WirtschaftsWoche: Frau Klaft, im März hat der US-Konzern Microsoft angekündigt, rund 3,2 Milliarden Euro in moderne Rechenzentren in Nordrhein-Westfalen investieren zu wollen. Welche Bedeutung haben derartige Ankündigungen für den Standort Deutschland?
Anna Klaft: Die Bedeutung ist enorm. Zum einen hat Microsoft angekündigt, in NRW eine eigene Rechenzentrumsinfrastruktur aufbauen zu wollen. Zum anderen will der Konzern auch in Arbeitskräfte und in das Thema künstliche Intelligenz investieren – das stärkt den hiesigen Wirtschaftsstandort. Immerhin hat Bundeskanzler Olaf Scholz die Ansiedlung persönlich begleitet. Das zeigt, dass auch die Politik endlich erkannt hat, dass Rechenzentren eine Zukunftsbranche sind, die man unterstützen muss, wenn man die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft weiter vorantreiben will.
Wie wichtig sind denn neue Rechenzentren generell für die wirtschaftliche Entwicklung und weitere Digitalisierung Deutschlands?
Ich würde es so beschreiben: Eines der größten Megathemen für die Wirtschaft ist künstliche Intelligenz (KI) – und für KI brauchen wir Rechenzentren. Deutschland liegt aktuell bei der Rechenzentrumsfläche hinter Großbritannien auf Rang zwei in Europa; in diesem Jahr soll Frankfurt laut Marktprognosen London sogar überholen. Und die wirtschaftliche Bedeutung steigt weiter: Früher bauten Menschen ihre Häuser um einen Marktplatz herum, heute siedeln sich um neue Rechenzentren herum weitere Unternehmen an – sie sind gewissermaßen Magnete für neue Investitionen. So schafft unsere Branche auch neue Arbeitsplätze.
Und wie entwickelt sich der Rechenzentrumsmarkt in Deutschland weiter?
Die German Datacenter Association, der Verband der Betreiber und Inhaber von Rechenzentren, hat in einer aktuellen Studie ermittelt, dass hierzulande in den kommenden fünf Jahren 24 Milliarden Euro in Rechenzentren investiert werden. Dazu kommen noch zwischen drei bis vier Milliarden Euro von US-Anbietern wie Microsoft und Google, die erst nach der Studie angekündigt wurden. Demzufolge kommt unsere Branche auf Investitionen von rund 28 Milliarden Euro bis zum Jahr 2029. Einen vergleichbaren Beitrag tragen Rechenzentren zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Deutschlands bei: Hier erwarten wir rund 23 Milliarden Euro Anteil am Bruttoinlandsprodukt bis 2029. Aktuell zählt die Branche rund 65.000 Arbeitsplätze – hier gehen wir in den kommenden Jahren ebenfalls von einem starken Wachstum aus.
Zur Person
Anna Klaft ist seit drei Jahren Vorsitzende der German Datacenter Association (GDA), dem Verband für Rechenzentren in Deutschland. Zudem verantwortet sie als Vice President IT beim Schaltschrankhersteller Rittal in Herborn das globale IT-Team mit den Schwerpunkten Wachstum, Qualität und Mitarbeiter in der IT- und Rechenzentrumsbranche. Vor ihrer Tätigkeit bei Rittal war sie 15 Jahre für große Unternehmen wie CBRE und Wisag in verschiedenen Führungspositionen tätig.
Dabei sind die Deutschen gerade bei Digitalisierung und Cloud Computing im internationalen Vergleich doch eher zurückhaltend, heißt es.
Wir haben in Deutschland mit dem DE-CIX in Frankfurt den größten Internetknoten der Welt – gemessen am durchgeleiteten Datenvolumen. Durch die Ansiedlung der EZB vor rund 20 Jahren sind viele weitere Rechenzentren nach Frankfurt gegangen, um von der Geschwindigkeit und hohen Latenz – also der kurzen Signallaufzeit – dort zu profitieren. Durch diesen Trend haben sich immer mehr Rechenzentren in Frankfurt und im Rhein-Main-Gebiet angesiedelt; diese Entwicklung hält bis heute an.
Dabei sind die Energiepreise, einer der größten Kostenpunkte beim Betrieb eines Rechenzentrums, in Deutschland besonders hoch.
Das stimmt, wir haben in Deutschland sehr hohe Energiekosten – und dennoch zieht die Branche hierher. Das liegt zum einen an der beschriebenen Nähe zum Frankfurter Internetknotens. Zum anderen, weil die Datenschutzstandards in Deutschland sehr hoch sind: Viele Unternehmen fordern die Einhaltung der europäischen Datenschutz-Grundverordnung. Das bedeutet: Sie wollen, dass ihre Daten in Deutschland gespeichert werden – das ist ein wesentlicher Punkt. Zudem haben wir in Deutschland sehr gute Standortfaktoren für Rechenzentren: Die Klimabedingungen sind optimal, wir haben keine Erdbeben oder Tornados, es herrscht eine gute Sicherheitslage – und es gibt praktisch keine Stromausfälle.
Heißt das nicht im Umkehrschluss, Ihre Branche würde mit günstigeren Strompreisen in Deutschland sogar noch stärker wachsen?
Das würde uns zumindest weiter unterstützen zu wachsen, ja. Politisch gesehen wären niedrige Strompreise sehr klug, bisher erhalten wir ja Null Subvention. Die Unterstützung der Politik etwa in die Ansiedlung der Chipfabriken von TSMC und Intel ist indirekt auch gut für uns. Aber Deutschland liegt laut Statista bei der Digitalisierung im Ländervergleich auf Platz 23. Wir sind also wirklich hinten dran. Da könnte ein wenig Unterstützung durch die Politik schon helfen.
Die Digitalisierung der Wirtschaft steht doch bestimmt schon zehn Jahre auf der Tagesordnung. Hat die Politik die Bedeutung immer noch nicht erkannt?
Die Politik hat das Thema Digitalisierung definitiv auf dem Zettel – aber das bedeutet nicht, dass alle verstanden hätten, was genau das heißt. Vielen politischen Vertretern fehlt das Verständnis dafür, dass Digitalisierung gleichbedeutend ist mit mehr Rechenzentren – denn irgendwo müssen ja all die anfallenden Daten gespeichert und verarbeitet werden. Daher sind wir als Verband aktuell auch massiv damit beschäftigt, sowohl die politischen Entscheider wie auch die Bevölkerung über das Thema zu informieren. Selbst viele Jugendliche verstehen nicht, dass das Funktionieren ihres wichtigsten Alltagsbegleiters, des Smartphones, von gut laufenden Rechenzentren abhängt; und dass für die Nutzung von Netflix, Spotify & Co. gleiches gilt. Daher sagen wir als Verband auch gerne: Das Internet wohnt in Rechenzentren.
Haben lokale Rechenzentrumsbetreiber und Cloudanbieter eigentlich eine Chance gegen amerikanische Hyperscaler wie Amazon oder Microsoft?
Rein von Größe und Skalierung können die deutschen Anbieter kaum mit den Hyperscalern mithalten. Die ausländischen Anbieter von digitalen Dienstleistungen oder Produkten investieren bereitwillig in den Standort Deutschland. Bei vielen speziellen Geschäftsmodellen wie etwa Edge Computing oder autonomem Fahren finden deutsche Rechenzentrumsbetreiber wie Ionos oder die Deutsche Telekom aber sehr wohl ihre Nische.
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