Nicht regierungsbereit
Quelle: imago images

Die CDU – eine Partei ohne Leitkultur

Die Union will wieder regieren, ist aber noch nicht regierungsbereit. Sie fordert Aufbruch, Erneuerung, Modernität – und bietet den Deutschen ein Remake der großen Koalition an: vereint im Dagegen, uneins im Wofür.

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Halten wir uns nur kurz mit Markus Söder auf. Der bayerische Ministerpräsident hat am politischen Aschermittwoch mal wieder sein formidables Gespür für Geschmacklosigkeiten bewiesen und die Umweltministerin und ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin Steffi Lemke als Musterbeispiel für den angeblichen Versuch der Grünen verhöhnt, die Freiheit der Fleißigen durch immer neue Auflagen einzuschränken – als „grüne Margot Honecker“.

Womöglich ist Söder nach sechs Jahren Regierungschef und 20 Jahren Spitzenfunktionär der CSU einfach nur noch gelangweilt von seinem Job, angeödet von sich selbst und seinen Bierzelt-Tiraden, von seinem gespielten Ingrimm und seinen breitbeinigen Stammtisch-Auftritten, ermüdet von seiner Opportunismuskunst und seiner volkstribunalen Virtuosität, von der permanenten Behauptung postpubertärer Männlichkeit und seiner Lieblingsrolle als politischer Schwellenwart vom Dienst: immer unterwegs auf der Grenze zwischen Provokation und Populismus, Deftigkeit und Demagogie, Vereinfachung und Verhöhnung - zwischen Rechtsbürgerlich und Rechtsaußen.

Und weil Söder sich dabei wieder und wieder etwas Neues einfallen lassen, sich ständig übertrumpfen muss (es gibt viele Bierzelte und Stammtische in Bayern…), geht halt mal ein Scherz daneben, zahlt ein schlechter Witz schon mal auf das Konto der AfD ein. Jo mei. 

Ordnung und der Anstand sind für ein paar Tage suspendiert

Belassen wir es also dabei? Zwei Anmerkungen noch. Erstens: Der Aschermittwoch war mal im System Politik das, was der Karneval (bestenfalls) im System der Gesamtgesellschaft ist: Der Comment, die Ordnung und der Anstand sind für ein paar Tage und Stunden suspendiert, um die Regeln des Zusammenlebens und Miteinanders für den Rest des Jahres zu stabilisieren. Entsprechend deftig und heftig durfte es zugehen. Heute zielen viele politische Akteure, Beobachter und erst recht die Schnellkommentierer in den (a)sozialen Medien 364 Tage unter die Anstands-Gürtellinie – weshalb der politische Aschermittwoch völlig aus der Zeit gefallen ist, buchstäblich seinen Witz verloren hat. Zweitens: Man kann CSU-Chef Markus Söder  deshalb keine „Entgleisung“ vorwerfen. Überdies ist bekannt, dass sein öffentlicher Humor gern dumpf, deutsch und doof ist, will sagen: Markus Söder ist aschermittwochs ganz bei sich, voll in der Spur – rein Markus Söder.

Bemerkenswert ist Söders politische Stammtischbewirtschaftung in Passau insofern nur deshalb, weil der politische Aschermittwoch auch anderswo stattfand – und anderswo nicht. Die Grünen mussten ihre Veranstaltung in Biberach absagen, weil ein paar hundert Wutbürger die „linken Bevormunder“ blödaggressiv beschimpften, im antibürgerlichen, ahistorischen Parallelschwung mit Söder, Maassen, Wagenknecht, Weidel und ihren „journalistischen“ Kombattanten:  Heizungsstasi, Planwirtschaft, Öko-LPG, Meinungsdiktatur… - die Inflation der DDR-Vergleiche spiegelt inzwischen exakt den qualitativen Wertverlust der politischen Argumentationskultur in diesem Land wider. Drunter geht’s nicht.

Wohl aber anders. Auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst kritisierte die Ampel scharf in seiner Rede, hob aber zugleich hervor, dass die AfD „unser politischer Hauptgegner“ sei: „Es ist unsere Aufgabe als Christdemokraten, klipp und klar auszusprechen, welche Gefahr von diesen Rechtsextremisten ausgeht“, rief Wüst in den Saal, und: „Für uns gilt: Patriotismus statt Populismus. Respekt statt Rassismus. Und Herz statt Hetze.“

Die CDU hat endlich ihren Brandmauer-Sound gefunden

Selbst  Parteichef Friedrich Merz scheint inzwischen verstanden zu haben: Es ist nicht zielführend im Sinne der Demokratie, wenn halb Deutschland meint, an der Seite von Demokratiefeinden die demokratische Partei der Grünen zum  Staatsschädling Nummer eins erklären zu dürfen: Die AfD stehe „nicht für den wirtschaftlichen Abstieg allein“, so Merz im thüringischen Apolda (und diesen Vorwurf erspart er auch den Ampelparteien nicht), sondern auch und exklusiv „für den moralischen Abstieg“.

Die CDU, so scheint es, hat endlich, endlich ihren Brandmauer-Sound gefunden, auch im Hinblick auf die ostdeutschen Bundesländer: Wir sind bürgerlich – die „Alternative für Deutschland“ ist es nicht. Den simplen Unterschied hätte man allerdings auch schon vor Jahren markieren können. Aber damals konstruierte man lieber Parallelen zwischen Björn Höcke und Bodo Ramelow, zwischen Rechtspopulisten und Linksdemokraten - und witterte Hochverrat, wenn liberale Parteifreunde wie Daniel Günther die CDU aufforderten, ihre ewiggestrige Äquidistanz-Doktrin aufzugeben.

Die CDU hat den Aufstieg der AfD lange Zeit indirekt durch Ignoranz und vergleichende Verharmlosung begünstigt, einmal sogar direkt durch den Versuch ihrer Machtbeteiligung in Thüringen – und schließlich fahrlässig durch die Diabolisierung der Grünen, die politische Aufwertung, Pflege und Ausbeutung lebensweltlicher Ekelgefühle: Mobs, die meinen, Wirtschaftsminister Robert Habeck oder Landwirtschaftsminister Cem Özdemir an den Kragen gehen zu dürfen, sind eben nicht nur ein Resultat schlechter Regierungspolitik, sondern auch das Ergebnis rhetorischer Eskalationen (vormals) konservativer, „bürgerlicher Kräfte“, die sich von der AfD vor den Karren eines Kulturkampfs haben ziehen lassen.



Dieser Kulturkampf hat, begünstigt von der Prämierung des Hasses und der Hetze, des Schimpfes und der Schande in den (a)sozialen Medien, den demokratischen Raum geschrumpft - auf Kosten eines liberalen Konservatismus, deren Vertreter auf Straßen-, Sport- und Schützenfesten in den 1980er-Jahren noch zutiefst menschlich, also nachsichtig-lächelnd den Kopf schütteln konnten über „grüne Idealisten“ und „linke Flausen“. So wie es umgekehrt vielen Linken damals noch gegeben war, rechtskonservativen Franz-Josef-Strauß-Anhängern nicht gleich „Faschist“ und „Nazi“ ins Gesicht zu bellen. Die Demonstrationen für die Demokratie sind in ihrer Breite (und nur in ihrer Breite) die Chance und das Versprechen, den „inneren Kulturkampf“ in unseren Demokratien zu beenden – um gemeinsam denen die Stirn zu bieten, die der Demokratie selbst feind sind.   

Hat die Union, hätte auch Markus Söder, das endlich verstanden – so ist und wäre es der erste Schritt zurück zur Macht im Bund. Noch aber ist es nicht soweit. Die Union will wieder regieren, aber sie ist noch nicht regierungsbereit. Sie fordert „Aufbruch, Erneuerung, Modernität“ - und bietet den Deutschen ein Remake der „großen Koalition“ an. Sie ist vereint im Dagegen – und uneins im Wofür. Sie lehnt die Ampel ab – vermag aber noch kein kohärentes Deutschlandbild zu zeichnen.

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