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Rückzug aus Russland gibt es nur bei verordnetem Boykott

Hauke Reimer
Hauke Reimer Stellvertretender Chefredakteur WirtschaftsWoche

Der Staat mischt sich liebend gern in die Wirtschaft ein. Ist das Primat der Politik aber tatsächlich mal gefordert, lässt diese die Unternehmen allein.

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Ein US–Professor packt sie auf seine Liste der Schande. Und in den sozialen Medien werden sie munter attackiert: Unternehmen, die in Russland noch immer im Geschäft sind. Hier ist viel Gratismut im Spiel. Angesichts des russischen Angriffskriegs kann moralisch nicht falschliegen, wer den Sofortabzug fordert: keine blutigen Profite! Raus aus Russland – koste es, was es wolle.

Aber so einfach ist es nicht. Viele Unternehmen sind mit der Entscheidung überfordert. Ein mies laufendes Vertriebsbüro schließen und sich für den Rückzug feiern ist leicht. Aber darf ein angestellter Manager mal eben zehn Prozent seines Geschäfts abschreiben – und riskieren, dass ganze Fabriken enteignet werden?

Familienfirmen wie Tengelmann, die gerade ihre russischen Obi-Märkte verschenkt haben, fällt das leichter. Börsennotierte Konzerne aber sind Aktionären verpflichtet, sollen und müssen in den Kategorien von Angebot und Nachfrage, Umsatz und Gewinn denken. Nur so funktioniert die Steuerung von Ressourcen in der Marktwirtschaft. Viele Manager eiern deshalb jetzt herum. Sie berufen sich auf Verpflichtungen gegenüber russischen Mitarbeitern und auf die Grundversorgung der Bevölkerung, führen entschuldigend Haftungsrisiken an (Aktionäre könnten auf Untreue klagen) oder versprechen, in Russland erzielte Gewinne zu spenden, so wie Ritter Sport.

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Diese Unternehmen wenden sich von Russland ab
LindeAngesichts der Sanktionen gegen Russland stehen beim Gasekonzern Linde Anlagenbau-Projekte im Volumen von bis zu zwei Milliarden Dollar zur Disposition. Per Ende März habe Linde Verträge in dieser Höhe, etwa für Anlagen zur Gasverflüssigung, in Russland in den Büchern gehabt, teilte der amerikanisch-deutsche Konzern am 28. April bei Vorlage der Quartalszahlen mit. Von Sanktionen nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine seien im ersten Quartal bereits Projekte im Volumen von rund 350 Millionen Dollar betroffen gewesen oder seien voraussichtlich betroffen. Linde hatte das Neugeschäft in Russland gestoppt und ist dabei, die Aktivitäten dort nach und nach zurückzufahren: Bestimmte Kunden würden nicht mehr beliefert, zumindest von einem Teil der Anlagen wolle man sich trennen. Für das zweite Halbjahr hat Linde keine Umsätze aus Russland mehr in seinen Planungen berücksichtigt. Quelle: dpa
BASFDer Chemiekonzern BASF stoppt wegen des Krieges in der Ukraine seine Aktivitäten in Russland und Belarus. Eine Ausnahme sei das Geschäft zur Unterstützung der Nahrungsmittelproduktion, teilte der Ludwigshafener Konzern am 27. April mit. Seit März schließt BASF bereits keine neuen Geschäfte mehr in den Ländern ab. Wegen der jüngsten Entwicklungen in dem Krieg und den von der EU verhängten Sanktionen gegen Russland habe der Konzern nun entschieden, auch die bestehenden Aktivitäten in Russland und Belarus bis Anfang Juli einzustellen. Derzeit hat BASF 684 Beschäftigte in den beiden Ländern, diese sollen bis zum Jahresende weiter unterstützt werden. Die Geschäfte in Russland und Belarus machten im vergangenen Jahr rund ein Prozent des Konzernumsatzes aus, in der Ukraine waren es 0,2 Prozent.Mehr dazu lesen Sie hier: BASF stoppt Neugeschäft in Russland. Quelle: dpa
SAPDer Softwarekonzern gab am 19. April bekannt, den russischen Markt endgültig zu verlassen. Das Unternehmen kündigte zwei weitere Schritte „für den geordneten Ausstieg aus unserem Geschäft in Russland“ an. Hinsichtlich seiner Cloud-Dienste hatte SAP nicht von Sanktionen betroffene Unternehmen bereits vor die Wahl gestellt, Daten löschen zu lassen, diese in Eigenregie zu übernehmen oder sie in ein Rechenzentrum außerhalb von Russland zu überführen. SAP kündigte nun an, die Verträge russischer Firmen, die sich für eine Migration der Daten ins Ausland entschieden hätten, nach Ablauf der Abonnementlaufzeit nicht zu verlängern. Zudem beabsichtige SAP, den Support und die Wartung für Produkte, die auf lokalen Servern in Russland installiert sind (On-Premise), einzustellen. „Wir prüfen derzeit verschiedene Optionen, wie sich diese Entscheidung umsetzen lässt“, teilte das Unternehmen mit. Das Hauptaugenmerk liege darauf, den rechtlichen Verpflichtungen gegenüber nicht-sanktionierten Kunden weiter nachzukommen. Bereits Anfang März hatte SAP erklärt, sich den Sanktionen anzuschließen und das Neugeschäft in Russland wie auch Belarus einzustellen. Das beinhaltete allerdings nicht Dienstleistungen gegenüber Bestandskunden wie Wartungen oder Cloud-Dienste, die zunächst weiter angeboten wurden. Medienberichten zufolge soll diese Entscheidung intern von Mitarbeitern kritisiert worden sein. Mehr dazu lesen Sie hier. SAP macht nicht öffentlich, wie groß das Geschäft in Russland ist. Aus dem Integrierten Bericht 2019 – den letzten verfügbaren Daten – geht hervor, dass die russische Tochtergesellschaft unkonsolidiert im Jahr knapp 483 Millionen Euro umsetzte. Quelle: imago images/photothek
HenkelDer Konsumgüterkonzern gibt sein Russland-Geschäft nun doch auf. Das Unternehmen hinter Marken wie Persil, Schwarzkopf und Fa kündigte am 19. April an, es habe angesichts der aktuellen Entwicklung des Ukraine-Krieges beschlossen, seine Aktivitäten in dem Land einzustellen. „Der Umsetzungsprozess wird nun vorbereitet.“ Henkel werde mit seinen Teams in Russland an den Details arbeiten, um einen geordneten Ablauf zu gewährleisten, hieß es. Währenddessen würden die 2500 Beschäftigten von Henkel in Russland weiterbeschäftigt und -bezahlt. Die mit der Entscheidung verbundenen finanziellen Auswirkungen des geplanten Ausstiegs für Henkel könnten zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht näher quantifiziert werden. Henkel hatte mit dem Schritt lange gezögert. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine Ende Februar hatte der Konzern zwar entschieden, alle geplanten Investitionen in Russland zu stoppen sowie Werbung und Sponsoring einzustellen. Die dortige Produktion sollte jedoch weiterlaufen. Dafür gab es auf der Hauptversammlung Anfang April Kritik von Aktionären, die etwa einen Reputationsschaden für Henkel fürchteten. Quelle: REUTERS
Dr. OetkerAuch der Nahrungsmittelhersteller Dr. Oetker zieht sich wegen des Ukraine-Krieges komplett aus Russland zurück. Das Familienunternehmen teilte am 8. April mit, dass es alle Anteile an seiner Russlandtochter an die bisherigen russischen Geschäftsführer verkaufe und damit sämtliche Aktivitäten in dem Land beende. Das Unternehmen hatte bereits direkt nach dem russischen Überfall auf die Ukraine alle Exporte nach Russland, alle Investitionen in die russische Schwestergesellschaft sowie sämtliche nationalen Marketingaktivitäten gestoppt. Das von Dr. Oetker in der Stadt Belgorod betriebene Nährmittelwerk produzierte seitdem nach Unternehmensangaben nur noch Grundnahrungsmittel wie Hefe und Backpulver für die russische Bevölkerung. Quelle: imago images
IntelDer Chip-Hersteller Intel stellt ab dem 6.April alle Geschäfte in Russland ein. Es seien Vorkehrungen getroffen worden, dass das weltweite Geschäft dadurch so gering wie möglich beeinträchtigt werde, teilt der Chip-Hersteller mit. Quelle: dpa
DecathlonDer französische Sportausrüster Decathlon stellt sein Geschäft in Russland ein. Das teilte das Unternehmen am 29. März mit. Die Lieferbedingungen unter strikter Beachtung der internationalen Sanktionen ließen eine Fortsetzung der Aktivitäten nicht mehr zu, teilt der Konzern mit. Decathlon ist im Besitz der französischen Unternehmerfamilie Mulliez, der unter anderem auch die Supermarktkette Auchan gehört. Zuletzt war der Druck auf die Familie gewachsen, ihre Geschäfte in Russland einzustellen. Auchan erklärte jedoch kürzlich, dort präsent zu bleiben. Andernfalls würden ein Verlust von Vermögenswerten und juristische Probleme für Auchan-Manager befürchtet. Auchan hat rund 30.000 Angestellte in Russland, Decathlon etwa 2500. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte heimische Konzerne vor Reputationsschäden gewarnt, wenn sie in Russland bleiben. Quelle: imago images

Aber warum sollen Manager deutscher Unternehmen in Sack und Asche gehen, während Deutschland Putin mehrere Hundert Millionen Euro täglich für Erdgas überweist? Unternehmen brauchen stabile Rahmenbedingungen und eine beispielhafte politische Führung, dann darf man von ihnen auch politisches Handeln erwarten. Nicht aber, wenn etwa Gas aus Russland lange Zeit hochwillkommen war, weil es Deutschlands Abhängigkeit vom Öl aus Saudi-Arabien dämpfte – nun aber plötzlich nicht mehr.

Eine klare Wertorientierung im Global Business? Joe Kaeser handelte als Siemens-Chef nach dem Shareholder-Value-Prinzip „The business of business is business“; fiel durch freundschaftlich gemeinte Trips zu Putin auf und zum Saudi-Despoten bin Salman. Als altersmilder Aufsichtsrat schrieb er sich dann „The business of business is to serve society“ in sein Profil.

Selbstverständlich sollen Unternehmen die gesellschaftlichen Folgen ihres Handelns im Blick haben, allein schon, weil auch das Image ein flüchtiges Gut ist und nachhaltiges Wirtschaften allemal erfolgreicher als das Gieren nach dem Quartalsprofit. Den politischen Rahmen aber müssen Parlament und Regierung setzen. Wenn die Politik will, dass sich Unternehmen aus Russland zurückziehen, muss sie einen Boykott verordnen.

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