Hochwasser Jetzt rächt sich die „Katastrophendemenz“ der Politik

Bundeskanzler Olaf Scholz (r.) und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (beide SPD) stehen am Silvestertag an einem überfluteten Gebiet in Verden an der Aller in Niedersachsen. Quelle: dpa

Wenn die Fluten steigen, fordert die Politik mehr Investitionen in den Bevölkerungsschutz – und wendet sich dann rasch wieder anderen Themen zu. Dabei erzwingen Starkregen und Dürren dringend den Ausbau des Bevölkerungsschutzes. Ein Kommentar.

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Wenn das Wasser steigt, übt sich die Politik gerne in Volksnähe. Gerade erst war Bundeskanzler Olaf Scholz mit Ministerpräsident Stephan Weil in den niedersächsischen Flutgebieten unterwegs. Dort lastet das Wasser der Flüsse Aller, Hunte, Leine, Weser und Wümme seit Tagen auf den Deichen. Stellenweise haben die Fluten bereits Dörfer und Ortsteile überschwemmt.

Zehntausende meist ehrenamtliche Helferinnen und Helfer im Dauereinsatz von Feuerwehren, Technischem Hilfswerk (THW) und Hilfsorganisationen verhindern schon seit vor den Weihnachtstagen, dass die Lage dort oder in den übrigen Überschwemmungsgebieten bundesweit eskaliert. Angesichts der bedrohlichen Fluten mahnte Scholz denn auch Prävention an: „Wenn das Hochwasser weg ist, kann es auch wiederkommen“, kommentiert der Kanzler, der daher vorausschauend weitere Investitionen forderte.

Wir tun, was wir können! Wirklich? Eher nicht!

Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser, in deren Zuständigkeit das THW als Einsatzorganisation des Bundes im Bevölkerungsschutz fällt, zeigte sich in Niedersachsen und dankte den Einsatzkräften mit warmen Worten für den seit Tagen laufenden Dauereinsatz. Die zumeist ehrenamtlichen Kräfte leisteten „wirklich Großartiges“, befand Faeser. Und sie versprach den betroffenen Regionen weitere Hilfe: „Was wir tun können, werden wir tun“, versprach die Ministerin.


Wirklich? Eher nicht! Tatsächlich nämlich hatte die Bundesregierung die Haushaltsmittel fürs THW sowie das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) zuletzt wieder massiv beschnitten. Schon im Haushaltsentwurf für 2023 waren fürs THW knapp 30 Prozent weniger Mittel als im Vorjahr vorgesehen, fürs BBK sogar knapp 40 Prozent. Und für 2024 sind unter dem Druck des aktuellen Spardiktates nochmals um zehn Prozent beziehungsweise um rund ein Viertel reduzierte Budgets für THW und BBK vorgesehen.

Bevölkerungsschutz jahrzehntelang kaputtgespart

Es ist eine Rückkehr zu jener falschen Knauserigkeit, mit der Bund und Länder nach dem Ende des Kalten Krieges und in der irrigen Annahme, es sei damit der ewige Friede ausgebrochen, auch den Bevölkerungsschutz kaputtgespart hatten. Wie groß die daraus folgenden Defizite bei der Katastrophenvorsorge anschließend waren, zeigte sich bereits nach Ausbruch der Covid-Pandemie. Da klemmte es – von qualifiziertem Pflegehilfspersonal über Schutzkleidung bis zu Medikamenten – an jeder denkbaren Ecke. Und als hätte der Covid-Schock nicht schon gereicht, deckten die Defizite im Bevölkerungsschutz im Flutsommer 2021 mit seinen mit mehr als 180 Toten den desolaten Zustand von Zivil- und Katastrophenschutz hierzulande umso deutlicher auf.

Erst unter dem Eindruck der verheerenden Überschwemmungen hatte der die Budgets für den Bevölkerungsschutz deutlich aufgestockt, um die größten Defizite zu beheben. Faesers Amtsvorgänger Horst Seehofer (CSU) stellte weitere 90 Millionen Euro für den Wiederaufbau des Sirenennetzes in den Kommunen bereit. Auch Olaf Scholz, damals noch Bundesfinanzminister, forderte eine Stärkung des Katastrophenschutzes, um Deutschland widerstandsfähiger gegenüber Naturkatastrophen zu machen.

Doch in dem Maße, in dem die Katastrophenfluten an Ahr, Erft und weiteren Flüssen im Land in Vergessenheit gerieten, war es mit der versprochenen Stärkung des Bevölkerungsschutzes schnell wieder vorbei. Entsprechend wohlfeil klingen nun ausgerechnet die Forderungen von Politikern wie etwa SPD-Parteichef Lars Klingbeil, dessen Wahlkreis flutbedrohten Wahlkreis Rotenburg an der Wümme liegt und der auf einen „massiven“ Ausbau des Katastrophenschutzes drängt. War es doch ausgerechnet seine Parteifreundin Faeser, die genau diese Mittel für den Bevölkerungsschutz zuvor wieder gekappt hatte.

Nicht viel mehr als blumige Versprechungen

Ja was denn nun, fragen sich bei dieser Inkonsequenz nicht bloß die Verantwortlichen in den Bevölkerungs- und Katastrophenschutzorganisationen sowie bei Feuerwehren oder Hilfsorganisationen. Auch so manchen der vielen Tausenden ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer, die seit vor den Weihnachtstagen bereits Sandsäcke schleppen und stapeln, Dörfer evakuieren oder überflutete Häuser und Keller auspumpen, schwillt der Kamm angesichts der wiederkehrend ebenso blumigen wie leere Versprechen einer besseren Katastrophenvorsorge.

Ein verbaler Dank der Ministerin für „großartige“ Leistungen mag kurzfristig die Seele streicheln. Eine Basis für eine nachhaltige Strategie für den Umgang mit den absehbar wachsenden Katastrophenrisiken durch Starkregen oder Dürre, wie sie der Klimawandel bringt, ist das nicht. Von „Katastrophendemenz“ sprach Holger Schüttrumpf, Bauingenieur und Professor für Wasserbau und Wasserwirtschaft an der RWTH Aachen, im vergangenen Sommer mit Blick auf die Aufarbeitung der Sommerfluten von 2021. „So eine Katastrophe könnte jederzeit wieder passieren“, warnte der Experte, der seit Jahren zu Flut- und Niedrigwasserrisiken sowie Hochwasserschutz forscht, im Interview mit der WirtschaftsWoche.

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So dramatisch wie vor zweieinhalb Jahren an Ahr und Erft sind die Winterhochwasser in diesem Jahr zum Glück noch nicht. Aber sie sind eine dringende Mahnung, dass es diesmal nicht mehr nur bei Lippenbekenntnissen der Politik bleiben darf. Die „Katastrophendemenz“ muss endlich ein Ende haben.


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