Verkehr Diese Kosten entstehen durch Staus

Lkw und Pkw stauen sich auf der A9 vor dem Schkeuditzer Kreuz in Richtung München. Die Zahl der Staus hat laut dem ADAC seit dem Corona-Tief 2020 wieder zugenommen. Quelle: dpa

Abertausende Stunden haben die Deutschen im Jahr 2023 durch Staus verloren. Doch die Folgen gehen über den reinen Zeitverlust hinaus: volkswirtschaftliche Verluste in Milliardenhöhe.

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Auf Deutschlands Straßen wird wieder mehr gestanden – nicht nur bei Demonstrationen der Landwirte oder gegen die AfD, sondern auch im Stau. Der Staureport des Autoclubs ADAC für das Jahr 2023 bestätigt den Trend: Nachdem der Verkehr und damit auch die Staus im Zuge der Pandemie 2020 deutlich eingebrochen waren, geht es nun wieder aufwärts. 427.000 Stunden haben Autofahrerinnen und Autofahrer demnach im vergangenen Jahr durch Staus verloren.

Und das kostet: Der Verkehrsexperte Kay Axhausen von der ETH Zürich rechnet in einer aktuellen Untersuchung in der Schweiz für die Zeitkosten zwischen 20 und 30 Franken – übertragen auf Deutschland sind das etwa 21 bis 32 Euro pro Stunde. Das deckt sich mit früheren Erhebungen. „Damit werden die Kosten der durch Staus verlorenen Zeit bewertet“, sagt Axhausen. „Die Annahme hinter diesen Kosten ist, dass die Menschen in dieser Zeit etwas anderes hätten tun können.“

Übertragen auf die Staubilanz des ADAC für Deutschland wären das allein 13,6 Millionen Euro an direkten Zeitkosten. Allerdings sei Vorsicht geboten, sagt Christoph Walther, Forschungsleiter der PTV Group. Denn der Automobilclub definiere die Staustunden unabhängig von der Zahl der im Stau stehenden Autos und der Fahrspuren. Die Zahl der Personenstunden – und das sei die entscheidende Größe – könne um den Faktor 500 bis 1000 abweichen. Er hält daher Zeitkosten von rund 10 Milliarden Euro für durchaus plausibel.

Verkehrsforscher, Umweltexperten und Ökonomen sind sich jedoch einig: Die wahren Kosten gehen über den Zeitverlust hinaus. In einer Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln zu externen Kosten des Straßenverkehrs heißt es: „Es gibt Schätzungen, dass Staus in Städten für volkswirtschaftliche Schäden verantwortlich sind, welche die externen Kosten von Unfällen, Luftverschmutzung und Klimawandel um ein Mehrfaches übertreffen können.“

Bereits 2014 prognostizierte das Londoner Centre for Economics and Business Research, dass die volkswirtschaftlichen Staukosten in Deutschland sich bis 2030 auf insgesamt 520 Milliarden Euro summieren könnten. Darin enthalten waren unter anderem Kraftstoffkosten, Folgekosten der Abgase für Umwelt und Gesundheit sowie erhöhte Ausgaben der Unternehmen für den Warentransport. Zwar fehlt eine einheitliche Methodik in der Wissenschaft, aufs Jahr gerechnet wird die Milliarden-Grenze jedoch bei allen bisherigen Analysen zuverlässig geknackt.

Die gute Nachricht ist, soweit muss es nicht kommen: „Die Entscheidungsmöglichkeiten, die Menschen in der Praxis haben, können unterschiedlich sein. Neben einer alternativen Route kann es auch eine alternative Abfahrtszeit oder die Entscheidung für ein anderes Ziel – beispielsweise ein anderes Skigebiet – sein“, sagt Axhausen. Wer also nicht im Stau stehen will, kann das – je nach Situation – durch sein Verhalten beeinflussen.

Stau: Gibt es Hoffnung?

Zur Hilfe kommt den Autofahrern dabei die Digitalisierung in den Fahrzeugen und die mit ihr einhergehende Verfügbarkeit von Daten sagt Michael Ortgiese vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Ziel aktueller Bemühungen sei es, dass Navigationssysteme künftig nicht nur eine alternative Route als Option anbieten, sondern diese auch nach ihrer Leistungsfähigkeit bewerten. Um das Auto nicht von einem Stau in den nächsten zu lotsen, könnte so eine längere – aber sicher staufreie – Route vorgeschlagen werden.

Auch Staus, die durch falsches Bremsverhalten der Verkehrsteilnehmer entstehen, könnten in Zukunft vermieden werden. Dazu, so Ortgiese, brauche es nicht einmal das vollautonome Auto. Bereits heute übliche Assistenzsysteme, die den Abstand zum Vordermann überwachen, reichen aus, um solche Staus einzudämmen. Je höher der Anteil der Fahrzeuge, die Technologien wie Fahrassistenten nutzen, desto besser.



Dieser Ansicht ist auch der ETH-Experte: „Das autonome Fahren wird dazu beitragen, dass der Verkehrsfluss stabiler wird und deshalb auch weniger Staus entstehen.“ Doch leider könnte dieser Effekt schnell verpuffen. „Diese kapazitätserhöhende Wirkung des autonomen Fahrens ist da, aber sie ist nicht riesig. Zu befürchten ist zudem, dass als Folge mehr gefahren wird, der Effekt würde dadurch aufgefressen“, sagt Axhausen.

Wer nun der Ansicht ist, ein Ausbau des Verkehrswegenetzes sei eine Lösung, für den hat das Umweltbundesamt eine schlechte Nachricht: Diese Hoffnung habe sich als unerfüllbar erwiesen, heißt es in einer Analyse der Behörde.

Sowohl beim DLR als auch bei der ETH ist man sich einig: Die naheliegendste Option ist die verstärkte Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Laut Ortgiese arbeiten seine Kollegen an so genannten Incentive-Methoden, das heißt, sie wollen die Menschen dafür belohnen, dass sie ihr Verhalten ändern. Beispielsweise könnte eine App dem Nutzer bei hoher Staugefahr eine Alternative vorschlagen, die auf seinem persönlichen Mobilitätsverhalten basiert. Das kann zu Fuß gehen, das Fahrrad oder auch Bus und Bahn sein.

Letztlich müssen die Menschen aber auch mitziehen. Gute Angebote allein reichen nicht aus. Das zeigt auch das Beispiel des Deutschland-Tickets, das den Nahverkehr für Vielfahrer in Deutschland deutlich günstiger und vor allem einfacher gemacht hat. „Dass das Deutschland-Ticket – wie von vielen erhofft – möglichst viele Pendler und Pendlerinnen zum Umstieg auf den ÖPNV bewegt und Staus reduziert, findet sich in der Staubilanz nicht wieder“, hieß es von ADAC-Verkehrsexperte Jürgen Berlitz.

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Kein Ausweg also? Nicht ganz, sagt Axhausen: „Eine ganz klare Methode, um den Stau zu reduzieren, ist die Bepreisung: Dynamische Straßengebühren also, mit denen man den Autofahrern signalisiert, wenn ihr zu diesem Zeitpunkt fahren wollt, steht ihr miteinander um die Nutzung in Konkurrenz, daher verlangen wir einen hohen Preis.“ Diese Lösung hält er jedoch für unpopulär in der Bevölkerung, die Umsetzung wäre seiner Meinung nach nicht das Problem.

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Transparenzhinweis: Dieser Artikel wurde erstmals am 8. Februar veröffentlicht, wir haben ihn um weitere Fakten ergänzt und zuletzt am 15. Februar 2024 aktualisiert.

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