Ursula von der Leyen Jetzt ist es offiziell: Madame Europa will es noch mal wissen

Ursula von der Leyen und Friedrich Merz Quelle: imago images

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat angekündigt, für eine weitere Amtszeit zu kandidieren. Ihre Chancen stehen nicht schlecht. Ihr größter Schwachpunkt ist jedoch offensichtlich.

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Jetzt ist offiziell, was sich schon lange angedeutet hat: Die CDU will Ursula von der Leyen beim Kongress der Europäischen Volkspartei (EVP) als Dachorganisation der christdemokratischen und konservativen Parteien in Europa am 6. und 7. März als Kandidatin für eine zweite Amtszeit als Präsidentin der EU-Kommission vorschlagen. Diesem Vorschlag, so die allgemeine Erwartung, wird die EVP dann mit der offiziellen Nominierung der 65-jährigen Deutschen folgen. Gegenkandidaten gibt es nicht.

War von der Leyen 2019 noch als Überraschungskandidatin des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron ins Rennen gegangen und nur knapp vom EU-Parlament in Straßburg bestätigt worden, so stehen ihre Chancen für die zweite Runde jetzt deutlich besser. Das setzt natürlich voraus, dass die EVP bei der Wahl am 9. Juni stärkste Kraft in Europa wird – vor den Sozialisten und vor allem vor den rechtspopulistischen und rechtsradikalen Parteien.

Die Sorge ist groß, dass die Europawahl als „Denkzettel“ für die etablierten Kräfte missbraucht wird.

Auftritt wie eine Staatschefin

Wie sehr von der Leyen in den fünf Jahren ihrer Amtszeit an Statur gewonnen hat, lässt sich an ihrer Beurteilung im britischen „Economist“ ablesen. Beschrieb das EU- und Deutschland-kritische Magazin sie 2019 noch als „aalglatten, überbewerteten Spross des unbeliebten politischen Establishments Europas“, so ist sie inzwischen „die Frau im Herzen Europas“. Dazu passt auch die Art ihres Auftritts, der mittlerweile die Gravitas einer Staatschefin und nicht die Nüchternheit einer europäischen Behördenleiterin ausstrahlt. Ob beim G20-Gipfel in Delhi oder beim ersten Afrika-Klimagipfel in Nairobi – überall tritt sie als „Madame Europe“ auf und wird auch als solche begrüßt. US-Präsident Joe Biden ist ihr „guter, alter Freund“, sie trifft sich so oft es geht mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Kiew, begleitet ihren Förderer Macron auf seiner Chinareise oder wirbt im Namen Europas in Brasilien oder Argentinien für Handelsabkommen.

EU ist sichtbarer geworden

Lange stimmte die berühmte und für die EU wenig schmeichelhafte Frage von Henry Kissinger: „Wen rufe ich an, wenn ich in Europa anrufen will?“. Es sieht so aus, als ob es mit Ursula von der Leyen heute eine Antwort gibt. Unbestritten hat sie trotz aller inhaltlichen und gelegentlich auch stilistischen Kritik die EU als politische Gemeinschaft global sichtbarer gemacht. Beim Amtsantritt versprach sie „mehr Europa in der Welt“ – ihre Kommission sollte eine „wahrhaft geopolitische“ werden. Das ist nicht falsch, die globale Orientierung in Brüssel mag stärker geworden sein. Dafür hakt es aber nach Ansicht vieler Wirtschaftsvertreter an der „internen“ Arbeit. Der EU-Binnenmarkt als handelspolitisches Herz Europas ist unter ihrer Amtsführung komplizierter, bürokratischer und insgesamt auch weniger wirtschaftsfreundlich geworden.

Amtszeit im Ausnahmezustand

Man muss von der Leyen bei der Bilanz ihrer Amtszeit aber zugutehalten, dass sie praktisch von Beginn an gezwungen war, im Ausnahezustand zu agieren. Erst kämpfte sie 2020 mit der Coronapandemie, dann folgte 2022 der Überfall Russlands auf die Ukraine. Beide Ereignisse lösten wirtschaftliche Krisen aus, auf die die EU mit staatlichen Hilfsprogrammen von nie gekannter Dimension reagierte. Und auch der Krieg im Gaza-Streifen reicht mit seinen Auswirkungen bis nach Europa, das über den angemessenen Umgang mit Israel und den Palästinensern streitet.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kann auf die Unterstützung von Margrethe Vestager setzen. Vestager sagte, es sei wichtig, dass „die erste Frau an der Spitze eine zweite Amtszeit bekommt“.
von Silke Wettach

Als wenig gelungen ist der Start der europäischen Impfstrategie zu Beginn der Pandemie in Erinnerung. Wirkungsvoller hingegen war die Einrichtung des coronabedingten Wiederaufbaufonds NextGenEU, wofür die Europäische Union erstmals in ihrer Geschichte gemeinsame Schulden aufnahm. Rund 800 Milliarden Euro wurden mobilisiert, um die Wirtschaft zu stützen und wieder in Schwung zu bringen. Allerdings gibt es auch hier Kritik. Zum einen wird die Effektivität der Programme bezweifelt, andererseits ist bis heute offen, wie die Rückzahlung der Schuldenlast organisiert werden soll.

Rasche Reaktion auf Russland

Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine regierte die EU recht schnell, auch dank der Koordinierung der Kommissionspräsidentin und dank ihrer eindeutigen Stellungnahme zugunsten Kiews. Die EU verabschiedete nach der Invasion Dutzende Sanktionspakete gegen Russland und stand der Ukraine militärisch wie finanziell zur Seite, auch wenn die Unterstützung innerhalb Europas stark differiert. Während Deutschland nach den USA zu den größten Gebern zählt, halten sich große Staaten wie Frankreich, Italien und Spanien erkennbar zurück. Eine wichtige Rolle spielte die EU-Kommissionschefin nicht zuletzt bei der Reform des EU-Energiemarkts, um die große Abhängigkeit einzelner Mitgliedsländer, allen voran Deutschland, vom russischen Gas zu verringern.



Green Deal versus IRA

Dass von der Leyen trotz der zahlreichen Krisen ihr zentrales Projekt in Gestalt des Green Deal auf die Startrampe setzen konnte, zeigt ihre gewachsene politische Durchsetzungsfähigkeit. Unter dieser Überschrift wurden 34 mitunter komplexe Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht, darunter das Ende des Verbrennungsmotors, das Strommarktdesign sowie der europäische Emissionshandel. Mit dem Green Deal will die EU ein Instrument entwickeln, dass Europa analog des Pariser Klimaabkommens in die Lage versetzt, bis 2050 klimaneutral zu wirtschaften – bei Beibehaltung der Wettbewerbsfähigkeit.

Allerdings gibt es bei der ökologischen Transformation noch eine Reihe offener Fragen. Obwohl in den Programmen zum Green Deal insgesamt ein größeres finanzielles Volumen steckt als im Inflation Reduction Act der USA, fällt die Wirkung höchst unterschiedlich aus. Während deutsche und europäische Unternehmen die von US-Präsident Joe Biden ausgelobten Steuererleichterungen bei Ansiedlung in den USA gerne in Anspruch nehmen, hinkt die EU hinterher. Grund dafür ist die hohe Bürokratie, die komplizierten, unterschiedlichen Steuerregeln sowie der interne Ansiedlungswettbewerb innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten. Hier gibt es für die nächste Kommission noch viel zu tun. Politische Zielvorgaben sind das eine, aber die Frage, wie sie erreicht werden können, sollte nicht vorgeschrieben, sondern wie in den USA der Wirtschaft überlassen werden.

Mehr Kontakte zur Wirtschaft

Den Abbau der Bürokratie und die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen hat sich von der Leyen für eine zweite Amtszeit vorgenommen, ebenso eine bessere Kontaktpflege zur Wirtschaft. Letzteres war ihr – nach diversen Beschwerden innerhalb der Unionsparteien – von CDU-Chef Merz dringend nahegelegt worden, wenn sie die volle Unterstützung der Union wolle. Ob es um Vorschriften für grünen Wasserstoff ging, Verschärfungen zulasten der Bauern wegen des Gesetzes zur Wiederherstellung der Natur oder um Wirtschaftsgesetze, die aus Sicht der Union den Firmen schaden und die unternehmerische Freiheit einschränken, an Kritik auch aus den eigenen Reihen fehlte es nicht.  

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Von der Leyen hat reagiert, mehr direkte Kontakte mit den Unternehmern und einen insgesamt wirtschaftsfreundlicheren Kurs zugesagt. Wie viel davon im Fall eines EVP-Sieges und ihrer Nominierung durch die im EU-Rat vertretenen Staats- und Regierungschefs umgesetzt würde, bleibt abzuwarten. Wie schon beim ersten Mal muss sie den Abgeordneten im Europaparlament weit entgegenkommen, damit sie die für ihre Bestätigung unverzichtbare Mehrheit erringen kann. Ohne sozialdemokratische, liberale und grüne Stimmen wird sie kaum wieder in den Berlaymont, das zentrale Gebäude der EU-Kommission in Brüssel, einziehen können.

Lesen Sie auch: Von der Leyens Charme-Offensive für eine zweite Amtszeit

Hinweis: Dieser Artikel erschien am 18.2.2024. Nach der offiziellen Nominierung von Ursula von der Leyen als Kandidatin haben wir ihn aktualisiert.

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