Solidaritätszuschlag Lindner streicht den Rest-Soli – aber nur im Netz

German Finance Minister Christian Lindner attends the weekly cabinet meeting of the German government at the chancellery in Berlin Germany, Wednesday, Jan. 11, 2023. (AP Photo/Markus Schreiber) Quelle: AP

Peinlicher Auftritt im Internet: FDP-Parteichef Christian Lindner kämpft gegen den Solidaritätszuschlag. Doch auf der Homepage des Bundesfinanzministeriums wurde die Abgabe noch im Februar als sozial gefeiert.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Der Internet vergisst nichts, heißt es. Manchmal vergessen aber dessen Nutzer, was sie mal auf ihre Websites gestellt haben. Das kann unangenehm werden. Etwa, wenn der Chef spitz bekommt, was dort (noch) steht – und ihm das gar nicht gefällt. So gerade im Bundesfinanzministerium geschehen. Dessen Chef Christian Lindner ist ein vehementer Gegner des Solidaritätszuschlages. Doch auf den offiziellen Seiten des Hauses stand auch mehr als zwei Jahre nach dessen Amtsantritt noch immer eine Eloge auf den Rest-Soli.

Wer auf Fragen und Antworten zum Solidaritätszuschlag klickte, konnte auf der Website des Bundesfinanzministeriums erstaunliches lesen: „Den Solidaritätszuschlag auch für Spitzenverdiener abzuschaffen, hätte (...) eine erhebliche soziale Unwucht. Allein für einen Vorstandschef eines Dax-Unternehmens (zu versteuerndes Einkommen: 7,5 Mio. Euro, verheiratet, keine Kinder) liefe dies auf eine Steuersenkung von mehr als 183.000 Euro pro Jahr hinaus.“

Weiter stand auf der offiziellen Website: Der Rest-Soli sei „verfassungskonform“ und dafür da, den „aufgabenbezogenen Mehrbedarf“ des Bundes zu finanzieren. Es sei überdies „mit dem Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes vereinbar, dass Personen mit Spitzeneinkommen nicht von der weitgehenden Abschaffung des Solidaritätszuschlages profitieren“.

Starker Tobak für ein Ministerium, das vom FDP-Bundesvorsitzenden geführt wird, der seit Jahren vehement gegen den Soli kämpft. Lindner hatte sogar 2017 die angepeilte Jamaika-Koalition von Union, Grünen und FDP platzen lassen, weil sich die CDU-Vorsitzende und damalige Kanzlerin Angela Merkel noch strikt weigerte, den Soli abzuschmelzen.

Altlast von Scholz

Des Rätsels Lösung für das ungewöhnliche politische Statement pro Rest-Soli im Lindner-Ministerium lautet: Das FAQ auf der BMF-Website stammt aus dem Jahre 2020 – und damals hieß der Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD). Dieser hatte sich zu einer teilweisen Abschaffung des Solis durchgerungen, aber nur bis zu einem zu versteuernden Einkommen von knapp 70.000 Euro.



Nach dem Amtswechsel von Scholz zu Lindner im Dezember 2021 fühlte sich offenbar niemand im Finanzministerium bemüßigt, die nun heikle Webposition pro Rest-Soli zu revidieren. Selbst als die WirtschaftsWoche Ende Januar 2024 (!) nachfragte, ob dies tatsächlich geltende Meinung des Hauses sei, lautete die Antwort: „Wir haben derzeit nichts hinzuzufügen.“

Besonders brisant ist die Aussage, weil derzeit eine Verfassungsbeschwerde von führenden FDP-Politikern in Karlsruhe aufgerollt wird. Die US-Wirtschaftskanzlei White & Case hat dies „namens und im Auftrag“ von sechs Spitzenliberalen im August 2020 getan. Pikant: Zwei von ihnen, Florian Toncar und Katja Hessel, arbeiten inzwischen als Staatssekretäre im Bundesfinanzministerium; ein dritter, Christian Dürr, ist heute FDP-Fraktionschef im Bundestag. Karlsruhe bat jüngst verschiedene wissenschaftliche Koryphäen, Spitzenverbände und andere Stakeholder um Stellungnahmen bis Ende Januar. Das höchste deutsche Gericht sieht offenbar die Zeit für gekommen, sich intensiv und vielleicht endgültig mit dem Solidaritätszuschlag zu befassen.

„Nicht gefunden – not found“

Umso peinlicher ist es für die FDP und Lindner, wenn das von Liberalen geführte Bundesfinanzministerium offiziell auf der Website genau diesem Rest-Soli das Gütesiegel „verfassungskonform“ gibt. Entsprechend dürfte Bundesfinanzminister Lindner not amused gewesen sein. Offenbar folgte auf den Soli-Artikel in der WirtschaftsWoche eine klare Ansage. Die betreffende Website wurde im Februar abgeschaltet. Wer sie aufrufen will, liest „Nicht gefunden – not found“.

Offiziell heißt es aus dem BMF auf Nachfrage, die Internetseiten würden regelmäßig auf Aktualität überprüft. Mit einem Klick hat Lindner die Eloge auf den Rest-Soli abschalten lassen.

Altersvorsorge Drohender Renten-Schock: Die hochriskanten Investments der Versorgungswerke

Berufsständische Versorgungswerke erwirtschaften Renten für Ärzte, Anwälte und Mediziner. Doch sie haben Geld überaus riskant angelegt – mit potenziell dramatischen Folgen.

Frauenförderung à la Siemens Siemens-Managerin klagt an: Nutzt der Konzern Compliance als Mitarbeiter-Entsorgungstool?

Der Fall einer Siemens-Managerin, die schwanger wurde und nun um ihren Job kämpfen muss, erschüttert den Dax-Konzern. Nun droht der mit ihr verheiratete Personalchef in Mitleidenschaft gezogen zu werden.

Selbstversuch Der Weg zum eigenen Wald – für kleines Geld

Unser Autor träumt von einem Wald. Er bekommt ihn für wenig Geld bei einer Zwangsversteigerung.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Das endgültige und reale Ende der Abgabe können Lindner und seine Leute nicht einfach so besiegeln. Dafür braucht es das Bundesverfassungsgerichts. Ob und wann das Gericht entscheidet, ist noch offen. Karlsruhe will in den nächsten Tagen sein Jahresarbeitsprogramm für 2024 bekanntgeben. Vielleicht steht der Soli dann auf der Liste.

Lesen Sie auch: Der Steuerstandort Deutschland wird zum Existenzrisiko

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%