Hochwasser in Deutschland Katastrophenschützer unter Zeitdruck: „Das dauert alles elendig lange“

Seit rund zwei Wochen sorgt Dauerregen bundesweit für großflächige Überflutungen wie hier bei Burgstemmen an der Leine in Niedersachsen. Helfer von Feuerwehren und Katastrophenschutz sind im Dauereinsatz, um Städte, Dörfer und Deiche zu sichern. Quelle: imago images

Ein Krisenszenario mit extremen Überschwemmungen hatten Experten vor Jahren schon für die Bundesregierung durchgespielt. Nach den Sommerfluten 2021 stellt sich in der aktuellen Hochwasserlage nun erneut die Frage: Haben die Zuständigen aus den Warnungen gelernt?

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Es war eine Pleite mit Ansage. Als Anfang 2020 die Covid-Pandemie um den Globus schwappte, agierten auch in Deutschland Politik und Gesundheitsbehörden erschreckend hilflos und unvorbereitet. Das war für die Verantwortlichen umso blamabler, als es für das Szenario bereits längst eine detaillierte Blaupause gab. Bereits sieben Jahre vor Corona hatten Experten aus Katastrophenforschung und Gefahrenabwehr für Bundesregierung und Bundestag im Rahmen der sogenannten Risikoanalyse Bevölkerungsschutz Bund detailliert seziert, welche Auswirkungen solch eine Pandemie haben könnte und, wie man sich gegen sie wappnen sollte. Nur, ernsthaft daraus Schlüsse gezogen hatten die politisch Verantwortlichen danach nicht. Das Papier blieb weitgehend folgenlos.

In diesen Tagen nun erinnert sich so mancher der Autoren von damals erneut an die Anfang 2013 publizierte Bundestagsdrucksache 17/12051. Nicht, weil das nächste Virus im Anmarsch wäre, sondern weil sich das Papier – neben der Pandemieprognose – noch mit einer weiteren potenziellen Großschadenslage befasst hatte, die jahrelang nicht minder unbeachtet blieb: Einem über mehrere Wochen andauernden extremen Hochwasser, das sich über mehrere Bundesländer erstreckt. Ein Szenario, bei dem, angesichts der aktuellen, bundesweit großflächigen Überschwemmungen, die einstige Prognose erneut durch die Realität eingeholt zu werden scheint.

„Ähnlich wie derzeit die Übersicht des länderübergreifenden Hochwasserportals der Bundesländer vom Norden Schleswig-Holsteins bis in den Bayrischen Wald großflächig Hochwasserwarnungen anzeigt, hatten die Katastrophenplaner vor gut zehn Jahren eine bundesweite Hochwasserlage angenommen“, sagt Holger Schüttrumpf, Bauingenieur und Professor für Wasserbau und Wasserwirtschaft an der RWTH Aachen. Entlang von Ems, Weser, Elbe, Rhein und Donau sei es aufgrund erheblicher Mengen von Schmelzwasser und starker Regenfälle zu einem starken Anstieg der Flusspegel gekommen, so das Szenario. 

Die Hochwasserlage in Niedersachsen und anderen Regionen Deutschlands ist nach wie vor angespannt. Wie ein Restaurant und ein S-Dax-Unternehmen in der besonders betroffenen Stadt Oldenburg für den Notfall vorsorgen.
von Jannik Deters

Die Folge: Deichbrüche, großflächige Überflutungen, erheblichen Schäden an Infrastruktur sowie Problemen bei Logistik und Versorgung. Zudem, so die Prognose, sei – zumindest bei zu späten Evakuierungen oder plötzlichen Deichbrüchen – mit zahlreichen Toten, Vermissten, Verletzten und hilfebedürftigen Menschen zu rechnen. Dazu kämen erheblichen Umweltschäden sowie Schäden in Milliardenhöhe an öffentlichen und privaten Einrichtungen. Verbunden mit Steuerausfällen und den erforderlichen Wiederaufbauhilfen könnten bundesweit Kosten in mehrstelliger Milliardenhöhe anfallen.

Kleine Fläche, riesiger Schaden

Dass das alles andere als unrealistisch ist, zeigt die Flutkatastrophe vom Sommer 2021 in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, die mehr als 180 Menschenleben gekostet und – obwohl ein vergleichsweise kleinräumiges Flutereignis – Milliardenschäden verursacht hat. Und auch zweieinhalb Jahre später ist insbesondere das schwer betroffene Ahrtal noch immer weit von einer Rückkehr zur Normalität entfernt.

Gemessen daran, so RWTH-Experte Schüttrumpf, der seit Jahren zu Flut- und Niedrigwasserrisiken sowie Hochwasserschutz forscht, „ist das aktuelle Flutgeschehen in Deutschland zwar sehr großflächig, aber zum Glück nicht dramatisch“. Das habe mehrere Gründe: Anders als die Flutscheitel an Ahr oder Erft, die teils Höhen erreichten, wie sie statistisch nur alle paar hundert bis tausend Jahre aufträten, lägen die Wasserstände in Thüringen, Sachsen-Anhalt, Hessen, Niedersachsen und Bremen derzeit fast überall noch unter den langjährigen Höchstständen.

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„Da ist zwar aktuell sehr viel Wasser im Land, aber eben auch auf einer sehr großen Fläche“, sagt der Aachener Hochwasserforscher. Zudem liege ein Großteil der aktuellen Überflutungsflächen gerade nicht in engen Kerbtälern wie jenen von 2021 an Ahr und Obererft. Zum anderen hätten sich die Flutwellen dieses Mal über Tage und nicht über wenige Stunden aufgebaut. „Das hat den Behörden Zeit gegeben, die Menschen vorzuwarnen und Katastrophenschutzkräfte und -material zu aktivieren.“

Vergleichsweise gute Noten für die Arbeit der Verantwortlichen in Bund und Ländern gibt auch Henning Goersch, Professor für Gefahrenabwehr und Bevölkerungsschutz an der FOM Hochschule. „Die Maßnahmen laufen geschmeidiger als zuletzt an Ahr und Erft oder vor rund 20 Jahren bei den großen Hochwassern an Elbe und Oder. Speziell nach der Sommerflut 2021 haben die Gefahrenabwehrbehörden in den Ländern viele Abläufe verbessert, Hilfskonzepte erarbeitet und abgestimmt“, sagt der Katastrophenforscher. „Das zahlt sich nun aus.“

Dauerkonflikt um Überflutungsflächen

Gleiches gelte für die in den vergangenen Jahren vielerorts ausgewiesenen und vorgeplanten Überflutungsflächen entlang vieler Gewässer, die nun volllaufen könnten, so RWTH-Experte Schüttrumpf. „Das ist ein Dauerkonflikt zwischen Raumplanern, Umweltschützern und der lokalen Bevölkerung, wenn Gebiete für die dauerhafte Bebauung gesperrt werden oder Äcker und Wiesen bei Hochwasser überflutet werden sollen.“ Dennoch hätten die sogenannten Retentionsflächen nun genau jene Kapazitäten für die steigenden Flüsse und Bäche geschaffen, die gegenwärtig verhinderten, dass mehr als ein paar Weiler oder Ortsteile überflutet werden. 

Er wünsche sich nur, dass die Ausweisung solcher Flächen deutlich rascher vorankäme, als es bisher der Fall sei, so Schüttrumpf. „Das dauert alles elendig lange.“ Dabei drohte den Planern und Katastrophenschützern zunehmend die Zeit davonzulaufen – vor allem mit Blick auf die Tatsache, dass Überflutungen aufgrund des Klimawandels künftig weit häufiger auftreten dürften als in der Vergangenheit, mahnt der Hochwasserexperte.

„... dann eskaliert die Lage wieder“

Und auch Katastrophenforscher Goersch will trotz des bisher vergleichsweise undramatischen Verlaufs der aktuellen Hochwasser keine Entwarnung geben. „Sollte es nach dem wochenlangen Dauerregen nun nochmal großflächig zu Niederschlagsmengen kommen, wie wir sie im Sommer 2021 regional hatten, dann eskaliert die Lage auch diesmal wieder“, fürchtet er.

Zudem habe schon der Umgang mit den Empfehlungen von 2013 habe gezeigt, „wie rasch Warnungen und Vorsorgemaßnahmen in Vergessenheit geraten, sobald andere Themen die Aktualität beherrschen“. Entsprechend sorgenvoll blickt auch er auf die bereits beschlossenen Kürzungen der nach den Julifluten 2021 zunächst aufgestockten Etats von Technischem Hilfswerk und Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. 

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„Prävention kostet erst einmal Geld, verhindert aber später, wenn die Flut kommt Schäden in weit größerer Höhe“, mahnt Goersch. „Ich fürchte nur, wenn die aktuellen Fluten abgeflossen sind, sind auch die Forderungen nach einem besseren Hochwasserschutz in den betroffenen Regionen ganz schnell wieder vom Tisch.“
 

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