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Quelle: dpa Picture-Alliance

Die vermeintliche Macht der Industrieverbände

Aus den einst mächtigen Industrieverbänden Deutschlands scheinen heute relativ machtlose Lobby-Gruppen geworden zu sein. Doch einst prägten sie aktiv Deutschlands Wirtschaftspolitik – oder doch nicht? Eine Kolumne.

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Lange Zeit galten die großen Industrieverbände als mächtige Einflussgruppen, die staatliche Wirtschaftspolitik berücksichtigen musste, wollte sie erfolgreich sein. Das ist lange vorbei: Die derzeitige Wirtschafts- und Klimapolitik berücksichtig industrielle Belange eher am Rande; die großen Verbände murren zwar, setzen der eingeleiteten Energiewende aber öffentlich nur wenig Widerstand entgegen.

Aus den einst mächtigen Organisationen, aus denen der BDI als Spitzenverband des verarbeitenden Gewerbes, und die BdA als Spitzenverband der Arbeitgeberorganisationen herausragten, sind – so zumindest der Eindruck – relativ machtlose Lobby-Gruppen geworden, die bestenfalls schimpfen, schwerlich aber große Wirkung entfalten können. Ob diese Vorstellung eines sukzessiven Bedeutungsverlustes zutrifft, ist aber erst zu prüfen. Waren die Verbände früher in der Tat so mächtig, dass man heute nur noch von einer Art Abklatsch einstigen Glanzes sprechen kann?

Fritz Berg, Hans-Günther Sohl und Hans-Martin Schleyer: Diese drei Namen stehen für die große Zeit des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, der 1949 gebildeten mächtigen Industriellenvereinigung, die zu ihrer besten Zeit etwa zwei Drittel der deutschen Industrie vertrat. Zumindest von Fritz Berg weiß man, dass er direkten Zugang zu Bundeskanzler Konrad Adenauer hatte; aber auch der damalige Thyssen-Chef Hans-Günther Sohl galt als machtbewusst und einflussreich, wenngleich unter sozialliberalen Vorzeichen nach 1969 der Weg zur Macht nicht mehr so offen stand wie in den Jahren des Wiederaufbaus. Und ob der Aufstieg des Daimler-Managers Hans-Martin Schleyer, der die Ämter des BDI- und des BdA-Vorsitzenden in den 1970er Jahren zeitweilig vereinigte, eine reine Erfolgsgeschichte war, sei dahingestellt.



Zumal die Bundesregierung unter Willy Brandt und Helmut Schmidt keinesfalls mehr offen die Nähe der Industrie suchte. Küchenkabinette, informelle Absprachen, kurze Dienstwege – in den 1970er Jahren gab es das noch, doch die Legitimität dieser Verschränkung der Bürokratie mit den großen Interessenverbänden stand zunehmend in der Kritik, von der Tatsache noch ganz ab gesehen, dass nun auch die Gewerkschaften mitspielen wollten und auch wirklich mitspielten.

Echte Lobby-Arbeit? Nicht notwendig!

Die fünfziger und sechziger Jahre sind freilich auch nur in der Erinnerung Jahre eines noch intakten Einflusses. Sicher: In den im Einzelnen unspektakulären Fragen des Ausbaus der öffentlichen Infrastruktur gab es lange einen engen Schulterschluss von Industrie, Kammern und Verbänden und Bürokratie, die sich gemeinsam die Modernisierung des Landes auf die Fahnen geschrieben hatten und in enger Kooperation den Ausbau etwa des Straßennetzes oder der Energieversorgung vorantrieben. Hier war oft nicht einmal Lobby-Arbeit notwendig.

In den 1950er und 1960er Jahren war der wirtschaftliche Erfolg des Landes das Kriterium, an den man sich orientierte und den die wachsende Industrie ganz selbstverständlich verkörperte. Der deutsche Außenhandel konnte in diesem Rahmen ebenso auf Unterstützung rechnen, wie der Staat die Kapitalbildung in den Unternehmen durch eine entsprechende Steuerpolitik förderte. Die Industrie- und Handelsverbände waren hieran jeweils beteiligt, und der Staat begrüßte deren Aktivitäten, ja zog sie regelrecht in seine Arbeit ein. Echte Lobby-Arbeit war kaum notwendig, da die Blüte der Industrie ohnehin erklärtes Ziel des Staates war.

Angesichts der Tatsache, dass Mitte der 1960er Jahre etwa die Hälfte des Sozialproduktes industriell erwirtschaftet wurde, und hier auch über 40 Prozent der Erwerbstätigen beschäftigt war, überrascht diese Bereitschaft des Staates, fast alles für den Erfolg der Industrie zu tun, nicht. Kurz: Im Wiederaufbau war industrielle Interessenvertretung insgesamt leicht.




In umstrittenen Fragen war es mit der Harmonie allerdings zumeist nicht sonderlich weit her; industrielle Interessenvertretung stieß vielmehr regelmäßig an harte Barrieren, zumal es häufig gar nicht gelang, gemeinsame Positionen zu entfalten. Nicht nur zwischen den Industrieverbänden, der Politik und der Bürokratie kam es zu Konflikten, auch innerhalb der Industrie und zwischen Handel und Industrie waren Konflikte an der Tagesordnung, die so ohne weiteres nicht auszugleichen waren.

Schon in den 1950er Jahren fanden die industriellen Interessenvertreter in der Frage der hochumstrittenen Kontrolle von Kartellen und Unternehmenszusammenschlüssen eher Gehör in Adenauers Kanzleramt als in Ludwig Erhards Wirtschaftsministerium, in dem man den Wettbewerb unbedingt fördern wollte. Großindustrielle sahen eine zu weitgehende Wettbewerbskontrolle des Staates geradezu als Entwicklungshindernis und opponierten daher scharfen gegen Kontrollen. Es gelang zwar Erhards Versuche, eine effektive Wettbewerbskontrolle aufzubauen, lange hinzuhalten; erst 1957 kam es nach heftigen Auseinandersetzungen zu einer Regelung, die der Industrie zu weit, dem Erhardschen Ministerium aber nicht weit genug ging. Durchsetzen konnte sich die Industrie mithin keineswegs. Auch andere Fragen waren von großem Streit begleitet, so die Auseinandersetzungen um die im System von Bretton Woods unterbewertete DM, was den Export förderte und die Ausfuhrindustrie und den Exporthandel freute, im Binnenland aber erheblichen inflationären Druck entfaltete und die politischen Handlungsspielräume schmälerte. Die Aufwertungen 1961 und 1969 waren entsprechend im Vorfeld von heftigen Auseinandersetzungen gekennzeichnet; letztlich erfolgten sie gegen erheblichen industriellen Widerstand, der sich auch hier keineswegs einfach durchsetzte.

Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhards ordoliberal inspirierte Wirtschaftspolitik war in sich selbst ein Hemmnis für industrielle Interessenvertretung, denn unter seiner Regie war der Staat keineswegs bereit, in industrielle Wünsche einzuwilligen, sollten sie noch so dringend geäußert werden. Nach Ausbruch der Kohlen- und wenig später der Krise der Eisen- und Stahlindustrie zeigte sich das Bundeswirtschaftsministerium gegenüber Forderungen, hier zugunsten der gegebenen Strukturen zu intervenieren, überaus distanziert.



Die umfangreiche staatliche Unterstützung bei der Gründung der Ruhrkohle AG (RAG) und der strukturkonservativen Subventionierung des Kohlenbergbaus verdankte sich eher den Bemühungen der betroffenen Bundesländer als entsprechenden Handlungen des Bundeswirtschaftsministeriums. In den Ländern fanden industrielle Interessenvertretungen in der Regel eher Gehör als in Bonn, zumindest solange dort eine wirtschaftsliberale Grundstimmung vorherrschte.

Die Wirtschaftsgeschichte der frühen Bundesrepublik ist nur sehr bedingt ein gutes Beispiel für die vermeintlich so mächtigen Industrieverbände, die ihr Image wohl auch stärker den im Kontext des Zweiten Weltkriegs entstandenen Legenden um den verhängnisvollen Einfluss der wirtschaftlichen Großorganisationen auf die Rüstungs- und Kriegswirtschaft des Nationalsozialismus verdankten. Insbesondere die amerikanische Besatzungsmacht pflegte diese Vorstellung und verfolgte eine konsequente Politik der Zerschlagung wirtschaftlicher Machtzentren, während Großbritannien (und wohl auch Frankreich) hier sehr viel pragmatischer verfuhren. Nach dem Krieg war es jedenfalls für einige Jahre mit der alten „Macht und Herrlichkeit“ der großen Unternehmen vorbei. Und auch ihre traditionellen Verbände kamen erst mit den 1950er Jahren langsam wieder auf die Beine. Viele Unternehmen blieben dauerhaft zerschlagen wie die I.G. Farbenindustrie AG, oder konnten nur unter großen Mühen in den späten 1950er und den 1960er Jahren an die alten Unternehmensstrukturen anknüpfen (Großbanken, Schwerindustrie). Auch wenn sich im Wiederaufbau neue Zentren bildeten; Kontinuität sieht doch anders aus.

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