Ein US–Professor packt sie auf seine Liste der Schande. Und in den sozialen Medien werden sie munter attackiert: Unternehmen, die in Russland noch immer im Geschäft sind. Hier ist viel Gratismut im Spiel. Angesichts des russischen Angriffskriegs kann moralisch nicht falschliegen, wer den Sofortabzug fordert: keine blutigen Profite! Raus aus Russland – koste es, was es wolle.
Aber so einfach ist es nicht. Viele Unternehmen sind mit der Entscheidung überfordert. Ein mies laufendes Vertriebsbüro schließen und sich für den Rückzug feiern ist leicht. Aber darf ein angestellter Manager mal eben zehn Prozent seines Geschäfts abschreiben – und riskieren, dass ganze Fabriken enteignet werden?
Familienfirmen wie Tengelmann, die gerade ihre russischen Obi-Märkte verschenkt haben, fällt das leichter. Börsennotierte Konzerne aber sind Aktionären verpflichtet, sollen und müssen in den Kategorien von Angebot und Nachfrage, Umsatz und Gewinn denken. Nur so funktioniert die Steuerung von Ressourcen in der Marktwirtschaft. Viele Manager eiern deshalb jetzt herum. Sie berufen sich auf Verpflichtungen gegenüber russischen Mitarbeitern und auf die Grundversorgung der Bevölkerung, führen entschuldigend Haftungsrisiken an (Aktionäre könnten auf Untreue klagen) oder versprechen, in Russland erzielte Gewinne zu spenden, so wie Ritter Sport.
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Aber warum sollen Manager deutscher Unternehmen in Sack und Asche gehen, während Deutschland Putin mehrere Hundert Millionen Euro täglich für Erdgas überweist? Unternehmen brauchen stabile Rahmenbedingungen und eine beispielhafte politische Führung, dann darf man von ihnen auch politisches Handeln erwarten. Nicht aber, wenn etwa Gas aus Russland lange Zeit hochwillkommen war, weil es Deutschlands Abhängigkeit vom Öl aus Saudi-Arabien dämpfte – nun aber plötzlich nicht mehr.
Eine klare Wertorientierung im Global Business? Joe Kaeser handelte als Siemens-Chef nach dem Shareholder-Value-Prinzip „The business of business is business“; fiel durch freundschaftlich gemeinte Trips zu Putin auf und zum Saudi-Despoten bin Salman. Als altersmilder Aufsichtsrat schrieb er sich dann „The business of business is to serve society“ in sein Profil.
Selbstverständlich sollen Unternehmen die gesellschaftlichen Folgen ihres Handelns im Blick haben, allein schon, weil auch das Image ein flüchtiges Gut ist und nachhaltiges Wirtschaften allemal erfolgreicher als das Gieren nach dem Quartalsprofit. Den politischen Rahmen aber müssen Parlament und Regierung setzen. Wenn die Politik will, dass sich Unternehmen aus Russland zurückziehen, muss sie einen Boykott verordnen.
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