Widerworte
Wollen nicht auf Subventionen: Seit Wochen gehen die Landwirte auf die Barrikaden. Quelle: imago images

Gimme, Gimme, Gimme!

Alle wollen was, alle halten die Hand auf, es gibt mehr Hilfspakete als zur Zeit der Berliner Luftbrücke. Über den legalen Diebstahl von Zukunft. Eine Kolumne.

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Vor kurzem hatte ich, wie man auf neudeutsch sagt, Beef mit einem Lobbyisten. Ich kenne den schon länger. Netter Mensch, gebildet, differenziert, keiner dieser Gemüsehobelverkäufer, die sich und ihren Verein hochjubeln, dass man die Bedeutung des Wortes Fremdschämen gar nicht mehr im Duden nachschlagen muss. Angenehm. Eigentlich.

Aber das Eigentliche hört sich auf, wenn es ums Geld anderer Leute geht, das wiederum bei den Leuten, die es verwalten, locker sitzt.

Und so lobte er die Hilfspakete für seine Branche, eins nach dem anderen, über den grünen Klee. Das wäre, wie er meinte, doch auch ein Zeichen für Solidarität und Empathie und überhaupt ein tolles Signal für den Standort Deutschland.

Ich fragte ihn daraufhin, ob er den klugen Satz kenne, dass manche Sachen so falsch sind, dass nicht mal ihr Gegenteil stimmt?

Nein, sagte er heiter, warum auch?

Ja, warum?

Erstmal: Ich bin gar nicht gegen Hilfen, die nötig sind, wenn unvorhergesehene Krisen ausbrechen. Und auch die sogenannte Schuldenbremse kann kein Dogma sein, das gilt sowohl für ihre Befürworter als auch für jene, die meinen, dass Geld anderer Leute denen sowieso nicht zusteht.

Aber in vielen Branchen, siehe Landwirtschaft und Industrie, herrscht ja immer Krise, ist ja immer alles unvorhersehbar, ist die Disruption ein willkommener Anlass, um mehr Knete vom Staat zu fordern.

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von Wolf Lotter

Der mehr als träge Strukturwandel ist ein deutliches Zeichen dafür, was seit Jahren schiefläuft. Was subventioniert wird, bleibt, wie es ist. Es sind eben keine Investitionen in die Zukunft, sondern in den Erhalt des Status Quo. Die Folge ist klar: Es ist geradezu zum Geschäftsmodell geworden, nichts mehr zu riskieren oder an Innovationspotenzial anzufassen, was nicht auch subventioniert wird oder vom Gesetzgeber her anderweitig begünstigt. Aus der sozialen Marktwirtschaft ist eine Rabattaktion geworden. Wer was unternimmt, ist der Dumme. Deshalb wird das nicht der letzte Beef mit Lobbyisten gewesen sein, ich glaube, das fängt grade erst an.

Weniges fasst unsere missliche Lage und unsere völlige Fehleinschätzung von Hilfe und Solidarität so zusammen wie diese kurze Begegnung. Ich komme jetzt gar nicht mit jenen Haudegen, von denen einst Joseph Schumpeter schwärmte, weil er diese Unternehmer, unabhängig und eigensinnig und stolz, als Motor des Wohlstands früherer Tage sah, so wie er, schon vor mehr als 80 Jahren, deren Nachfolger vielfach als „Waschlappen“ titulierte. Leute, die ständig Hilfspakete für ihre Branchen brauchen, sind Leute, die sehr gut zur Politik passen, die, um in modernen Konsumgesellschaften erfolgreich zu sein, Klienten braucht, denen sie helfen kann.

Jeder hat seine Stammlobbys, auf die er mit Steuergeldern geschnürte Carepakete regnen lässt. Es sind, das lässt sich jederzeit nachprüfen, fast immer Industrien alten Schlags, oder Fabrikserrichtungen, die so tun, als ob sie den Fortschritt ins Land bringen würden, denn eine miserable Strukturpolitik und die Unfähigkeit, Wissensökonomien zu akzeptieren, über Jahrzehnte vernachlässigt haben. Dass in Europa und in den USA endlich der Groschen gefallen ist, dass wir die sensiblen und wichtigen Produktionen nicht in Diktaturen wie China auslagern sollten, ist angesichts der politischen Entwicklung richtig.

Wir spielen Wirtschaft

Womit wir bei der Sache sind, die so falsch ist, dass nicht mal ihr Gegenteil richtig ist. Dass Intel in Deutschland allein mehr Subvention (9,9 Milliarden Euro) bekommt, als das Unternehmen zuletzt anständig an Gewinn gemacht hat (8 Milliarden US-Dollar in 2022), ist absurd. Unsere Politiker beugen sich aber Drohungen schon, bevor sie ausgesprochen sind. Endlos lange hat die deutsche, nein, die europäische Politik wirkliche Innovationskultur vernachlässigt. Transformation war was für Sonntagsreden. Das soll nun mit viel Steuergeld nachgekauft werden. Das viele Geld, mit dem man sich dann mediengerecht als Wirtschafts-Retter feiern lassen kann, wird einmal mehr verloren sein. Und der Erziehungseffekt für alle jungen Unternehmerinnen und Unternehmer ist evident: Stell dich gut mit der Politik. Eine Hand wäscht die andere. Schumpeter wusste schon, warum er in diesem Zusammenhang von Waschlappen sprach.



Wir haben eine Wirtschaftskultur erzeugt, in der sich alle wie Hilfsbedürftige verhalten, die darauf warten, dass ein Gesetz verabschiedet wird, dass an die Stelle unternehmerischer Neugierde und Innovationsfähigkeit getreten ist. Die Vorschrift sorgt fürs Geschäft, denn mit der Vorschrift gibts auch Geld, Subvention. So regnet es mehr Carepakete als zu Zeiten der Berlin-Blockade, und aus den Hilfspaketen und Förderungen ist längst die neue Normalität entstanden. Wird das infrage gestellt, singt der Eunuchenchor der politisch kastrierten Wirtschaftslobby und der Arbeitnehmerverbände gleich das große Klagelied von den Arbeitsplätzen und der Strukturschwäche. Das beide Defizite durch jahrzehntelanges Eigenverschulden, durch Liegenlassen, bockige Anti-Transformation verursacht sind, will niemand hören.

Wer ist schuld? Alle, die diese Leute gewähren lassen, also unsereins.

Die Nutznießer wie die, die hoffen, zu ihnen zu gehören, und die wider besseres Wissens dennoch schwiegen oder sogar zustimmen und jubeln, wenn wieder mal statt ehrlicher Kritik nur Schönreden gefragt ist. Wir sind schuld. Wir lassen uns das gefallen. Wir ärgern uns höchstens, dass wir nichts kriegen diesmal.

Wir spielen Wirtschaft. Doch das wird nicht genügen.

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Zu dieser Realität gehört die Kostenwahrheit. Und echte, gelebte Einsicht, dass sich in Sachen Innovationsfähigkeit etwas ändern muss im Land. Dass man nicht auf Kosten der Kleinen und Mutigen ständig den Großen Milliarden nachwerfen kann, weil das größere Schlagzeilen und lauteren Applaus gibt – für ein paar Stunden. Und dass auch die Kleinen nicht immer so klein sind, wie ihre Lobbys behaupten. Politiker und Wehklagende von heute gehen irgendwann in Rente.

Die Realität nicht.

Sie bleibt.

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