EU-Richtlinie Wo bleibt die Revolution im Angestelltenland?

Arbeitnehmerrechte sollen gestärkt und somit Scheinselbstständigkeit vermieden werden. Quelle: imago images

Mit ihren neuen Vorschriften für Plattformbeschäftigung will die EU Rechtssicherheit für Selbstständige schaffen. Doch sie bewirkt das Gegenteil. Die Ungewissheit wächst. Ein Gastbeitrag.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Über zwei Jahren wurde gerungen, nun ist sie da: Eine EU-Richtlinie, die Arbeitsbedingungen für Plattformbeschäftigte verbessern und mehr  Schutz  ihrer personenbezogenen Daten bringen soll. Dass der zuständige EU-Rat trotz deutscher Enthaltung und einem französischen Nein für die aktuelle Version stimmte, ist bemerkenswert. 

Die Einigung  wird nun als großer Erfolg zum Schutz von sogenannten „Gig-Workern“ gefeiert. Ihre Arbeitnehmerrechte sollen gestärkt und somit Scheinselbstständigkeit vermieden werden. Selbstständige allerdings, könnte es vor Probleme stellen.

Mit unternehmerischer Arbeit haben „Rider“ nichts zu tun

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Wer nicht selbstständig arbeitet, darf nicht um seine Schutzrechte gebracht werden. Und tatsächlich, mit unternehmerischer Arbeit hat die Tätigkeit als „Rider“, also Fahrradbote, nichts zu tun. Die bekannten Lieferdienste arbeiten in Deutschland nicht ohne Grund  mit Festangestellten. Für die vermeintliche Zielgruppe bringt die Richtlinie hier daher wenig. Und trifft so eher Soloselbstständige als Scheinselbstständige. Problematisch ist schon der luftige Plattformbegriff, der herangezogen wird.

Catharina Bruns. Quelle: Privat

Zur Person

Dienstleistungsanbieter, bei denen „die Organisation der Arbeit von Einzelpersonen“ etwa via App oder Website im Vordergrund steht, gelten als „digitale Arbeitsplattformen”. Liegt ein gewisses Maß an „Steuerung und Kontrolle“ vor, soll von nun an eine gesetzliche  Beschäftigungsvermutung greifen. Nicht nur die Beschäftigten, sondern auch die Behörden können sich darauf stützen. Arbeitet die Plattform nun mit Selbstständigen, muss sie im Zweifel beweisen können, dass diese nicht unecht sind.

Abwertung von Selbstständigkeit 

Nichts daran ist gut gemacht. Die Schwäche der Richtlinie liegt aber nicht in ihrem  Anspruch auf Anerkennung der Beschäftigten als Angestellte, sondern in der eingebauten Abwertung von Selbstständigkeit.

Denn wie wirkt sich das etwa auf selbstständige Reinigungskräfte oder Hundesitter aus, die ihre Stundensätze selbst bestimmen, Programmierer oder Übersetzer, die Aufträge über digitale Plattformen  akquirieren und abwickeln? Ob auch sie alle plötzlich schutzbedürftig sein sollen, oder schon aufgrund  möglicher Arbeitnehmer-Einstufung keine freien Aufträge über Plattformen mehr erhalten werden, ist nicht klar. Es wäre Irrsinn. 

Lesen Sie auch: Scholz will sich unterhaken – und hakt die Selbstständigen ab

Mehr rechtliche Ungewissheit für Selbstständige

Dass rechtliche Vermutungsregelungen eine unsaubere Abkürzung sind, dürfte aber  jedem klar sein. Die Kombination mit der Beweislastumkehr zeigt, woher der Wind weht. Und kaum eine dieser Plattformen sind reine Anzeigenbörsen, ohne eine gewisse Organisation und Steuerung der Arbeit. Für Selbstständige bedeutet das noch mehr rechtliche Ungewissheit.

Das Ziel der Richtlinie bleibt richtig. Aber starker Tobak ist das schon. Auf Kriterien, wann genau eine abhängige Beschäftigung vorliegt, kann  Brüssel aus gutem Grund keine einheitliche Antwort geben. In Deutschland ist die klare Abgrenzung von Selbstständigkeit und abhängiger Beschäftigung ein ewiges Politikum. Und nun soll bei allen, die über Plattformen arbeiten, das  Beschäftigungsverhältnis rechtlich vermutet werden, ohne dass Selbstständigkeit ebenso einfach zu beweisen ist? Der ehrlichere Name wäre dann wohl „Festanstellungsdurchsetzungs-Richtlinie“. Gemacht, um Selbstständigkeit zu verhindern.

Spitzenverdiener sollen künftig kein Elterngeld mehr beziehen und laufen Sturm. Im Angestelltenland Deutschland sind solche Spezialförderungen wohl selbstverständlich geworden. Eine fatale Entwicklung. Ein Gastbeitrag.
von Catharina Bruns

Dauerdrohkulisse Scheinselbstständigkeit 

Aber  – Achtung Deutschland  – es gibt auch Menschen, die ihre Selbstständigkeit  lieben. Für viele von ihnen  ist das Thema Scheinselbstständigkeit eine Dauerdrohkulisse. Und für ihre Auftraggeber, die bei Feststellung eines  Beschäftigungsverhältnisses zu Arbeitgebern werden und Sozialversicherungsbeiträge auch auf Jahre rückwirkend zahlen müssen.  Allein, dass rechtliche Unsicherheit im Raum steht, hat negative Auswirkungen auf die Möglichkeiten frei zu arbeiten.

Die EU-Einigung zur Plattformarbeit  ist nun Chance und Handlungsaufforderung für die Bundesregierung zugleich. Sie sollte die Richtlinie  zum Anlass nehmen, endlich unbürokratisch Rechtssicherheit zu schaffen. Und zwar auch jenseits der Plattform-Ökonomie. Bisher fehlte der politische Wille. Für Selbstständige ist das kein Zustand. Werden sie  zum unklaren Fall erklärt, nimmt die „Clearingstelle“ der Rentenversicherung sie unter die Lupe. Übertriebenes Verständnis für die Selbstständigkeit oder eindeutige Kriterien gibt es beim sogenannten „Statusfeststellungsverfahren“ nicht. Beurteilt wird der Einzelfall, entschieden nach Gesamtschau. Besonders, wer seine Selbstständigkeit bestätigt sehen möchte,  braucht Zeit und Nerven. Aber es zeigt auch, dass übergriffige Vermutungsregelungen gänzlich unangemessen sind.

Lesen Sie auch: Altersvorsorge für Selbstständige – eine unerwünschte Rettung

Wenn man es jetzt sowieso regeln muss, dann bitte richtig. Die Lösung sind verbindliche Positiv-Kriterien, die nicht vermuten, sondern Klarheit bringen. Die ausdrückliche Wahl der Selbstständigkeit, Zeitsouveränität, die Freiheit, Leistungen und Preise selbst  gestalten oder Aufträge auch ablehnen zu können (siehe hierzu auch die „Yodel Kriterien“ des EuGH), sind trennscharfe Merkmale. Werden  zudem hohe Honorare erzielt und besteht eine angemessene Altersvorsorge oder werden bereits Rentenbeiträge gezahlt, sollte eine Schutzbedürftigkeit direkt ausgeschlossen sein. Man muss Selbstständige nicht beschützen, aber die Selbstständigkeit schon. Sie ist kein geringwertiger Status, sondern ebenfalls unverzichtbarer  Bestandteil  wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts.

Beitrag im Voraus zahlen Mit dieser Strategie sparen Gutverdiener mit der Krankenversicherung Steuern

Vor allem bei hohem Einkommen kann es sehr lohnend sein, Krankenversicherungsbeiträge für bis zu drei Jahre im Voraus zu zahlen. Es winkt ein Steuervorteil von teils mehreren tausend Euro.

Wohlstand Die Generation Z ist so reich wie keine vor ihr

Anders als Babyboomer und Millennials ist die Generation Z in ihren Zwanzigern vergleichsweise reich. Was bedeutet dieser Wohlstand?

Rezept zum Reichwerden? Das steckt hinter dem System von Deven Schuller

Ein selbsternannter Finanzexperte will seinen Kunden laut eigener Aussage dabei helfen, finanzielle Freiheit zu erreichen, und pflastert das Internet mit Werbung. Was steckt dahinter? Ein Selbstversuch.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Zwei Jahre haben die Länder nun Zeit, die Richtlinie ins nationale  Recht zu übertragen. Wenn die Ampel noch irgendetwas für Selbstständige richtig machen will, sollte sie jetzt den Mut haben, das bürokratische Statusfeststellungsverfahren durch klare Positiv-Kriterien überflüssig  zu machen. Arbeitsrecht schützt Angestellte. Aber auch eine konkrete politische Anerkennung freier Arbeitsmodelle ist überfällig – im Angestelltenland wäre das eine kleine Revolution.

Lesen Sie auch: Darum gibt es immer weniger Selbstständige

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%