Olaf Scholz auf diplomatischer Mission Der Krisen-Kriegs-Kanzler

Quelle: REUTERS

Erst Tirana, dann Tel Aviv, danach Kairo: Olaf Scholz trifft binnen drei Tagen in drei Ländern auf gleich mehrere Konflikte – Außenpolitik im Ausnahmezustand.

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Olaf Scholz verzieht keine Miene. Dabei wummert die Musik unüberhörbar, und die albanischen Volkstanzgruppen, die keine fünf Meter vor ihm ihre Show präsentieren, geben ihr Bestes. Albaniens Präsident Edi Rama steht direkt neben dem Gast aus Deutschland. Rama ist fast anderthalb Köpfe größer als Scholz und wippt im Takt. Nur ein ganz kleines bisschen, man sieht es kaum, dennoch wirkt der Kanzler daneben gleich noch starrer. Dessen Hände sind bewegungslos ineinandergelegt, er macht das oft: der Scholz-Handshake mit sich selbst ist quasi der Nachfolger der Merkel-Raute.

Es könnte ein schöner Tag sein. Tirana glüht fast in der Spätsommersonne. Die Gastgeber präsentieren sich und ihr Land in den schönsten Farben, nicht zuletzt in einem PR-Video, derart vollgepackt mit Europabegeisterung und Optimismus, dass die anwesenden Staats- und Regierungschefs der EU am Ende fast schon irritiert applaudieren – offenbar haben sie lange nicht mehr so viel Lust auf Zukunft (und auf Brüssel) gesehen.

Ein bisschen Licht

Überhaupt, der Tagungsort in Albaniens Hauptstadt weiß gar nicht, wohin mit seiner ganzen Symbolik: die „Pyramide“ war früher das Museum für den kommunistischen Diktator Enver Hoxhas. Was einst aussah wie die stalinistische Beton-Interpretation eines Maya-Tempels, strahlt nach der Generalsanierung durch niederländische Architekten licht und großzügig, fast futuristisch. Freitreppen führen hinauf auf die Kuppel, unter der nun ein Innovationszentrum einzieht. Ein durch und durch moderner Ort.

Es könnte so ein schöner Tag sein. Wäre da nicht alles andere: Der Terror in Israel samt der neuen Furcht vor einem kriegerischen Flächenbrand im Nahen Osten. Der Krieg in der Ukraine natürlich, der in unverminderter Härte weitermalmt. Und dann der Westbalkan, wegen dem Scholz an diesem Montag hierher geflogen ist: Zwischen Serbien und dem Kosovo reißen gerade unter Gewalt alte Narben auf. Die Migrationskrise ist wieder drängend. Der Einfluss von Moskau und Peking auf die Region macht auch noch große Sorgen.

Berlin-Prozess nennt sich das Format. Scholz hat es von Angela Merkel geerbt, die es vor neun Jahren entwickelt hatte. Ihr Nachfolger hat es sich erklärtermaßen zur Aufgabe gemacht, dieses Erbe entschlossen fortzuführen und die sechs Länder des westlichen Balkans – Albanien, Serbien, das Kosovo, Nordmazedonien, Bosnien-Herzegowina und Montenegro – nicht nur halbherzig näher an, sondern in die Europäische Union zu führen. 

Es muss was passieren

Passiert ist bisher allerdings – kaum etwas. Insgesamt sei in fast einem Jahrzehnt „nur wenig erreicht“ worden, heißt es in einer kritischen Bestandsaufnahme der Bundesakademie für Sicherheitspolitik. Nur Albanien, Serbien und Nordmazedonien führen bereits konkrete Beitrittsverhandlungen, mehr oder minder erfolgreich. Alle sechs Länder hätten jedoch eine EU-Perspektive, beteuert Scholz in Tirana. „Für mich ist ganz klar, dass 20 Jahre nachdem der Beitritt zugesagt worden ist, es auch bald mal so weit sein muss, dass das passiert.“

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Doch allein die jüngsten Spannungen zwischen Serbien und Kosovo zeigen, wie weit der Balkan insgesamt noch unter den Traumata des Jugoslawienkrieges leidet. Zuletzt hatte es serbische Angriffe im Kosovo gegeben, dazu einen Aufmarsch der Armee. Die Außenminister beider Länder akzeptierten jüngst nicht mal ein gemeinsames Foto. 

Dass auf Seiten der EU der ganze Berliner Prozess nicht immer mit aller Entschlossenheit betrieben wurde, führt außerdem dazu, dass in den vergangenen Jahren China und Russland ihre Macht und Beziehungen in der Region strategisch ausgebaut haben. Dazu passt, dass Serbiens Präsident gar nicht erst anreiste. Sondern lieber nach Peking flog.

Darauf bei der Pressekonferenz angesprochen, weichen sowohl Scholz auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen aus. Schon Europas direkte Nachbarschaft kommt also nicht zur Ruhe, von der weiteren gar nicht zu reden. Noch ein weiterer Ort, an dem die Krisenmanagementfähigkeiten Brüssels und Berlins infrage stehen. Aller akuten Diplomatie zum Trotz.



„Polykrisen“ – diesen Begriff hat der Historiker Adam Tooze für diese Zeit geprägt. Scholz und Tooze kennen sich übrigens gut, sprechen immer wieder mal miteinander. Der Kanzler ist nun gerade einer von den Spitzenpolitikern, die inmitten der Kriege und Polykrisen den Überblick nicht verlieren dürfe, den Zugriff, auch nicht den Mut.

Nach dem Besuch in Tirana ging es für Scholz noch am Montagabend zurück nach Berlin. Es folgte eine kurze Nachtruhe, nur um am Dienstagmorgen erst den jordanischen König im Kanzleramt zu empfangen und dann umgehend in den Nahen Osten aufzubrechen. Der Kanzler wird am Dienstag Israels Präsident Benjamin Netanjahu in Tel Aviv für einen Solidaritätsbesuch treffen und am Mittwoch den ägyptischen Präsidenten Al Sisi.

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