Politischer Ausblick 2024 Zerbricht die Ampel in diesem Jahr?

Wie lange hält die Ampel noch durch? Quelle: imago images

Kompromisse fallen SPD, Grünen und FDP immer schwerer. Die wirtschaftspolitischen Aussichten sind so trübe wie die Umfragen. Die vier wichtigen Wahlen in 2024 versprechen keiner der Ampelparteien einen Gewinn. Doch der Wille zum Machterhalt ist ein fester Kitt.

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Nein, er kann es einfach nicht lassen. Auch in seiner Neujahrsansprache stimmte Bundeskanzler Olaf Scholz die Zuschauer in gewohnt ruhigem Ton auf Optimismus ein. Ja, die Zeiten seien schwierig, so Scholz, aber es gebe keinen Grund für Schwarzmalerei. Im Gegenteil sei schon viel erreicht worden, so der Kanzler, Deutschland habe alle Chancen. Also alles in Butter?

Bei Lichte betrachtet kann der Blick auf das neue Jahr keine der drei Koalitionsparteien besonders zuversichtlich stimmen. Zu viele Probleme haben sich angehäuft, zu viel Protest ist überall zu spüren. Beispiele gibt es genug: Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) hat nach der Streichung der Agrardieselförderung gerade erst die geballte Wut der deutschen Bauern zu spüren bekommen. Ob der „anatolische Schwabe“ im neuen Jahr in Baden-Württemberg als Nachfolger für den grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann bestimmt wird, ist ungewiss.

Auch Özdemirs Parteifreund Robert Habeck weiß, wie sich die Wut der Bürger anfühlt. Den Aufstand gegen sein Heizungsgesetz hat der Bundeswirtschaftsminister nicht vergessen. Und klar ist, dass ihn dieses Streitthema auch im neuen Jahr begleiten wird. Zum einen in Gestalt der komplizierten und kaum fristgerecht zu schaffenden kommunalen Wärmeplanung, zum anderen über das Thema Energiepreise. Bleibt der Winter so mild wie bislang, könnte Habeck zwar mit einem blauen Auge davonkommen. Aber es gibt viele Unwägbarkeiten, auch außerhalb des Wetters. Äußerst zweifelhaft ist nämlich auch der von den Grünen propagierte Kohleausstieg 2030. Die dafür mindestens erforderlichen 50 Gaskraftwerke als flexible Reserve sind in der Mehrzahl weder geplant noch gebaut – die Zeit rennt Habeck davon. Damit droht ein Grundpfeiler der Energie- und Klimawende im Konzept der Grünen wegzufallen.

Robert Habeck hält nichts von Abgesängen auf Deutschland. Der Vizekanzler mag im Interview keine Deindustrialisierung erkennen – und rechtfertigt weitere Eingriffe des Staates in die Wirtschaft.
von Cordula Tutt, Max Haerder

Unruhe bei der SPD

Mit erheblichem Bauchgrummeln sind auch viele Sozialdemokraten ins neue Jahr gestartet. Die Tatsache, dass die Bundesregierung 2023 mehr Rüstungsexporte genehmigt hat als je zuvor, stößt in der Bundestagsfraktion auf Missfallen. Die „Zeitenwende“ ihres Kanzlers, so der Eindruck, ist vor allem auf dem linken Flügel der SPD noch nicht angekommen.

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Unwohl ist vielen Genossen aber auch bei dem Gedanken, dass ausgerechnet ihr Arbeitsminister Hubertus Heil Sozialkürzungen für jene Bürgergeldempfänger vorbereitet, die angebotene Jobs nicht annehmen. Und dass Bundeskanzler Olaf Scholz es gegen den weit verbreiteten Wunsch seiner Partei ablehnt, die Schuldenbremse im neuen Jahr ein weiteres Mal auszusetzen, stößt in weiten Teilen der SPD ebenfalls auf Unverständnis und Kopfschütteln.

FDP-Basis begehrt auf

Kaum besser dran ist der FDP-Parteivorsitzende Christian Lindner. Der Bundesfinanzminister musste nicht nur die knallende Ohrfeige des Verfassungsgerichts zur Haushaltspolitik der Bundesregierung entgegennehmen; er steht jetzt auch in der Pflicht, bis zur nächsten Bundestagswahl im Herbst 2025 eine verfassungsrechtlich und finanzpolitisch saubere Etatplanung vorzulegen. Der zähe Streit um die Frage, wie die entstandene Lücke von 17 Milliarden Euro im Haushalt 2024 zu schließen ist, steckt Lindner noch in den Knochen.

Umfragetief und interne Streitereien: In der Ampelkoalition läuft es zurzeit nicht rund. Die FDP hatte ihre Mitglieder daher gefragt, ob die Regierungsarbeit weitergehen soll. Das Ergebnis ist knapp.

Wie zerrüttet die Koalition in der Mitte der Legislaturperiode ist, zeigte sich auch daran, dass der in einer dramatischen Nachtsitzung von Scholz, Habeck und Lindner gefundene Haushaltskompromiss schon wenige Tage später von Vertretern aller drei Ampelparteien wieder infrage gestellt wurde.

Der sich verfestigende Eindruck einer tief zerstrittenen Koalition führte vor allem in der FDP dazu, dass sich immer mehr Mitglieder die Sinnfrage stellten. Ist es vernünftig, in dieser Konstellation weiterzumachen – oder steigt man nicht besser aus, wie in einer Mitgliederbefragung gefordert wurde?

Kann die FDP, die sich in den Umfragen bedrohlich dicht der Fünf-Prozent-Marke nähert, im Dauerclinch mit zwei linken Parteien überhaupt noch Punkte sammeln? Was ist die Strategie? Reicht es aus, sich in dieser Konstellation als politische Kraft zu positionieren, die „das Schlimmste verhindert“, wie Lindner es einmal formulierte? Oder ist das eher kontraproduktiv, weil die Rolle des „Verhinderers“ weder im medialen Mainstream noch bei SPD und Grünen als positiv wahrgenommen wird? Lindner muss sich gleich zu Beginn des neuen Jahres am Dreikönigstag beim traditionellen Treffen der Südwest-FDP im Stuttgarter Opernhaus der schwelenden Unzufriedenheit der FDP-Mitglieder stellen – ein politischer Drahtseilakt.



Umfragetief für die Ampel

Auch vor diesem Hintergrund wollen die Gerüchte nicht verstummen, dass Kanzler Scholz für den Fall der Fälle den Wechsel in eine große Koalition mit der Union vorbereitet. Offiziell werden diese Gedankenspiele sowohl im Kanzleramt als auch in der CDU zurückgewiesen. Aber angesichts der immer weiter gesunkenen Zustimmung ist die Nervosität im Regierungslager mit Händen zu greifen. Mit 32 Prozent für SPD, Grüne und FDP zusammen liegen die Ampelparteien in den letzten Umfragen Ende 2023 gleichauf mit der Union, die ebenfalls auf 32 Prozent kommt.

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Die schwindende Fähigkeit der Ampel, Kompromisse zu finden, die auch halten und durchgesetzt werden, nagt am Zusammenhalt. Blickt man auf die Vorzeichen dieses neuen Jahres, wird die Verständigung zwischen den Partnern nicht leichter: Die deutsche Wirtschaft befindet sich noch im Abschwung, Zeichen für eine durchgreifende Besserung sind nicht in Sicht. Das drückt auf die Steuereinnahmen und verschärft die finanzielle Situation. Weder ist für den Klima- und Transformationsfonds KTF genug Geld da noch ist die Frage geklärt, wie die deutsche Wirtschaft mit den hohen Energiepreisen zurechtkommen wird. Zumal die lockenden Angeboten des Inflation Reduction Act in den USA die drohende De-Industrialisierung Deutschlands zu beschleunigen drohen.

Drohende Wahlerfolge der Rechtsradikalen

Die Frage, ob die Ampelkoalition bis 2025 hält oder schon in diesem Jahr an ihren internen Schwierigkeiten zerbricht, wird auch in den vier Wahlen entschieden, die 2024 anstehen: Zum einen die Europa-Wahl am 9. Juni, zum anderen die drei Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen im Herbst. In allen vier Entscheidungen drohen Rechtspopulisten und Rechtsradikale zur dominieren oder gar zur stärksten Kraft aufzusteigen. Und auch für die drei Ampelparteien bedeuten die vier Wahlen nichts Gutes. Die Sozialisten in Europa liegen derzeit klar zurück und im Osten Deutschlands können weder SPD, Grüne noch FDP punkten – mit Ausnahme von Brandenburg vielleicht, wo die SPD allerdings in der letzten Umfrage als stärkste Kraft von der AfD verdrängt wurde.

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Allerdings werden Umfragen oft überschätzt, wohingegen das Interesse von Regierungsparteien am Machterhalt in aller Regel unterschätzt wird. Da ein Bruch der Koalition und ein vorzeitiges Ende der Ampel keiner der drei Parteien nutzen dürfte, wird der gegenseitige Frust wahrscheinlich vom Willen wettgemacht, den schönen Status Quo im Regierungsamt nicht zu gefährden. Machterhalt ist ein fester Kitt – auch zwischen zerstrittenen Partnern.  Nicht zuletzt hat gerade der vergangene Bundestagswahlkampf gezeigt, wie schnell sich die Stimmung drehen kann. Noch im Frühjahr 2021 lag die SPD in allen Umfragen hoffnungslos hinter der Union zurück. Der kürzeste Witz im Berliner Regierungsviertel lautet damals: „Olaf Scholz wird Kanzler“. Man könnte den Witz heute variieren mit „Olaf Scholz bleibt Kanzler“. Aber ob dann noch jemand lacht?

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