US-Notenbank „Wenn es brenzlig wird, suchen Anleger Sicherheit im Dollarraum“

Quelle: Bloomberg

Die US-Wirtschaft braucht straffere Finanzierungskonditionen, damit die Inflation sinkt, sagt Johannes Mayr, Chefvolkswirt des Vermögensverwalters Eyb & Wallwitz. Ohne eine Korrektur an den Finanzmärkten könnte die Fed gezwungen sein, den Leitzins anzuheben.

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WirtschaftsWoche: Herr Mayr, in den USA ist die Konjunktur bisher erstaunlich robust trotz der massiven Zinserhöhungen der US-Notenbank Fed. Ist die Gefahr einer Rezession vom Tisch?
Johannes Mayr: Dass es in den USA in absehbarer Zeit zu einer Rezession kommt, halte ich für unwahrscheinlich. Das liegt vor allem an dem starken privaten Konsum. Die Löhne in Amerika steigen kräftig und die Unternehmen schaffen Monat für Monat neue Stellen. Die Nachfrage nach Arbeitskräften ist größer als das Wachstum der heimischen Erwerbsbevölkerung. Dadurch steigen die real verfügbaren Einkommen trotz der Inflation. Hinzu kommt die gute Entwicklung an den Finanzmärkten, die die Vermögen und die Kapitalerträge der privaten Haushalte steigen lässt. Für dieses Jahr rechne ich mit einem Wachstum der US-Wirtschaft von rund zwei Prozent.

In den vergangenen beiden Jahren kamen im Schnitt rund drei Millionen Einwanderer nach Amerika. Welche Rolle spielt die Zuwanderung für die Konjunktur?
Das zusätzliche Angebot an Arbeitskräften hat den Aufwärtsdruck auf Löhne und Preise entschärft. Das gilt insbesondere für den Dienstleistungsbereich, in dem viele Einwanderer eine Beschäftigung finden. Der Fed blieben dadurch noch stärkere Zinserhöhungen erspart. Denn die Integration der Zuwanderer in den Arbeitsmarkt steigert die gesamtwirtschaftliche Produktion und das langfristige Wachstumspotenzial. Das hilft den USA, aus ihrem Inflationsproblem herauszuwachsen.

Wie sieht es bei den Unternehmensinvestitionen aus, laufen die in den USA besser als in Europa?
In den USA gehen 50 Prozent der Unternehmensinvestitionen in die Bereiche Software und IT. In Europa liegt dieser Anteil bei lediglich 15 Prozent. Der Output im Digital- und IT-Sektor in den USA ist im vergangenen Jahr um sechs Prozent gestiegen, mehr als doppelt so stark wie die gesamtwirtschaftliche Produktion. Investitionen in Software und IT kurbeln die Produktivität stärker an als Investitionen in Gebäude und Maschinen, die in Europa und in Deutschland dominieren. Die Unterschiede im Investitionsmuster zwischen den USA und Europa spiegeln sich in der Entwicklung der Produktivität wider. Während der Output je Arbeitskraft in den USA in den vergangenen Quartalen um rund drei Prozent zugelegt hat, ist er in Europa geschrumpft. 

Zur Person

Welche Rolle spielt die Finanzpolitik für die US-Konjunktur? 
Die Finanzpolitik befindet sich in den USA nach wie vor auf einem expansiven Kurs. Die Regierung subventioniert grüne Investitionen und Investitionen in die Herstellung von Halbleitern durch groß angelegte Förderprogramme. Der Staatshaushalt wies für das vergangene Jahr ein Defizit von rund sechs Prozent aus. In diesem und im nächsten Jahr dürfte das Loch ähnlich groß ausfallen. Die Finanzpolitik stützt die Konjunktur weiterhin.

Aber sie kurbelt auch die Inflation an. Die Teuerungsrate ist jüngst gestiegen statt zu sinken. Hätte die Notenbank die Zinsen stärker anheben müssen, um den expansiven Kurs der Finanzpolitik zu neutralisieren?
Die Fed hat die Leitzinsen so kräftig angehoben wie lange nicht mehr. Aber die Bremswirkung ist an den Kapitalmärkten und der Wirtschaft deutlich weniger stark angekommen. Während die Fed die Zinsen erhöht hat, ist der Markt in die andere Richtung gelaufen. Die Finanzierungskosten für Fremd- und Eigenkapital sind seit Ende 2022 kaum mehr gestiegen beziehungsweise sogar gesunken. Der anfängliche Erfolg der Fed bei der Inflationsbekämpfung hat bei den Teilnehmern an den Finanzmärkten die Erwartung genährt, dass die Fed die Leitzinsen bald wieder senken wird. Das hat die Kurse an den Anleihe- und Aktienmärkten beflügelt.

Was wird die Fed nun tun
Die US-Wirtschaft braucht straffere Finanzierungskonditionen, damit die Inflation wieder auf zwei Prozent sinkt. Die Fed dürfte den Leitzins daher so lange hochhalten, bis die Märkte ihre Zinserwartungen korrigieren und die Finanzierungskosten für die Unternehmen spürbar steigen. 

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Und wenn die Märkte anders reagieren als die Fed hofft?
Dann könnte die Fed gezwungen sein, den Leitzins weiter anzuheben. Allerdings halte ich das Risiko, dass es dazu kommt, für begrenzt. 

Mittlerweile deutet alles darauf hin, dass die EZB vor der Fed die Leitzinsen senkt. 
Das kommt nicht überraschend. Die Konjunktur in Europa ist nach wie vor schwach, die Industrie befindet sich auf Talfahrt. Die Kapazitäten sind nicht voll ausgelastet, der Preisdruck lässt nach. Das dürfte die EZB veranlassen, bereits im Juni die Leitzinsen zu senken.

Woran liegt es, dass die Wirtschaft in der Eurozone schlechter läuft als die US-Wirtschaft? Die EZB hat die Zinsen weniger stark angehoben als die Fed? 
Zum einen haben die Zinserhöhungen in der Eurozone stärker auf die Finanzmärkte durchgeschlagen als in den USA. Die Finanzierungskonditionen für die Unternehmen haben sich verschlechtert. Das liegt vor allem daran, dass hierzulande 70 bis 80 Prozent der Unternehmensfinanzierungen über Bankkredite laufen, während in den USA die Finanzierung über die Kapitalmärkte dominiert. Die Banken in der Eurozone haben ihre Kreditkonditionen bis zuletzt verschärft. Außerdem ist die Finanzpolitik in Europa weniger expansiv ausgerichtet als in den USA. Hinzu kommen Faktoren auf der Angebotsseite der Wirtschaft. 

Welche? 
Die Wirtschaft in Europa hängt deutlich stärker an der Industrie und dem Außenhandel als die US-Wirtschaft. Beides sind Bereiche, die zuletzt nicht besonders gut gelaufen sind. Die wichtigen Produktivitätsschübe finden nicht mehr in der traditionellen Industrie, sondern in der IT- und Digitalwirtschaft statt. Dort ist Amerika führend. Darüber hinaus ist die Einwanderung in die USA wachstumsfördernder als die Zuwanderung nach Europa. Das weniger stark ausgebaute Sozialsystem der USA fördert die Integration der Zuwanderer in den Arbeitsmarkt. Und schließlich sind die Kosten für Energie in den USA spürbar niedriger als in der Eurozone.

Wie wird der Euro-Wechselkurs reagieren, wenn die EZB vor der Fed die Leitzinsen senkt? 
Der Vorsprung der USA bei den kurzfristigen Zinsen wird zunehmen und den Euro unter Druck setzen. Am langen Ende des Kapitalmarktes wird der Zinsvorsprung der USA nicht so stark wachsen. Höhere Renditen in Amerika locken international Kapital an. Davon geht auch für die Renditen in der Eurozone ein gewisser Aufwärtsdruck aus. 

Wird der Euro auf die Parität zum Dollar rutschen?
Denkbar ist das. Allerdings hätte dies Auswirkungen für den geldpolitischen Kurs der EZB. Deren Modellrechnungen zeigen, dass eine Abwertung des Euro um zehn Prozent die Inflation über mehrere Quartale um etwa einen halben Prozentpunkt steigen lässt. Sollte der Euro abwerten, dürfte die EZB bei den Zinssenkungen Vorsicht walten lassen. Ich rechne für dieses Jahr allenfalls mit drei Zinsschritten.

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Die Staatsschulden in den USA steigen nach wie vor ungebremst. Das Haushaltsbüro des US-Kongresses rechnet für die nächsten Jahre mit Haushaltsdefiziten von rund sechs Prozent. Wie groß ist die Gefahr einer Staatsschuldenkrise in den USA? 
Für die nähere Zukunft sehe ich nicht, dass die Märkte an der Solvenz der USA zweifeln. Amerika ist für die Teilnehmer an den Finanzmärkten nach wie vor der sichere Hafen schlechthin. Wenn es ökonomisch oder politisch brenzlig wird, suchen Anleger Sicherheit im Dollarraum. Kommt es richtig dicke, steht die US-Notenbank als Käufer der letzten Instanz bereit. Langfristig hingegen dürfte von den hohen Staatsschulden ein inflationärer Effekt ausgehen. Die hohen Schulden engen den Spielraum der Fed ein, die Leitzinsen anzuheben. Das könnte negative Folgen für die Inflationserwartungen haben.

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