Konjunktur „Niedriges Wachstum wird zur deutschen Normalität“

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Wann kommt der Aufschwung und wie stark kann er angesichts der vielen Risikofaktoren werden? Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser über die Perspektiven der deutschen Wirtschaft – und die Irrtümer der Prognostiker.

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WirtschaftsWoche: Herr Wollmershäuser, zuletzt zeigten viele Frühindikatoren nach oben. Jetzt aber eskaliert die Lage im Nahen Osten, und der IWF hat seine Wachstumsprognose für Deutschland stark nach unten revidiert. Wie geht es weiter mit unserer Wirtschaft?
Timo Wollmershäuser: Wir stehen in den Startlöchern. Der Welthandel nimmt wieder Fahrt auf, davon werden deutsche Unternehmen profitieren. Die bessere Stimmung auf wichtigen Auslandsmärkten dürfte im Laufe des Jahres in Form von neuen Aufträgen bei unseren Exporteuren ankommen. Die Lage im Nahen Osten stellt allerdings ein Risiko für diese Erholung dar. Sollten der Rohölpreis deutlicher steigen oder Welthandelsrouten stärker unter Beschuss geraten, dürfte die Weltkonjunktur einen erneuten Dämpfer erleiden.

Viele Ökonomen setzen in den kommenden Monaten auf den privaten Konsum. Sie auch?
Es gibt ein großes Aufholpotenzial beim privaten Konsum – vor allem wegen der kräftigen Lohnsteigerungen und sinkenden Inflation. Allerdings müssen die Verbraucher da auch mitspielen.

Viele Auguren hatten den Aufschwung schon für den Winter erwartet. Warum mussten die Prognosen so deutlich nach unten korrigiert werden?
Die Industriekonjunktur hat uns im Winter komplett im Stich gelassen. Und die Konsumausgaben sind im Schlussquartal zwar gestiegen, aber angesichts der jüngsten Kaufkraftzuwächse nur in einem enttäuschenden Ausmaß. Vielmehr hat die Sparquote in der zweiten Jahreshälfte zugenommen. Das hat die Konjunkturforscher überrascht, damit war nach den historischen Erfahrungen nicht zu rechnen.

Zur Person

Wie war es denn früher?
Zwar hat die Sparneigung auch in den Inflationsphasen der 1970er- und 1980er-Jahre zugenommen. Damals allerdings löste die restriktive Geldpolitik eine Rezession aus und die Arbeitslosigkeit stieg kräftig. Die Menschen hatten Angst um ihren Job und legten mehr Geld als Sicherheitspolster auf die hohe Kante. Wir hatten gedacht, dass sich diese Argumentation nun angesichts des robusten Arbeitsmarkts umdreht und die Sparquote nicht steigt. Ist sie aber, und zwar ohne nennenswerte Zunahme der Arbeitslosigkeit. Deshalb ist die Erholung des privaten Konsums schwächer ausgefallen als erwartet.

Anders ausgedrückt: Der Konsument misstraut den aktuellen Aufschwungshoffnungen. Warum ist er so verunsichert?
Ein großes Konsumrisiko ist derzeit die erratische Politik der Bundesregierung. Die massive Verunsicherung der Verbraucher hat reale wirtschaftliche Folgen. Es kommt zum Vorsichtssparen, die Leute legen einen Teil ihrer Einkommenssteigerungen beiseite, weil sie nicht wissen, welche Belastungen künftig auf sie zukommen. Durch dieses politikinduzierte Sparen fällt der Wachstumsbeitrag des privaten Konsums derzeit niedriger aus als er bei einer konsistenten Wirtschaftspolitik sein könnte.

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Könnten nicht auch die gestiegenen Zinsen die Sparquote erhöht haben?
Klar, das ist ein weiterer Faktor. Der Zusammenhang zwischen Zinsen und Sparquote sollte aber nicht überbewertet werden.

Derzeit deutet wenig auf eine konsistentere Politik der Ampel hin. Heißt das im Umkehrschluss, dass man von den Konsumenten als Antreiber des Aufschwungs nicht zu viel erhoffen sollte?
Die Erholung beim Konsum wird sich angesichts spürbarer Reallohnzuwächse 2024 und 2025 fortsetzen. Aber sie wird schwächer verlaufen, wenn die Politik das nicht entsprechend unterfüttert. Insofern wäre es konjunkturell hilfreich, wenn die Ampel weniger sprunghaft regieren, mehr Vertrauen schaffen und klare Linien vorgeben würde. Sollte die Politik das nicht schaffen, dürften die Einkommenszuwächse nicht in den Konsum, sondern in die Ersparnisse fließen. Der Warenkorb, den wir uns vor der Pandemie und dem starken Inflationsanstieg leisten konnten, wird für die Menschen im Schnitt erst wieder frühestens Mitte 2025 finanzierbar sein.

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Wie sehen Sie mittel- und langfristig die Wachstumsperspektiven der deutschen Wirtschaft?
Niedriges Wachstum wird in den kommenden Jahren zur deutschen Normalität werden. Die Trendwachstumsrate wird unseren Schätzungen zufolge bis zum Ende des Jahrzehnts auf 0,5 Prozent sinken. Es wird immer häufiger Phasen geben, in denen die Wirtschaft schrumpft. Wachstumsraten von drei oder mehr Prozent dürften künftig hingegen kaum zu erwarten sein.

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