelle. Dieser Stelle sollen die Staaten „ausreichende Mittel“ (vulgo: Steuergeld) zur Verfügung stellen.
Arbeitgeber und Arbeitnehmervertreter kleiner Unternehmen sollen „Unterstützung in Form von technischer Hilfe und Schulungen“ bekommen, um mit dem ganzen Wust fertig zu werden. Auch dafür werden hübsch Arbeitstage draufgehen. Am Ende dann: endlose Sitzungen, Milliarden unbrauchbare Datensätze, Papier, Formulare, aber bestimmt nicht mehr Gehalt für Frauen.
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