Wirtschaft von oben #250 – Xinjiang Hier zeigt sich das fatale China-Risiko deutscher Großkonzerne

BASF baut in der südchinesischen Provinz Guangdong für zehn Milliarden Euro einen neuen Verbundstandort. Quelle: LiveEO/PlanetScope SuperDove

Sowohl BASFs als auch VWs Kooperationspartner wird in der chinesischen Provinz Xinjiang Menschenrechtsverletzung vorgeworfen. Exklusive Satellitenbilder zeigen, was die chinesische Regierung hinter Mauern verbirgt. Wirtschaft von oben ist eine Kooperation mit LiveEO.

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Die Korla Economic and Development Zone, in der BASF zusammen mit dem mehrheitlich staatlichen chinesischen Joint-Venture-Partner Markor zwei Anlagen betreibt, ähnelt optisch dem Konzernhauptsitz in Ludwigshafen: Eine Industrieanlage folgt auf die nächste – über Rohrsysteme sind sie miteinander verbunden. Daneben riesige Tanks, in denen die Chemikalien gelagert werden. Seit 2016 produzieren hier 120 Menschen Butandiol und PolyTHE. Chemikalien, die vor allem in der Textilindustrie und der Automobilindustrie zum Einsatz kommen.

Abseits des Industrieparks erinnert nichts mehr an Ludwigshafen. Die Stadt Korla befindet sich im Zentrum der Provinz Xinjiang, die in den vergangenen Jahren zum Sinnbild für Menschenrechtsverletzungen geworden ist. Geleakte Regierungsdokumente und zahlreiche Augenzeugenberichte belegen, dass Chinas Staats- und Parteiführung in Xinjiang hunderttausende Menschen in Lagern festhält, vor allem Uiguren und Angehörige anderer religiöser und ethnischer Minderheiten. Exklusive Satellitenbilder von LiveEO zeigen, was die chinesische Regierung hinter Mauern und Wachtürmen verbirgt.

Nur zehn Minuten Autofahrt östlich der BASF-Anlagen betreibt Chinas Staatsführung einer Studie des renommierten australischen Thinktanks Australian Strategic Policy Institute (ASPI) zufolge mehrere Internierungslager, in denen mutmaßlich Uiguren festgehalten werden. Satellitenbilder zeigen fünf Gelände, auf denen jeweils mehrere Gebäudekomplexe stehen, die von einer Mauer umgeben sind. Zwei Anlagen verfügen über einen Sportplatz. Aus Lagern wie diesen sollen verschiedenen Menschenrechtsorganisationen zufolge Zwangsarbeiter für die Industrie und die Landwirtschaft rekrutiert werden.

Internierungslager, Korla, Xinjiang, China

29.11.2023: Laut der australischen Denkfabrik Australian Stratetic Policy Institute befinden sich wenige Kilometer östlich der BASF-Anlagen mehrere Internierungslager der chinesischen Regierung.

Bild: LiveEO/Sentinel

Laut der chinesischen Regierung handelt es sich bei den Lagern um Berufsbildungszentren, auf Englisch „Vocational Training Centre“ genannt. Begründet wurde die Schaffung der Lager mit dem Kampf gegen Extremismus. 

Jahrhundertelang haben Uiguren die Region bewohnt. 1949 annektierte dann China die Provinz, die über reiche Rohstoffvorkommen verfügt. In den darauffolgenden Jahren siedelten sich immer mehr Han-Chinesen in der Region an. Immer wieder kam es zu Unruhen und Konflikten. 2014 ordnete Chinas Staatchef Xi Jinping nach einem Anschlag an, die Konflikte endgültig zu beenden und baute das Überwachungs- und Zwangsarbeitssystem für muslimische Bevölkerungsgruppen auf, das es bis heute gibt.

BASF steht wegen der räumlichen Nähe des Systems immer wieder in der Kritik. Laut BASF werden die Arbeitsbeziehungen an den Standorten der Joint Ventures in Korla regelmäßig überprüft. Interne und externe Audits hätten keine „Hinweise auf Zwangsarbeit oder andere Menschenrechtsverletzungen“ ergeben. Der Konzern argumentiert, dass die Werke wie eine Insel in der Region zu sehen seien.

Menschenrechtler werfen dem Konzern jedoch vor, es sei unmöglich, in Xinjiang Geschäfte zu machen, ohne mit dem Überwachungs- und Zwangsarbeitssystem der Behörden verbunden zu sein. Schließlich könnten ausländische Firmen nicht in der Provinz tätig sein, ohne mit den staatlichen Behörden zu kooperieren.

Anfang des Monats hat sich der Druck auf BASF deutlich erhöht: „ZDF“ und „Spiegel“ berichteten über schwere Vorwürfe gegenüber BASFs Joint-Venture-Partner Markor. Mitarbeiter des Konzerns sollen in Xinjiang an einer Kontroll- und Unterdrückungskampagne gegen Uiguren beteiligt gewesen sein, bei der sich Beamte in uigurischen Familien einquartierten, um diese auszuspionieren.

Markor Chemical Industrial Park, Korla, Xinjiang, China

30.06.2023: Im Industriepark des lokalen Joint-Venture-Partners Markor betreibt BASF zwei kleinere Werke für die Produktion von Butandiol und PolyTHF.

Bild: LiveEO/Pleiades

In der Folge forderten 30 internationale Politiker BASF-Vorstandschef Martin Brudermüller auf, härter durchzugreifen und sich aus Xinjiang zurückzuziehen. BASF antwortete in Form einer Pressemitteilung: Der Verkaufsprozess der Anteile an den beiden Joint Venture Unternehmen sei Ende vergangenen Jahres eingeleitet worden, heißt es da. Das Unternehmen begründet den Schritt mit Überkapazitäten und Umwelterwägungen (in Korla wird hauptsächlich mit Kohlestrom produziert).

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Die Vorwürfe gegenüber dem Kooperationspartner Markor werden nur am Rande erwähnt: Auch im Zusammenhang mit den veröffentlichten Berichten, gebe es keine Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen in den beiden Joint Ventures, teilte der Konzern mit. Dennoch enthielten die Berichte schwerwiegende Vorwürfe, „die nicht mit den Werten von BASF vereinbar sind“. BASF will den Kaufprozess beschleunigen – „unter Vorbehalt von Verhandlungen und der erforderlichen Genehmigung der lokalen Behörde“.

Ärger mit den Behörden kann sich BASF nicht leisten. China ist schon heute der größte Markt der Welt für chemische Erzeugnisse, BASF will dort in Zukunft deutlich wachsen. In Südchina baut der Konzern gerade für zehn Milliarden Euro einen riesigen neuen Verbundstandort und ist somit auf das Wohlwollen der Regierung angewiesen. Für den Konzern wird der Rückzug zum Balanceakt: Er muss den Westen besänftigen, ohne die chinesische Regierung allzu sehr zu brüskieren.

Bilder: LiveEO/Google Earth, LiveEO/PlanetScope-SuperDove

Wie heikel ein Rückzug aus der Provinz ist, hat die Vergangenheit gelehrt: Zahlreiche westliche Mode- und Sportartikelmarken wie H&M, Nike und Adidas hatten im Rahmen der „Better Cotton Initiative“ erklärt, dass sie aufgrund der Menschenrechtslage in Xinjiang keine Baumwolle mehr von dort beziehen wollen. Nach staatlich gesteuerten Boykotten der chinesischen Bevölkerung kämpften beteiligte Unternehmen mit Umsatzeinbußen.

„Als großer international tätiger Chemiekonzern muss BASF im größten Weltmarkt China diplomatisch unterwegs sein und kann sich nicht leisten, als Lehrmeister aufzutreten“, sagt Warburg-Analyst Oliver Schwarz. Das sei womöglich Grund dafür, dass BASF die Vorwürfe der Menschenrechtsverletzung nur in einem Nebensatz adressiert. „Mit dem Hinweis auf Überkapazitäten und CO2-Fußabdruck öffnen sich für BASF keine großen Gräben in China.“

Die beiden BASF-Werke in Korla seien klein und wirtschaftlich „denkbar irrelevant“, gibt Arne Rautenberg, Fondsmanager bei Union Invest, zu bedenken. Der Reputationsschaden sei dagegen groß. „Die Frage ist doch, wieso sich BASF den Ärger überhaupt all die Jahre angetan hat“, sagt der Chemieexperte. Mit dem großen Verbundstandort habe BASF heute aber genug Verhandlungsmasse, um sich unbesorgt aus Xinjiang zu verabschieden. Der Bau des neuen, neun Quadratmeter großen Verbundstandorts in der Provinz Guandong gilt nicht nur für BASF, sondern auch für China als Prestigeprojekt.

Auch Max Zenglein, Chefökonom beim China-Institut Merics, rechnet nicht mit einer Abstrafen des Unternehmens. Er geht davon aus, dass BASF seine Entscheidung über den Rückzug sorgfältig mit Peking kommuniziert hat.

BASF steckt nicht allein in der Zwickmühle Xinjiang. Auch Volkswagen ist in der Region aktiv. 2013 eröffnete der deutsche Autohersteller gemeinsamen mit dem örtlichen Joint-Venture-Partner Shanghai Automotive Industry Corporation (SAIC) ein kleines Werk in Xinjiangs Hauptstadt Ürümqi. Knapp 200 Mitarbeiter führen dort Qualitätschecks fertiger Fahrzeuge durch.

Die Standortwahl, weit weg von Zulieferern und den restlichen China-Standorten des Konzerns, werfen seit Jahren Fragen auf. Branchenkenner spekulieren noch immer, ob VW sich durch den Schritt mit Peking gut stellen wollte. Die chinesische Regierung soll damals zur industriellen Erschließung der Region ausländische Firmen aufgefordert haben, in Xinjiang zu investieren, um die Krisenregion zu stabilisieren.

Wegen des Verdachts auf Zwangsarbeit in China setzen die USA Importe von Volkswagen fest. Das dürfte erst der Anfang sein.
von Annina Reimann, Martin Seiwert

„Volkswagen ist sich der Lage in der Region bewusst“, schrieb der Konzern damals in einer Stellungnahme. „Auch deshalb ist das Unternehmen bemüht, einen Beitrag zur Entwicklung der Region und zum Zusammenleben der dortigen Volksgruppen zu leisten.“

VW-Werk, Ürümqi, Xinjiang, China

13.06.2023: Auf dem Parkplatz oberhalb des VW-Werks stehen – teils in Planen verhüllt – fertige Autos, denen der Konzern im Werksinneren verschiedene Qualitätschecks unterzieht.

Bild: LiveEO/Google Earth

Nachdem Aktionäre den Konzern unter Druck gesetzt hatten, hat VW im vergangenen Jahr die Arbeitsbedingungen in ihrem Werk in Ürümqi unter der Aufsicht der Berliner Menschenrechtsberatung Löning überprüfen lassen. Das Ergebnis: „Wir konnten keine Hinweise auf oder Belege für Zwangsarbeit bei den Mitarbeitenden finden“, teilte der Konzern mit. Und weiter: Die rund 200 Mitarbeitenden seien „überdurchschnittlich bezahlt und haben wenig zu tun“.

Doch inzwischen steht die Methodik der Prüfung in Kritik. Es gilt als fraglich, ob unabhängige Prüfungen angesichts der strengen Überwachung in Xinjiang überhaupt möglich sind. Inzwischen zieht selbst Löning die Aussage des eigenen Audits in Zweifel.

Internierungslager, Ürümqi, Xinjiang, China

03.10.2023: Laut der australischen Denkfabrik Australian Stratetic Policy Institute handelt es sich bei dem Gebäude, das eine Mauer mit vier Wachtürmen umrandet, um ein Internierungslager der chinesischen Regierung.

Bild: LiveEO/Google Earth

Es sind nicht die einzigen Vorwürfe, mit denen Volkswagen in Xinjiang zu kämpfen hat. In der Wüste von Turpan betreibt das Unternehmen ebenfalls gemeinsam mit SAIC ein riesiges Testgelände, um seine Autos bei extrem trockenen und heißen Klima zu testen.

Laut Recherchen des „Handelsblatts“ sollen auf den Internetseiten der am Bau der Teststrecke in Turpan beteiligten Firmen Berichte auftauchen, die darauf hinweisen, dass diese uigurische Zwangsarbeiter eingesetzt haben könnten. So seien die Firmen laut eigenen Angaben an „Armutsbekämpfungsmaßnahmen“ beteiligt gewesen, ein häufig genutzter Euphemismus für Zwangsarbeit und Überwachung. Auf Fotos in einem chinesischen Medienbericht sind demnach uigurische Arbeiter in militärischen Uniformen zu sehen, die als typisches Merkmal vieler Zwangsarbeiter-Einsätze gelten.

VW-Testgelände, Turpan, Xinjiang, China

03.11.2020: Auf dem riesigen Gelände mitten in der Wüste testet Volkswagen seine Autos unter extrem trockenen und heißen Bedingungen.

Bild: LiveEO/Google Earth

„Bisher lagen uns keine Hinweise auf Menschenrechtsverletzung vor“, teilt Volkswagen auf Anfrage mit. Man nehme die kritische Berichterstattung jedoch ernst. Der Konzern befinde sich in Gesprächen mit dem Joint Venture SAIC-Volkswagen über die künftige Ausrichtung der Geschäftsaktivitäten. Derzeit würden verschiedene Szenarien intensiv geprüft.

Auch bei Volkswagen sitzt das China-Dilemma tief: China ist für VW der mit Abstand wichtigste Markt, vier von zehn Fahrzeugen weltweit werden dort verkauft.

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Die Rubrik entsteht in Kooperation mit dem Erdobservations-Start-up LiveEO – dieses ist eine Beteiligung der DvH Ventures, einer Schwestergesellschaft der Holding DvH Medien, ihrerseits alleiniger Anteilseigner der Handelsblatt Media Group, zu der auch die WirtschaftsWoche gehört.

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