Europas rechtliche Grauzone Schluss mit dem Patent-Tourismus in Europa

Auch Elektronikkonzern Samsung droht Patent-Ärger Quelle: AP

Seit Jahren fehlt es an europaweiten Lizenzregeln, zu Umgang und Gebühren mit wichtigen Patenten. Die EU-Kommission hat das Problem längst erkannt. Nur muss sie es endlich lösen. Ein Kommentar

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Die Schlagzeilen sind so fett wie voreilig: „Samsung soll wegen Patentklage Smartphones zerstören“; „Muss Samsung alle 4G-Handys aus dem Handel nehmen?“; „Sind Samsungs Handys reif für den Schrott“, melden derzeit verschiedene Tech-Blogs. Tatsächlich hat das Landgericht München (Aktenzeichen 21 O 16085/22) in einer Patentklage dem chinesischen Mobilfunkentwickler Datang Mobile gegen den koreanischen Techkonzern recht gegeben. Demnach verletze Samsung mit seinen Telefonen Patente der Chinesen beziehungsweise könne nicht nachweisen, dass man angemessen um Lizenzen verhandelt und Datang kein faires Angebot unterbreitet habe. 

Sollte Samsung das noch nicht rechtskräftige Urteil nicht anfechten, beziehungsweise es – anders als bei Patentklagen zuvor – tatsächlich keine Einigung zwischen Rechteinhaber und Nutzer geben, könnte Samsung am Ende tatsächlich gezwungen sein, seine Telefone aus dem Handel zu nehmen. Und könnte sie dann in anderen Ländern verkaufen, denn das Urteil gilt nur für den deutschen Markt und es basiert zudem auf einer rechtlichen Regelungslücke, die endlich geschlossen gehört.

Sie führt nicht nur dazu, dass Kläger bei Patentstreitigkeiten von globaler Bedeutung rund um Mobilfunktechnologien regelmäßig vor die Landgerichte in München, Mannheim oder Düsseldorf ziehen. Zum einen, weil die bekanntermaßen besonders klägerfreundlich entscheiden, zum anderen, weil es den in aller Regel beklagten Handyherstellern immer besonders weh tut, wenn ihnen der Zugang zum lukrativen und umsatzträchtigen deutschen Markt verwehrt wird. 

Das noch größere und grundlegendere Problem ist, dass es zwar das Rechtsprinzip gibt, dass Besitzer sogenannter standardessenzieller Patente – das sind solche, die grundlegende Kernfunktionen einer Technologie, wie etwa des Mobilfunks erst möglich machen – diese Technologien zum einen allen Interessenten zur Nutzung freigeben müssen und sie dafür zum anderen keine unangemessen hohen Lizenzgebühren fordern dürfen. Um genau so eine Technologie, die den Wechsel von 4G-Handys zwischen Funkzellen beim Gehen oder Fahren ermöglicht, geht es auch wieder in der aktuellen Klage von Datang gegen Samsung.

So weit, so klar. Was aber seit Jahren fehlt, ist eine internationale oder zumindest europaeinheitliche juristische Definition, was genau solch ein faires, diskriminierungsfreies Angebot – im Tech-Jargon spricht man von FRAND-Lizenzen, für „fair, reasonable and non discriminative“ – auszusehen hat? Und, wie sich die angemessenen Lizenzgebühren errechnen könnten? Das lässt einen immensen Spielraum für juristische Scharmützel, der insbesondere von sogenannten Patenttrollen regelmäßig ausgenutzt wird, Firmen, die keinen anderen Geschäftszweck verfolgen, als Patente aufzukaufen und deren Nutzer im Nachgang auf hohe Lizenzzahlungen zu verklagen. Datang Mobile, immerhin, ist tatsächlich Entwickler von Funktechnik und -produkten und nicht im Verdacht, nur Lizenzgebühren scheffeln zu wollen.

Am Grundproblem fehlender Normen aber ändert das nichts. Dabei ist das Thema längst bekannt und die EU-Kommission hat schon vor mehr als einem Jahr angekündigt, die Regulierungslücke schließen und damit für einen einheitlichen europäischen Rechtsrahmen sorgen zu wollen. „Die vorgeschlagenen Verordnungen über wesentliche Standardpatente und Zwangslizenzen für Patente in Krisensituationen […] werden einen transparenteren, wirksameren und zukunftssicheren Rahmen für die Rechte an geistigem Eigentum schaffen“ versprach EU-Wettbewerbskommissarin und Kommissionsvizepräsidentin Margrethe Vestager vor Jahresfrist.

Nur, bis heute ist es dabei geblieben. Und damit ziehen weiterhin Kläger in Patentstreitigkeiten, die anderswo in Europa kaum eine Chance auf ein Urteil in ihrem Sinne hätten, wieder und wieder nach München, Mannheim oder Düsseldorf und nutzen Europas Regelungslücke aus. Gerade erst hatte der Fritzbox-Hersteller AVM nach monatelangem Streit mit Huawei vor dem Landgericht München nach einem drohenden Verkaufsverbot einer Lizenzvereinbarung zugestimmt.

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So wird es wohl letztendlich auch bei Samsung ausgehen. Zum Verschrotten wird es nicht kommen. Aber eine dauerhafte Lösung, bei der sowohl Patentinhaber als auch -nutzer zuverlässig kalkulieren können, wann und wie „faire“ Lizenzbedingungen aussehen können, ist das nicht. Hier muss die EU endlich den angekündigten Rechtsrahmen schaffen. Und zwar rasch, bevor am Ende doch noch teure Technik auf dem Schrott landet.

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