Weltwirtschaft Diese elf Risiken treiben die Welt in die Stagflation

Covid-19 in China oder Schiffsstau am Bosporus wegen Minengefahr im Zuge des Ukraine-Kriegs. Diese 11 Risiken treiben die Welt in die Stagflation. Quelle: imago images

Die neue Realität besteht aus höherer Inflation und sich verlangsamendem Wirtschaftswachstum. Wir haben gemeinsam mit Ökonom Nouriel Roubini eine Reihe von Erschütterungen, die dazu führen, in elf Punkte untergliedert. Ein Gastbeitrag.

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Es gibt viele Gründe zur Sorge, dass das heutige stagflationäre Umfeld die Weltwirtschaft auch weiterhin prägen und eine höhere Inflation, weniger Wachstum und womöglich Rezessionen in vielen Volkswirtschaften hervorrufen wird.

Zu den Folgen der Pandemie kommt vor allem anderen  Russlands Invasion der Ukraine, die die Preise für Energie, Industriemetalle, Nahrungs- und Düngemittel in die Höhe getrieben hat. Doch selbst ohne diese würden sich die mittelfristigen Aussichten verdüstern. Elf Gründe für steigende Preise und stagnierendes Wachstum lassen sich identifizieren:

1. Covid-19 ist noch nicht ausgestanden

Die Corona-Pandemie hat viele Branchen in den Lockdown gezwungen, die globalen Lieferketten destabilisiert und insbesondere in den USA eine anscheinend dauerhafte Verringerung des Angebots an Arbeitskräften herbeigeführt. Jetzt hat China drakonische Corona-Lockdowns in wichtigen Wirtschaftszentren wie Shanghai angeordnet, die zu zusätzlichen Störungen der Lieferketten und zu Transportengpässen führen.

2. Globalisierung wird zurückgedreht

Seit der globalen Finanzkrise sind eine Abkehr von der Globalisierung und eine Rückkehr zu verschiedenen Formen des Protektionismus zu verzeichnen. Dies spiegelt geopolitische Faktoren und innenpolitische Beweggründe in Ländern wider, in denen sich große Bevölkerungsgruppen „abgehängt“ fühlen. Zunehmende geopolitische Spannungen und das von der Pandemie zurückgebliebene Lieferketten-Trauma dürften zu einer weiteren Rückholung der Produktion aus China und den Schwellenmärkten in die hochentwickelten Volkswirtschaften führen – oder zumindest zu Produktionsverlagerungen in Cluster politisch verbündeter Länder („Near-Shoring“). So oder so wird es zu einer Fehlallokation der Produktion in teurere Regionen und Länder kommen.

3. Überalterung

Darüber hinaus wird die Bevölkerungsalterung in den hochentwickelten Volkswirtschaften und einigen wichtigen Schwellenmärkten (z. B. China, Russland und Südkorea) das Angebot an Arbeitskräften weiter verringern und eine Lohninflation hervorrufen. Und weil die Älteren dazu neigen, Ersparnisse auszugeben, ohne zu arbeiten, wird das Wachstum dieser Kohorte den Inflationsdruck steigern und zugleich das Wachstumspotenzial der Wirtschaft verringern.

4. Das Ende der Einwanderung

Die nachhaltige politische und wirtschaftliche Gegenreaktion gegen die Einwanderung in den hochentwickelten Volkswirtschaften wird das Angebot an Arbeitskräften zusätzlich verringern und die Löhne unter Aufwärtsdruck setzen. Seit Jahrzehnten hat eine Einwanderung großen Stils das Lohnwachstum in den hochentwickelten Volkswirtschaften begrenzt. Doch damit scheint nun Schluss zu sein.

5. Kalter Krieg zwischen den USA und China

In ähnlicher Weise wird der neue Kalte Krieg zwischen den USA und China weit reichende stagflationäre Auswirkungen haben. Die chinesisch-amerikanische Entkoppelung impliziert eine Fragmentierung der Weltwirtschaft, die Balkanisierung der Lieferketten und stärkere Beschränkungen beim Handel mit Technologien, Daten und Informationen – zentrale Elemente künftiger Handelsmuster.

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6. Klimawandel und Verteufelung fossiler Energie

Auch der Klimawandel wird sich stagflationär auswirken. Schließlich schädigen Dürren Erntepflanzen, ruinieren Ernten und treiben die Lebensmittelpreise in die Höhe, und Orkane, Überflutungen und der Anstieg des Meeresspiegels vernichten physisches Kapital und stören die Wirtschaftsaktivität. Verschlimmert wird die Lage noch dadurch, dass die Politik der Verteufelung fossiler Brennstoffe und der Forderung nach aggressiver Dekarbonisierung zu unzureichenden Investitionen in kohlenstoffbasierte Kapazitäten geführt hat, noch bevor erneuerbare Energieträger in ausreichender Menge vorhanden waren, um das verringerte Angebot an Kohlenwasserstoffen auszugleichen.

Unter diesen Umständen sind steile Ausschläge bei den Energiepreisen unvermeidlich. Und mit dem Anstieg der Energiepreise wird sich die „grüne Inflation“ auf die Preise von Rohstoffen niederschlagen, die in Solarmodulen, Batterien, Elektrofahrzeugen und anderen sauberen Technologien verwendet werden.

7. Infektionskrankheiten

Die öffentliche Gesundheit dürfte ein weiterer Faktor sein. Es wurde bisher kaum etwas getan, um den nächsten Ausbruch einer Infektionskrankheit zu verhindern, und wir wissen bereits, dass Pandemien die globalen Lieferketten destabilisieren und eine protektionistische Politik befeuern, da viele Länder dann in aller Eile wichtige Verbrauchsgüter wie etwa Lebensmittel, Pharmaprodukte und persönliche Schutzausrüstung horten.

8. Cyberattacken

Wir müssen uns zudem Sorgen um die Cyberkriegsführung machen, die – wie jüngste Angriffe auf Pipelines und Fleischverarbeitungsunternehmen gezeigt haben – schwere Verwerfungen in der Produktion verursachen können. Es steht zu erwarten, dass derartige Vorfälle mit der Zeit an Häufigkeit und Schwere zunehmen. Um sich zu schützen, werden Unternehmen und Behörden hunderte Milliarden Dollar für die Cybersicherheit ausgeben müssen, was die an die Verbraucher weitergegebenen Kosten erhöhen wird.

9. Höhere Staatsausgaben zur Milderung von Krisenfolgen

Diese Faktoren werden die politische Gegenreaktion gegen krasse Ungleichheiten bei Einkommen und Vermögen anheizen, was zu höheren Staatsausgaben zur Unterstützung der Arbeitnehmer, der Arbeitslosen, schutzbedürftiger Minderheiten und der „Abgehängten“ führen wird. Bemühungen zur Steigerung des Anteils der Arbeit am Einkommen, egal wie gut gemeint, bedeuten mehr Arbeitskämpfe und eine Inflationsspirale bei Löhnen und Preisen.

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10. Umfassende militärische Konflikte

Dann ist da Russlands Krieg gegen die Ukraine, der eine Rückkehr zur Nullsummenpolitik seitens der Großmächte signalisiert. Erstmals seit vielen Jahrzehnten müssen wir das Risiko von Verwerfungen innerhalb des Welthandels und der globalen Produktion durch umfassende militärische Konflikte mit einkalkulieren.

Darüber hinaus sind die zur Abschreckung gegen staatliche Aggression und zu ihrer Bestrafung eingesetzten Sanktionen selbst stagflationär. Heute betrifft das den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine und dem Westen. Morgen könnte es die nukleare Aufrüstung durch den Iran, ein weiteres nukleares Spiel mit dem Feuer durch Nordkorea oder einen Versuch Chinas zur Einnahme Taiwans betreffen. Jedes dieser Szenarien könnte zu einem „heißen“ Krieg mit den USA führen.

11. Destabilisierung des Dollar als Reservewährung

Und schließlich wirkt sich der Einsatz des US-Dollars als Waffe – ein zentrales Instrument bei der Durchsetzung von Sanktionen – ebenfalls stagflationär aus. Er verursacht nicht nur schwere Reibungen im internationalen Handel mit Waren, Dienstleistungen, Rohstoffen und Kapital, sondern ermutigt die Rivalen der USA auch, ihre Devisenreserven aus Dollaranlagen abzuziehen und stärker zu diversifizieren.

Im Laufe der Zeit könnte dieser Prozess den Dollar deutlich schwächen (damit US-Importe verteuern und die Inflation anheizen) und zur Schaffung regionaler Währungssysteme führen, die den Welthandel und das globale Finanzwesen noch stärker balkanisieren.

Optimisten mögen argumentieren, dass wir uns noch immer darauf stützen können, dass die technologische Innovation im Laufe der Zeit desinflationären Druck ausübt. Das mag stimmen, doch wird der Technologiefaktor durch die elf oben aufgeführten stagflationären Faktoren bei weitem überwogen. Darüber hinaus bleiben die Auswirkungen des technologischen Wandels auf das Gesamt-Produktivitätswachstum in den Daten unklar, und die Abkopplung zwischen China und dem Westen wird die Einführung besserer oder preiswerterer Technologien weltweit einschränken und so die Kosten in die Höhe treiben. (Ein westliches 5G-System etwa ist derzeit viel teurer als eines von Huawei.)

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So oder so sind künstliche Intelligenz, Automation und Robotik nicht ohne Nebenwirkungen. Ihre Verbesserung bis an einen Punkt, an dem sie sich deutlich inflationsmildernd auswirken, dürfte zugleich zur Destabilisierung kompletter Berufszweige und Branchen führen und die ohnehin schon großen Unterschiede bei Vermögen und Einkommen vergrößern. Dies würde zu einer noch stärkeren politischen Gegenreaktion einladen als der, die wir bereits erlebt haben – mit all den stagflationären politischen Folgen, die das haben dürfte.

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