Der neue Condor-Chef Peter Gerber weiß spätestens seit dem 21. Dezember, wie erdrückend die Erwartungen an ihn sind. An dem Abend verabschiedete der Ferienflieger Gerbers Vorgänger Ralf Teckentrup mit einer Riesensause in den Ruhestand. In der gewaltigen Wartungshalle 7 am Düsseldorfer Flughafen feierte nicht nur die Elite der deutschen Touristik den in der Branche „Tecke“ genannten Manager als „Legende“. Vorbei kamen auch Airbus-Vizechef Christian Scherer sowie Lufthansa-Lenker Carsten Spohr. Und das, obwohl sich die beiden und ihre Airlines ansonsten regelmäßig in den Medien oder vor Gericht beharken. Als Höhepunkt enthüllten die Mitarbeiter einen neuen Airbus-Langstreckenflieger in einer Sonderlackierung mit „danke tecke“ statt „Condor“ auf dem Rumpf. „Nach all dem Lob habe ich zwischendurch gedacht, Superman kommt doch aus Westfalen“, kommentierte der in Beckum geborene Manager mit einer für ihn ungewöhnlichen Rührung.
Logistiker und Pilotenbändiger
Mit einer solchen Stimmung kann Gerber kaum rechnen, wenn er jetzt, Anfang Februar, die Führung von Deutschlands letzter selbstständiger Airline übernimmt. Das liegt nicht nur daran, dass der 59-Jährige als Jurist und gebürtiger Hesse ein sachlicherer Typ ist als der knorrige Wirtschaftsingenieur Teckentrup. Gerber, der vor seiner Berufung bei Lufthansa die belgische Brussels Airlines, das Frachtgeschäft und den Umgang mit der Pilotengewerkschaft verantwortete, muss Condor deutlich verändern. Und er wird dabei mit vielen „Tecke“-Traditionen brechen, glaubt Shakeel Adam, weltweiter tätiger Berater bei Aviado Partners. „Condor braucht eine neue Führungskultur, einen selbstbewussteren Auftritt und muss attraktiv für neue Investoren werden“, so Adam.
Auf den ersten Blick erscheint das übertrieben. Kaum eine Linie in Europa hat sich in den vergangenen fünf Jahren so verändert wie Condor. Zum einen machte sie in der Zeit gleich zwei Insolvenzverfahren durch: Eines 2019 nach der Pleite des damaligen Mutterkonzerns Thomas Cook und ein zweites, als in der Coronazeit der Verkauf an den Konzern der polnischen Fluglinie Lot scheiterte.
Die Zeit beschreibt Teckentrup im Rückblick als „wirklich Mist“, weil er und das Top-Management in der Lockdownperiode über Monate permanent am Limit arbeiteten. Am Ende hatte das Team Teckentrup das Geschäftsmodell rund um Flüge für Reiseveranstalter, selbst vermarktete Tickets und Fernstrecken auf die Malediven oder nach New York extrem verfeinert. Dank niedriger Kosten, gutem Service und motivierten Mitarbeitern habe Condor „exzellente Chancen in den nächsten drei, vier oder wie viel Jahren auch immer“, urteilte Teckentrup, als er Ende 2022 seinen Ausstieg ankündigte. Als wichtigstes Vermächtnis des Langzeitchefs gilt das gute Verhältnis der Führung zur Belegschaft, zu den „Condorianern“. Teckentrup hat es durch einen Mix aus Ehrlichkeit und Einsatz aufgebaut. Wie wertvoll das ist, zeigte sich im Sommer 2021. Weil die Condorianer freiwillig Überstunden machten, musste die Linie trotz Personalmangel weniger Flüge absagen als die Lufthansa.
Verdrängungswettbewerb durch Lufthansa
Doch inzwischen gibt auch Teckentrup zu, dass dies nicht mehr ausreicht. „Es gibt für das künftige Management noch einiges zu tun“, gestand er jüngst dem „Handelsblatt“. Zum einen wolle die Lufthansa vor allem über ihre neue Discounttochter Discover in einem unerwartet starken „Verdrängungswettbewerb“ ins Feriengeschäft. Dazu gebe es „auf der Kostenseite ein paar Effekte, die wir bei der Planung unserer Budgets unterschätzt hatten“, gesteht Teckentrup. Hierzu zählen offenbar vor allem höhere Personalkosten und Mehrausgaben im Flugbetrieb beim Kerosin oder weil die bestellten sparsamen neuen Jets später kamen als erwartet.
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Wohl darum verbuchte Condor – anders als vor einem Jahr von Unternehmenskennern angedeutet – im Geschäftsjahr 2022 einen Verlust von 300 Millionen Euro – ein Sechstel des Umsatzes. Und obwohl die Flugbranche 2023 boomte, erreichte Condor angeblich seine Ertragsziele nicht. Der Haupteigentümer, der Finanzinvestor Attestor musste dem Vernehmen nach Geld nachschießen. Das Unternehmen und Attestor wollten sich zu entsprechenden Presseberichten nicht äußern.
Um das zu ändern, sollte Gerber aus Sicht von Experten wie Shakeel Adam zum einen die Unternehmenskultur ändern: weg vom Tecke-Stil, den Weggefährten als „patriarchalisch“ und wegen des etwas derben Humors als „ruppig bis aggressiv“ beschreiben. Der neue Chef müsse hin zu einem verbindlicheren Stil mit mehr „echter Teamarbeit und rationaleren Abläufen“, wünscht sich ein Kenner der Condor. Zudem sollte Gerber anders als Teckentrup das Tagesgeschäft mehr seinen Mitarbeitern überlassen und sich stattdessen um die Strategie und den Umgang mit Anteilseignern, der Politik und Großkunden kümmern. „Auch wenn das viele Vorstandschefs anders sehen: das ist die eigentliche Aufgabe eines CEO, nicht der Flugbetrieb“, so Berater Adam.
„Jeder weiß, wofür Condor steht“
Dazu müsse Condor seinen Markenkern als Ferienflieger weiter stärken. „Wenige Kunden wissen genau, wofür Eurowings oder Discover steht. Aber jeder weiß, wofür Condor steht“, so Adam. Dazu gehören zum einen mehr Kooperationen mit anderen Airlines wie zuletzt mit Emirates. Über die Partner kann Condor ihre Sitze leichter an Reisende außerhalb Deutschlands verkaufen und eigene Kunden gegen eine Umsatzbeteiligung vermitteln. Gerber hat im Lufthansakonzern gelernt, wie diese komplexe Form der Zusammenarbeit funktioniert.
Eine weitere Option wäre, stärker als bisher die eigenen Flüge mit Übernachtungen zu kombinieren und damit selbst zum Veranstalter zu werden. Zwar versucht die Linie das bereits mit Condor Holidays. Doch sie tut das deutlich zurückhaltender als Easyjet, die damit einen großen Teil des Gewinns erzielt.
Bereit machen zum Verkauf?
Dazu sollte Gerber noch eine dritte Aufgabe angehen: Condor fit zu machen für eine Übernahme durch eine andere Airline. Auch wenn Condor wieder größer ist als vor Corona, auf Dauer wird die Linie kaum überleben. Darum denke der Hauptaktionär Attestor offenbar bereits an einen Ausstieg, berichten Insider.
Auch Teckentrup rechnet offenbar damit. Solche Finanzinvestoren seien „nicht dafür bekannt, dass sie Beteiligungen zehn Jahre oder noch länger halten“, so der Manager. „Wenn wir in drei bis fünf Jahren unsere Flotte komplett erneuert haben werden, hängt es wahrscheinlich davon ab, wie viel Geld man unserem Eigentümer anbietet.“ Infrage kommt aus seiner Sicht da nur eine andere Airline – wobei Lufthansa ausscheide, weil sie ohnehin bereits eine extrem starke Stellung in Deutschland habe.
Darin vermuten Beobachter denn auch den wahren Grund für Gerbers Berufung. „Als Jurist beherrscht er solche Dinge besser als ein reiner Airliner wie Teckentrup“, so ein Manager der Konkurrenz. „Dazu er versteht wie wenige in der Branche den Umgang mit Kartellbehörden und vor allem der Wettbewerbskommission der EU, weil er vor seinem Start bei Condor quasi der oberste Interessenvertreter der Lufthansa in Brüssel war.“
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