Wizz-Air-Vizechef Carey „Der deutsche Markt ist derzeit frustrierend“

Robert Carey, Vizechef der ungarischen Wizz Air, glaubt an eine rosige Zukunft. Was sein enges Verhältnis zur Belegschaft, Pauschaltouristen der Tui und der Spritverbrauch von Flugzeugen damit zu tun haben, erzählt er hier.

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WirtschaftsWoche: Herr Carey, im vorigen Jahr boomten fast alle Fluglinien. Wizz Air aber hatte im vierten Quartal 2023 schlechtere Zahlen als im Vorjahr und sogar einen Verlust. Ist Ihre goldene Zeit vorbei?
Robert Carey: (lacht) Natürlich nicht. Wir werden das gesamte Geschäftsjahr mit dem höchsten Gewinn unserer Geschichte beenden. Und da Sie sicher jetzt einen bullishen Spruch hören wollen: Unsere besten Jahr kommen erst noch. Wir werden in 2024 zweistellig wachsen und wieder die gewohnte zweistellige Marge schaffen.

Die hatten Sie Ende 2023 ja auch, aber im negativen. Woran lag's?
Wir hatten damals, was man einen perfekten Sturm nennt. Ich weiß noch, wie ich Mitte Oktober mit unserem CEO József Váradi zusammen saß und wir uns fragten: Wie viele Herausforderungen kann man noch in einen Monat packen? Wir mussten wegen Triebwerksproblemen fast ein Viertel unserer Flotte am Boden lassen, nach dem Überfall der Hamas auf Israel sackte die Nachfrage ab und dann schloss mit London Luton auch noch einer unserer wichtigsten Flughäfen nach einem Großbrand. Es war absolut verrückt. Und weil wir Wachstum geplant hatten, traf es uns ungleich stärker. Denn mit jedem abgesagten Flug fehlten uns nicht nur die Ticketumsätze. Es fehlten auch die Einnahmen von Dingen wie Gepäck oder Sitzplatzreservierungen, die einen spürbaren Teil des Gewinns liefern.

Auch andere Linien mussten ungeplant Flugzeuge parken oder litten unter den Folgen des Hamas-Überfalls – und verdienten trotzdem Geld.
Aber wir wollten dreimal so stark zulegen wie etablierte Linien, also etwa Lufthansa oder Air France-KLM. Und so flexibel unsere Kosten auch sind, von plus 20 Prozent auf ein leichtes Minus – das geht nicht ohne Einbußen.

Zur Person

Im neuen Jahr folgte eine europaweite Streikwelle, vor allem an deutschen Flughäfen. Hat Ihnen das auch die Zahlen verdorben?
Nein. Das hat uns praktisch nicht betroffen, weil unser Personal nicht gestreikt hat.

Wie ist Ihnen das gelungen? Haben Sie als Ex-Unternehmensberater da einen Tipp für den streikgeplagten Lufthansachef Carsten Spohr?
Lieber nicht. Meine Beratertage sind vorbei und jeder öffentliche Satz käme mir vor wie Besserwisserei; besonders, weil auch wir schon Arbeitskämpfe hatten.

Aber was ist das geheime Wizz-Air-Rezept für ein praktisch streikfreies Unternehmen?
Das bleibt geheim (lacht). Aber im Ernst: Es ist schlicht unsere Firmenkultur. Ich glaube, wir als Management haben einfach eine gute Verbindung zur Belegschaft. Und zwar nicht nur zu Gewerkschaften und Betriebsräten, sondern auch unmittelbar zu den Mitarbeitern.

Das sagt jeder Unternehmensvorstand.
Doch dank meiner Erfahrung als Berater oder durch die Arbeit bei anderen Airlines weiß ich: Bei uns stimmt es. Unser CEO und alle anderen im Vorstand suchen bei jeder Gelegenheit das Gespräch mit den Beschäftigten. An jedem Ort, wo wir Flugzeuge stationiert haben, machen wir ein, zwei Mal im Jahr eine Betriebsversammlung und fragen: Was stört euch? Habt ihr alles für einen guten Kundenservice? Was sollten wir ändern? Und, auch wenn das jetzt stark nach Eigenlob klingt: Wir freuen uns über Widerspruch, denn er macht uns besser.

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Wird das so friedlich bleiben, wenn die aktuellen Tarifverträge auslaufen und auch Ihre Mitarbeiter höhere Löhne fordern?
Ich glaube schon. Denn wir sehen uns die Gehälter ständig an und reagieren, wenn wir Bedarf sehen. Darum zahlen wir aus meiner Sicht faire und konkurrenzfähige Löhne. Denn wir wissen: Tun wir das nicht, droht uns sofort etwas Schlimmeres als Streiks.

Und zwar?
Kündigungen. Nehmen Sie unsere Kabinenbesatzung. Von denen haben zwei Drittel einen Hochschulabschluss. Anders als bei anderen Airlines sehen die ihren Job nicht als Lebensstellung. Sie sind bei uns, weil sie genau das wollen. Doch sie können jederzeit was anderes machen, wenn ihnen das attraktiver erscheint. Darum lieber Streiks als Kündigungen.

Warum?
Weil wir nur mit motivierten und erfahrenen Mitarbeitern wie geplant wachsen können.

Sie wollten bis 2030 Ihre Flotte mehr als verdoppeln und ab 2025 wieder eine deutlich zweistellige Umsatzrendite erreichen. Können Sie das angesichts der Probleme, vor allem mit Ihren Flugzeugen, noch aufholen?
Aufholen wahrscheinlich nicht, aber nachholen. Wir werden unsere Ziele erreichen, und zwar nicht nur was unsere Größe angeht, sondern auch beim Ertrag. Nur eben möglicherweise etwas später.

Wie viel später?
Das hängt davon ab, wann wir wie viele neue Flugzeuge bekommen. Aber es wird nicht viel später sein. Denn der Markt ist ideal für uns.

Inwiefern? Sie wollen deutlich über dem Schnitt zulegen. Gleichzeitig melden immer mehr Airlines sinkende Durchschnittserträge bei steigenden Kosten.
Gerade deshalb profitieren wir mehr als andere. Denn die Menschen wollen mehr denn je reisen. Aber angesichts der steigenden Lebenshaltungskosten achten sie mehr auf die Preise. Darum machen sie etwa einen Tag weniger Urlaub und buchen vermehrt bei Airlines mit günstigen Tickets wie uns. Dank niedrigerer Preise mehr Kunden, das ist die Kraft des Low-Cost-Modells.

In Deutschland scheint das Modell aber zu schwächeln. Die meisten Billigflieger haben sich zurückgezogen. Dabei hätten sie angesichts der hohen Preise im Inlandsverkehr eigentlich ideale Bedingungen.
Nicht ganz. Der deutsche Markt ist derzeit ein wenig frustrierend. Denn dort sind nicht nur die Preise hoch, sondern in der Regel auch die Kosten. Es gibt zwar Flughäfen, die Wachstum wollen. Doch sie können offenbar nicht die dafür nötigen Anreize bei den Gebühren bieten. Dazu haben die Lufthansa und ihre Tochtergesellschaften wie Eurowings eine starke Stellung, die sie nach Kräften verteidigen.

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Und da können Sie mit Ihren niedrigen Kosten nicht gegenhalten?
Wahrscheinlich schon. Aber warum sollten wir? Wir haben derzeit ohnehin zu wenig Flugzeuge. Und wenn wir da eines nach Deutschland schicken, verdient es dort meist weniger Geld als anderswo.

Aber Sie bekämen doch höhere Preise als anderswo.
Das wäre möglich. Aber selbst wenn die Lufthansa nicht gegenhalten würde: Wir wollen keine zu hohen Preise verlangen. Das passt nicht zu unserem Markenkern: günstige Flüge. Darum wachsen wir lieber da, wo es weniger dominierende Marktführer gibt, etwa in Großbritannien, Italien oder Österreich.

Dort fliegen Sie sogar für Veranstalter wie Tui. Wie sind Ihre Erfahrungen mit anspruchsvollen Pauschaltouristen?
Gut. Es ist ein tolles Geschäft, weil es auch Tui erlaubt, günstigere Preise anzubieten. Aber unser Kernbusiness sind und bleiben Flüge in Europa.

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Wie stark werden die immer strengeren Umweltauflagen Ihr Wachstum bremsen?
Das ist schwer zu sagen. Aber ich denke, es wird weniger sein als bei anderen Linien.

Warum? Wenn Sie stark wachsen, leiden Sie doch stärker als andere unter den steigenden CO2-Abgaben oder den Vorschriften für einen Mindestanteil an nachhaltig erzeugtem Flugbenzin.
Wenn die Regeln wirklich umweltfreundlich sind, gilt das nicht. Denn im Prinzip gilt: Der CO2-Ausstoß sinkt, wenn unsere Anteil am Verkehr wächst, und zwar nicht nur am Flugverkehr, sondern am Verkehr insgesamt.

Wie das?
Wir haben mit dem Airbus A321neo das effizienteste Flugzeug auf dem Markt und lasten unsere Flüge mehr als 90 Prozent aus. Darum stoßen wir im Schnitt nur rund 50 Gramm CO2 aus, wenn wir einen Passagier einen Kilometer weit befördern. Aber der Wert ist bereits nicht nur geringer als bei allen anderen Fluglinien in Europa. Es ist auch weniger als bei einem Pkw, selbst wenn da mehr als eine Person drinsitzt. Und wie manche sagen, ist unsere Gesamtbilanz sogar besser als die des Zugverkehrs, vor allem wenn man die Umweltbelastung beim Bau der Strecken einrechnet.

von Rüdiger Kiani-Kreß, Julian Heißler, Thomas Stölzel

Und das reicht?
Nein. Wir werden und müssen den Wert weiter deutlich senken. Und zwar sofort. Da müssen sich vor allem unsere Wettbewerber mehr anstrengen.

Aber jede Linie hat einen Plan, wann sie klimaneutral fliegen will.
Es ist sicher gut, wenn jeder etwas für 2030 oder 2050 verspricht. Nur was ist mit jetzt? Wer einen Marathon laufen will, ist auch nicht zufrieden, wenn er jeden Tag nur fünf Kilometer schafft. Er muss sich stetig steigern und an seine Grenzen gehen. Und das gilt auch für die Politik.

Was vermissen Sie da? Wie alle mehr Förderung für nachhaltig erzeugte Kraftstoffe?
Das wäre ein Anfang. Aber wir brauchen auch ein Ende von Regeln, die etablierte Fluglinien mit höherer Umweltbelastung bevorzugen.

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Welche Regeln meinen Sie?
Etwa, dass für Umsteigeflüge bestimmte Regelungen wir Umweltabgaben nicht gelten.

Schaffen Sie es, wie angekündigt, bis 2030 von derzeit gut 200 Flugzeugen auf 500 zu wachsen?
Angesichts der vielen Überraschungen im vorigen Jahr sage ich lieber: 2031.

Und wo sollen die 500 Maschinen fliegen?
Wir glauben, dass wir dann die Hälfte unserer in unserem Kernmarkt Osteuropa einsetzen und ein Viertel in Westeuropa.

Und das verbleibende Viertel?
Dafür gehen wir in neue Märkte. Es gibt bereits seit 2021 Wizz Air Abu Dhabi, die sich sehr gut entwickelt. Dazu haben wir einen Vorvertrag für ein ähnliches Projekt in Saudi-Arabien.

Im nächsten Jahr bekommen Sie Ihre ersten Airbus A321XLR, die auch echte Langstrecken fliegen können. Landen Sie dann auch in den USA?
Dafür haben wir erstmal keine Pläne. Der Nordatlantik ist ein sehr kontrollierter Markt und für neue Wettbewerber schwierig. Darum konzentrieren wir uns mehr auf andere Regionen. Dazu müssten wir unseren Service anpassen und das wollen wir nicht.

Was müssen Sie denn tun? WLAN oder ein Bordunterhaltungsprogramm?
Darauf sprechen mich in der Tat immer wieder Passagiere an.

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Und was sagen Sie denen?
Einen Passagier habe ich gefragt: Wieviel haben Sie mit unserem Ticket gespart? Er antwortete: 400 Dollar. Da sagte ich: „Wenn Sie sich davon einen Tablet-Computer plus Kopfhörer kaufen und einen Streaming-Dienst abonnieren, haben Sie sogar noch was gespart – und wahrscheinlich ein besseres Programm. Denn anders als bei Ryanair werden Sie bei uns nicht gestört“. Das hat ihn überzeugt.

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