Hochwasserschutz Alle reden vom Wetter – aber keiner tut was dagegen

Die Gemeinde Lilienthal nahe Bremen war seit den Weihnachtstagen stark von Überflutungen betroffen. Quelle: Sina Schuldt/dpa

Hochwasserereignisse nehmen zu, die Schäden werden schlimmer. Dennoch spüren die Anbieter von Schutzprodukten: Selber Geld für Vorsorge ausgeben, das will kaum einer.

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Drei Jahre ist es her, dass starker Regen eine Flut auslöste, die das Ahrtal überschwemmte. Die Bedrohung aber ist geblieben: In der Nacht zu diesem Freitag führten Gewitter und Starkregen in Teilen Deutschlands wieder zu Überschwemmungen. Starkregenereignisse werden immer häufiger und auch die offiziellen Zahlen bestätigen, dass immer mehr Häuser in Gefahr sind, wenn das Unwetter einsetzt. Allein zwischen 2002 und 2021 war laut dem Gesamtverband der Versicherer (GDV) statistisch gesehen jedes zehnte Wohngebäude betroffen.

Der Deutsche Wetterdienst schätzt, dass die Wahrscheinlichkeit für ein Starkregenereignis wie im Ahrtal infolge des Klimawandels bis zu neunmal höher ist als noch Ende des 19. Jahrhunderts. Das ist vor allem problematisch, weil 300.000 Gebäude bundesweit in ausgewiesenen Überschwemmungsgebieten stehen.

Angesichts dieser Zahlen und den hohen Schäden läge es nahe, dass die Deutschen sich vermehrt um Hochwasserschutz kümmerten. Das Geschäft für die Hersteller solcher Hochwasserschutzsysteme – wie Hochwasserschutzwände oder wasserdichte Fenster und Türen – sollte also eigentlich boomen. Aber dem ist nicht so. Zwar gaben öffentliche Institutionen im Jahr 2022 mit 371 Millionen Euro deutschlandweit so viel für den Hochwasserschutz aus, wie noch nie zuvor. Anders ist die Lage jedoch bei Privatpersonen: Das Interesse ist noch immer gering, die Kosten sind oft hoch und das Hochwasser schnell vergessen.

Die Folge: Kaum eine Firma kann aktuell von reinem Hochwasserschutz leben. Die meisten verkaufen Produkte für die so schwerwiegenden Ereignisse nur als Nebenprodukt. Gleichzeitig fehlen einheitliche Prüfstandards: Kaum ein Hochwasserschutzprodukt ist vom TÜV zertifiziert. All das macht Hochwasserschutz kompliziert für die Menschen – und unrentabel für Firmen.

Vorbild Rauchmelder

Während Brandschutz in Deutschland allgegenwärtig ist, denken bei Hochwasser nur wenige Menschen an Prävention – und das, obwohl gerade Starkregen prinzipiell jeden treffen kann. Das liegt unter anderem daran, dass sich Menschen nicht bewusst darüber sind, dass sie in gefährdeten Gebieten selbst für Schutz sorgen müssen. So steht es im Wasserhaushaltsgesetz. Geschieht dann eine Katastrophe, solle plötzlich der Staat einspringen, beklagt David Patzke. Er ist Gründer der „Hochwasserschutz Profis”, einem Beratungsunternehmen nur für Hochwasserschutz. „Die Leute vergessen erstaunlich schnell wieder, wenn es Hochwasser gab“, erklärt Patzke. „Interesse an Hochwasserschutz kommt vor allem kurz nach einem größeren Ereignis auf, danach flacht es schnell wieder ab.“ War der Schaden nicht allzu groß, winken die Menschen ab: War ja nicht so schlimm. Meistens melden sich bei Patzke Menschen, die bereits zwei bis drei Mal von Überschwemmungen nach Starkregen oder Hochwasser betroffen waren.

Hinzu kommt noch eine psychologische Komponente, die oft unterschätzt wird. „Viele Menschen sind besonders nach Sturzfluten schwer mental belastet und vom Wiederaufbau und der Bewältigung eingenommen“, sagt Annegret Thieken, Professorin am Institut für Umweltwissenschaften und Geographie der Universität Potsdam. Ein Jahr nach der Flut im Ahrtal zeigten beispielsweise 28 Prozent der Menschen Anzeichen für eine posttraumatische Belastungsstörung. Sie kämpfen also mit psychischen Problemen, gleichzeitig mit dem Wiederaufbau. Und selbst wenn sie an Hochwasserschutz denken, gibt es dann noch die Geldfrage: Wer gerade für zehntausende Euro einen Hochwasserschaden beheben musste, hat oft kein Geld mehr, um sich Hochwasserschutz verbauen zu lassen. Hausbesitzer müssen immerhin mit mindestens zehn Prozent der Schadenssumme rechnen – und das sind oft fünfstellige Beträge. Im 2021 stark getroffenen Euskirchen in Nordrhein-Westfalen lag der durchschnittliche Schaden laut GDV zum Beispiel bei 45.000 Euro.

Für Firmen lohnt sich das Geschäft nicht

Das Desinteresse, das Vergessen, das fehlende Geld: Die Menschen ignorieren den Hochwasserschutz häufig, bis es zu spät ist. Das wiederum bedeutet für Unternehmen, dass das Geschäft mal gut und mal schlecht läuft. Tatsächlich ist es sogar so, dass es sich für Unternehmen in den allermeisten Fällen nicht rechnet, sich ausschließlich auf das so wichtige Thema zu fokussieren. Das bestätigt auch Robert Riegler, dessen Unternehmen Trelixx Kunststoff verarbeitet und eigentlich nur im Nebengeschäft sogenannte „Hochwasserschutzfenster” anbietet. „Nach der Ahrtalflut machten die Hochwasserschutzfenster zwischen 70 bis 80 Prozent unseres Gesamtumsatzes aus“, sagt er. „In trockenen Perioden sind es dagegen nur zwanzig Prozent.“ Reine Hersteller von Hochwasserschutzprodukten gibt es aufgrund dieser volatilen Geschäftslage kaum.

Die meisten Firmen sind wie Trelixx eigentlich im Metallbau, Hoch- und Tiefbau, in der Umwelttechnik oder im Brandschutz tätig und haben ihre Hochwasserschutzsysteme aus anderen Produkten entwickelt.

So auch Prefa: Eigentlich baut das österreichisch-deutsche Unternehmen, das seit über 75 Jahren besteht und zur CAG Holding von Cornelius Alexander Grupp gehört, Dächer mit Aluminiumschindeln. Die Idee, aus Aluminium dann auch Hochwassersperren zu bauen, kam ihnen aus der eigenen Betroffenheit. Das Werk von Prefa und das Stranggusswerk von Neuman Aluminium, das ebenfalls zur CAG Holding gehört, liegen direkt an einem Fluss. Neuman war häufig von Überflutung betroffen. Also konzipierte Prefa einen eigenen Hochwasserschutz für das Nachbarunternehmen. Das sogenannte Dammbalkensystem besteht aus Aluminiumbalken. Sie werden in am Gebäude montierte Schienen geschoben und am Ende mit einem Spannstück befestigt, damit sie nicht verrutschen. „Aluminium bietet sich für den Hochwasserschutz an, weil es bei geringem Gewicht hohe Festigkeiten aufweist und nicht rostet”, sagt Gerald Pampel, der die Hochwasserschutzsparte bei Prefa leitet.

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Als die Nachfrage nach dem Nebenprodukt stieg, entstand ungefähr 2010 eine eigenständige Sparte. Inzwischen verkaufen sie den Hochwasserschutz weltweit, außer in den USA – wegen der Klagekultur, die dort herrscht, ist ihnen das unternehmerische Risiko zu hoch. Besonders häufig bekommen sie Anfragen aus Deutschland, Norditalien, Österreich, Slowenien, den Benelux-Staaten, Dänemark und den Balearen. Doch es bleibt ein überschaubares Geschäft, das zuletzt gerade einmal 2,5 Prozent des Gesamtumsatzes von 289 Millionen Euro ausmachte. Da das Geschäft so klein ist, arbeiten nur vier Personen in der Sparte; wenn die Nachfrage gerade hoch ist, dann zehn. Und das bei einem Konzern, der eigentlich über 700 Mitarbeiter in 19 Ländern hat.

Standards nahezu nutzlos

Dass die Käufer wegbleiben, liegt aber auch an der Branche selbst, oder besser gesagt: an fehlenden Zertifikaten. Da es lange überhaupt keine Prüfkriterien gab, hat die Branche 2011 das Problem selbst in die Hand genommen und den Europaverband Hochwasserschutz gegründet. Der Verband hat eigene Prüfkriterien entwickelt und sich für 25.000 Euro einen Prüfcontainer gekauft, in dem sie verschiedene Arten von Hochwasserschutzsystemen testen können. Die Prüfung führen dabei unabhängige Gutachter durch.

Der Haken: Der Europaverband arbeitet nicht mit Grenzwerten. Im Prüfzertifikat stehen dann Zahlen zu Aufbauzeit, Dichtheit und Lagerung, aber nicht, ob das jetzt gut oder schlecht ist. Das aber ist für Kunden nicht hilfreich, weiß Forscherin Annegret Thieken von der Universität Potsdam zu berichten: „Hochwasserschutz an Gebäuden muss in der Regel privat bezahlt werden, also müssen die Menschen auch überzeugt sein, dass die Systeme funktionieren”, sagt sie. „Das heißt, sie müssen den Schaden reduzieren und sich auszahlen.” Bei mobilen Systemen müssen sie auch abschätzen können, ob sie sie allein aufbauen können. Eine klassische Kosten-Nutzen-Rechnung also, die es so heute nicht wirklich gibt. Das schreckt die Menschen beim Kauf ab. Auch wenn der Verband abwiegelt: „Die Kunden sollen selbst entscheiden dürfen, welche Aufbauzeit und welcher Lageraufwand für sie in Betracht kommt“, sagt Andreas Roos, Vorstandsvorsitzender des Europaverbands Hochwasserschutz.

Mittlerweile hat die VdS Schadenverhütung, die Prüfgesellschaft der Versicherer, eigene Prüfkriterien herausgebracht und auch die TÜV-Gesellschaften zertifizieren die Systeme. Die Hochwasserunternehmen monieren jedoch, dass die Prüfungen sehr teuer seien. Für viele Hersteller lohnt sich die Zertifizierung also kaum, weshalb sie diese nicht machen – und der Kunde wieder vor der Frage steht: Ist das denn nun auch sicher?

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Es ist ein Dilemma, das kurzfristig kaum zu lösen ist. Langfristig werden die Unternehmen aber einheitliche Standards finden müssen, um Kunden einen besseren Überblick verschaffen zu können. Nur dann kann sich das Geschäft vielleicht eines Tages lohnen, nicht nur manchmal, sondern durchgehend. In der Zwischenzeit gilt: Jeder ist auf sich allein gestellt.

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