Seit einigen Monaten bereits wird am Landgericht München I in Sachen Wirecard verhandelt. Die Staatsanwaltschaft wirft dem ehemaligen Vorstandschef Markus Braun sowie zwei weiteren Führungskräften unter anderem bandenmäßigen Betrug vor.
Eine Person aber fehlt: der mutmaßliche Haupttäter Jan Marsalek. Seit aufflog, dass Wirecards Treuhandkonten, auf denen zuletzt zwei Milliarden Euro gelegen haben sollten, gar nicht existierten und das Unternehmen daraufhin zusammenbrach, ist Marsalek auf der Flucht. Nun hat er sich über seinen Verteidiger schriftlich an das Landgericht München gewendet und zum Verfahrensverlauf Stellung genommen. Das haben die Sprecher der Staatsanwaltschaft als auch die des Landgerichts München I der WirtschaftsWoche am Dienstag bestätigt. Zum Inhalt des Schreibens wollten sie jedoch keine Stellungnahme abgeben.
Marsaleks Anwalt Frank Eckstein erklärte auf Anfrage der WirtschaftsWoche: „Das in Ihrer Anfrage erwähnte Schreiben stammt von mir und wurde im Auftrag meines Mandanten an das LG München I zum derzeit laufenden Verfahren versandt.“ Zu weiteren Details äußerte er sich nicht.
Nach Informationen der WirtschaftsWoche ist Marsalek in dem Schriftstück nicht konkret auf gegen ihn erhobene Vorwürfe eingegangen. Allerdings hat er sich wohl zum Drittpartnergeschäft des Unternehmens geäußert und soll zu verstehen gegeben haben, dass dieses – anders als von der Staatsanwaltschaft behauptet – sehr wohl existierte.
Zur Erinnerung: Wirecard war ein milliardenschwerer Zahlungsabwickler, der dafür sorgte, dass bei Einkäufen etwa in einem Onlineshop das Geld vom Konto des Kunden beim Händler ankam und im Zweifelsfall auch wieder zurückfloss. Hierfür erhielt Wirecard eine Gebühr. Neben diesen offiziellen Geschäften gab es bei Wirecard aber auch inoffizielle Geschäfte, von denen lange nur wenige Insider wussten: das sogenannte „Drittpartnergeschäft“. Es machte zuletzt 50 Prozent des Konzernumsatzes aus und 100 Prozent des Gewinns.
So funktionierte Wirecards Drittpartnergeschäft
Dieses Drittpartnergeschäft soll wie folgt funktioniert haben: Wenn ein zweifelhafter Händler auf Wirecard zukam, beispielsweise ein Onlineshop, der wirkungslose Haarwuchsmittel verkaufte, dann wollten Wirecard-Mitarbeiter den eigentlich gern annehmen. Denn so ein Kunde zahlt hohe Gebühren. Nur wollten sie so einen Shop nicht so gern als Wirecard-Kunden in der eigenen Datenbank führen. Also leiteten sie solche Händler an Drittpartner weiter. Die sorgten dann dafür, dass der Problem-Händler Zahlungen abwickeln konnte.
Im Gegenzug für die Vermittlung sollte Wirecard jeden Monat eine Provision erhalten, abhängig vom Umsatz, den der Drittpartner mit dem Kunden erzielte. Die so erzielten Einnahmen flossen aber nicht auf die normalen Geschäftskonten von Wirecard, sondern gingen angeblich auf Treuhandkonten. Zuletzt sollten dort zwei Milliarden Euro gelegen haben. Als Wirecards Wirtschaftsprüfer von EY bei den Banken jedoch nachfragten, ob dieses Geld existiert, stellte sich heraus: Die Konten sind leer. Kurz darauf war Wirecard pleite.
Lesen Sie hier das Protokoll des Wirecard-Untergangs
Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass es das Drittpartnergeschäft nie gegeben hat, dass es vielmehr frei erfunden war. Die bisherigen Erkenntnisse des Insolvenzverwalters stützen diese Annahme.
Brauns Anwalt Alfred Dierlamm hat vor Gericht schon mehrfach erklärt, dass er die Version der Staatsanwaltschaft anzweifelt. Er behauptet, dass es das Drittpartnergeschäft sehr wohl gegeben habe. Nur seien die dadurch erzielten Erträge nicht an Wirecard geflossen, sondern veruntreut worden – ohne Wissen seines Mandanten Markus Braun. In der vergangenen Woche hat er hierzu einen umfangreichen Beweisantrag eingereicht.
Marsalek hat sich in dem Schriftstück wohl auch zu den unterschiedlichen Verfahrensbeteiligten geäußert. In Justizkreisen heißt es, dass Marsalek vor allem Oliver Bellenhaus belaste. Bellenhaus war lange Zeit Wirecards Statthalter in Dubai. Nach dem Zusammenbruch des Unternehmens hat er gegenüber der Staatsanwaltschaft den ihm vorgeworfenen Betrug zugegeben und seine ehemaligen Kollegen Markus Braun und Stephan von Erffa schwer belastet.
Marsalek soll dem Gericht nun zu verstehen gegeben haben, dass Bellenhaus in mehreren Punkten nicht die Wahrheit sage. Florian Eder, der Anwalt von Oliver Bellenhaus, wollte das Schreiben von Marsalek inhaltlich nicht kommentieren, erklärte jedoch: „Man kann viel schreiben und viel sagen, man muss aber nicht alles glauben.“
Was Marsalek konkret bewegt hat, sich ausgerechnet jetzt an das Gericht zu wenden ist unklar. Offenbar verfolgt er jedoch den Prozessverlauf. Marsalek soll zu verstehen gegeben haben, dass er sich möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt erneut äußert.
Lesen Sie auch unser Update: Inzwischen wurde das Schreiben vor Gericht verlesen. Das steht in Jan Marsaleks Brief.