Mangel an Wettbewerbsfähigkeit „Choose Germany!“, das pinselt in Davos niemand auf die Plakate

Ein Choose Germany kam Finanzminister Christian Lindner in Davos nicht über die Lippen. Quelle: imago images

Deutschland ist der „müde Mann Europas“, meint Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner. Er empfiehlt dem Standort einen starken Kaffee – allerdings dürfte sich die Ampel uneins über die Mischung sein. 

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Emmanuel Macron ist schon längst wieder weg, da ist sein Tweet im Bundesfinanzministerium immer noch Thema. „Choose France!“, hatte der französische Präsident den Unternehmenschefinnen und -chefs am Donnerstag in Davos zugerufen – zuerst auf der Kurznachrichtenplattform, dann auf der Bühne. Seine Rede: ein 30-Minuten-Pitch für den Standort Frankreich.

Acht neue Atomkraftwerke, Milliarden für die Bildung, vier Gigafabriken für die Dekarbonisierung der Automobilindustrie, florierende Start-ups – und jetzt auch noch die Olympischen Sommerspiele. „Frankreich ist das attraktivste Land Europas“, schwärmte Macron und strahlte wie ein Sonnenkönig über die Krawalle in den Banlieues und den Erfolg der Rechtspopulistin Marine Le Pen hinweg. 

Im Finanzministerium wurden Tweet und Auftritt bis in die Führungsspitze hinauf geteilt. Mon dieu, was für eine Show. Und Deutschland? Geht in so prominenter Besetzung gar nicht erst auf die Bühne. 

Choose Germany? 

Kanzler Olaf Scholz (SPD) hat das Weltwirtschaftsforum, zu dem 3000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft kamen – darunter 350 Staatschefs und Minister – einfach komplett ausfallen lassen. Außenministerin Annalena Baerbock, Wirtschaftsminister Robert Habeck (beide Grüne), Finanzminister Christian Lindner und Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (beide FDP) sind zwar angereist, doch einen Auftritt à la Macron legt keiner von ihnen hin. „Choose Germany!“, das kommt hier so offensiv keinem von ihnen über die Lippen.

„Impossible is possible“ werben die Emirate

Wie groß die Ambitionen anderswo sind, zeigt sich auch auf der Promenade von Davos: Allein Indien ist auf dem Catwalk des Kapitalismus mit sieben Showrooms vertreten, die Saudis haben vier Pavillons und die Emirate werben mit dem Versprechen „Impossible is possible“. „Choose Germany!“, das pinselt hier niemand auf die Plakate. 

Deutschlands Wirtschaft ist 2023 um 0,3 Prozent geschrumpft – und die Aussichten sind so trübe wie der Nebel über dem Zauberberg. Es drohe eine „anhaltende wirtschaftliche Schwächephase“, heißt es im Entwurf des neuen Jahreswirtschaftsberichts aus dem Bundeswirtschaftsministerium, über den der „Spiegel“ vorab berichtet. Die Entlassungen bei den Konzernen schaffen schon heute Fakten: bis zu 18.000 Arbeitsplätze könnten beim Automobilzulieferer ZF in Deutschland bis 2030 wegfallen, Bayer will bereits bis 2025 zahlreiche Stellen streichen und Bosch plant sogar, in der Zukunftssparte Autosoftware etwa 1200 Jobs abzubauen.

Wer die Debatten über Zukunftstechnologien in Davos verfolgt, muss sich darüber nicht wundern: Auf dem Panel zur Zukunft der Elektromobilität war kein deutscher Autobauer vertreten, in der prominentesten Runde zur Künstlichen Intelligenz saßen Superstars der Szene wie ChatGPT-Gründer Sam Altman und Salesforce-Chef Marc Benioff. Deutschland? Nehmen Sie doch gerne im Publikum Platz.

Wo will Deutschland eigentlich hin?

Wir müssen ambitionierter werden“, sagt ein Regierungsvertreter. „Wettbewerbsfähigkeit ist ein Thema“, stellt ein anderer am Ende des Gipfels ernüchtert fest, „und Kommunikation.“ Denn Unternehmenschefs umtreibt eine bemerkenswerte Frage: Wo will Deutschland eigentlich hin? Das ist CEOs offenbar nicht mehr klar. 

Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner versucht die Lage zu erklären. Der kranke Mann Europas? Nein, das sei Deutschland nicht, versichert er am Freitag in der Abschlussrunde des Weltwirtschaftsforums: „Deutschland ist ein müder Mann nach einer kurzen Nacht”, meint Lindner. Die niedrigen Wachstumserwartungen seien „ein Weckruf“. Was jetzt passiert? „Wir nehmen eine gute Tasse Kaffee“, sagt er, das heiße: Strukturreformen anzugehen, „und dann werden wir wirtschaftlich weiter erfolgreich sein.“ 

Hausaufgaben und Hilfe 

Was in der Höhenluft von Davos so leicht klingt, wird in den Niederungen Berlins umso schwerer. Denn auch Habeck hatte in Davos am Dienstag beteuert: „Jetzt müssen wir hart arbeiten und unsere Hausaufgaben machen, denn die macht sonst keiner für uns.“ Doch wie diese Hausaufgaben am besten zu lösen sind, da sind sich der Finanz- und der Wirtschaftsminister auch nach der Verabschiedung des Haushalts für 2024 herzlich uneinig.

Habeck rechtfertigt Subventionen, Lindner beteuert, dass Wettbewerbsfähigkeit nicht dauerhaft durch Staatshilfe zu erreichen ist – zugleich mahnt er mit Blick auf die mögliche zweite Amtszeit von Donald Trump: „Wir sollten uns vorbereiten“. 

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Das gilt allerdings für ganz Europa. Choose Europe? Das wäre ein Thema für Scholz und Macron. Der französische Präsident wird am Montag beim Trauerstaatsakt für Wolfang Schäuble (CDU) in Berlin reden, dazu ist ein Treffen im Kanzleramt geplant. In dem Gespräch soll es um das Sondertreffens des Europäischen Rats am 1. Februar in Brüssel gehen und internationale Themen, wie die Situation in der Ukraine und in Nahost. Eine Planung für gemeinsames Standortmarketing? Steht nicht auf dem Programm.

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