Der Name Nukem ist mit der Geschichte der Atomkraft in Deutschland eng verwoben. Sogar mit einem ihrer größten Skandale. In den 80er Jahren residierte die RWE-Tochter, die vor allem Brennstäbe herstellte, im sogenannten Hanauer „Atomdorf“, einer Ansammlung von Atomunternehmen, als ihre Tochter Transnuklear in den Verdacht geriet, radioaktiven Müll illegal entsorgt zu haben. Bis in die 90er Jahre wurde prozessiert, der Skandal hatte politische Sprengkraft.
Alles passé. Anfang des Jahrtausends hat RWE seine Tochter verkauft. Längst stellt Nukem auch keine Brennstäbe mehr her, sondern hat sich als Nukem Technologies und mit seiner Tochter Nukem Technologies Engineerings Services auf das Management von radioaktiven Abfällen und Sonderabfällen, den Rückbau von Atomkraftwerken und Ingenieursdienstleistungen spezialisiert. Sitz des Unternehmens ist auch nicht mehr Hanau, sondern Karlstein am Main in Franken.
Ein bisschen Brisanz aber ist geblieben. Seit 2009 gehört die Firma über verschiedene Zwischengesellschaften zum Reich der russischen Nuklearholding Rosatom. Ein früherer Geschäftsführer hat Nukem einst sogar „als Rosatoms Brückenkopf im Westen“ bezeichnet.
Verbindung nach Russland schadet Auftragslage
Wohl vor allem wegen dieser Verbindung hat die Firma mit ihren 114 Mitarbeitern jetzt beim Amtsgericht Aschaffenburg überraschend Insolvenz in Eigenverwaltung anmelden müssen. Der Jurist Thomas Rittmeister von der Kanzlei Reimer Rechtsanwälte soll nun als vorläufiger Sachwalter dafür Sorgen, dass die Interessen der Gläubiger gewahrt bleiben. Der Insolvenzrechtler Christian Feketija von der Kanzlei JFK – Jess & Feketija berät das Unternehmen.
Der Schritt soll es potenziellen Investoren erleichtern, das Unternehmen zu übernehmen. Folgen für den Rückbau der deutschen AKWs soll sie hingegen nicht haben: Vom Energieriesen und Nukem-Kunden EnBW, der für den Rückbau mehrerer Atomkraftwerke zuständig ist, heißt es, die Insolvenz habe keine Auswirkungen auf seine Projekte.
Das Unternehmen erklärt den Gang in die Insolvenz ganz offen mit der veränderten geopolitischen Weltlage. Nach dem Beginn des russischen Angriffs im Februar 2022 auf die Ukraine hätten sich die „Rahmenbedingungen“ für die „unternehmerischen Aktivitäten“ derart verschlechtert, heißt es aus Karlstein, dass der Eigentümer schon im Herbst 2022 den Verkauf „in die Wege“ geleitet habe. „Compliance-Erwägungen und rechtliche Überlegungen auf Seiten westlicher Kunden“ hätten auf die Auftragslage gedrückt. „Märkte wie Großbritannien, Japan, USA waren für uns nicht mehr zugänglich.“
Obwohl weder die Nukem Technologies Engineerings Services noch die Eigentümergesellschaften bis heute sanktioniert seien, habe sich der Lieferantenstamm verkleinert, der Zugang zu „Bürgschaften und Krediten“ habe sich erschwert. Bei einzelnen Projekten sei man zudem finanziell in Vorleistung gegangen, habe die Zahlungen aufgrund von Sanktionen „nicht wie geplant“ leisten können. Es habe seither zwar „erhebliches“ Interesse an einem Einstieg bei Nukem gegeben. Dennoch habe der Verkaufsprozess bis zu diesem März nicht abgeschlossen werden können, da potenzielle Investoren rechtliche Unsicherheiten gefürchtet hätten.
Beeinflusst das den Rückbau bei EnBW?
Nukem Technologies ist seit mehr als 60 Jahren im Markt aktiv und kann auf Referenzprojekte wie ein Abfallbehandlungszentrum für strahlende Altlasten der stillgelegten Tschernobyl-Reaktoren verweisen. Auch an den Rückbauplanungen für die Kernkraftwerke von EnBW hat Nukem Technologies mitgearbeitet und eine Konzeptstudie zur Bearbeitung der beim Rückbau anfallenden Reststoffe erstellt. Laut EnBW wurde dieser Auftrag jedoch schon im Jahr 2012 abgeschlossen. Darüber hinaus, heißt es von EnBW, sei Nukem Teil eines Konsortiums, das die EnBW für ein einzelnes Vorhaben beim Rückbau des Kernkraftwerks Philippsburg 1 in der Nähe von Karlsruhe beauftragt habe. Dieses Konsortium werde allerdings nicht von Nukem geführt. Die Tätigkeit des Unternehmens sei auf ein einzelnes Gewerk beschränkt, das bereits weitgehend abgeschlossen sei. Auf die Rückbauprojekte der EnBW hätten „weder die Insolvenz eines Nukem-Unternehmens noch Sanktionsregelungen in Bezug auf diese Firmengruppe Auswirkungen“. EnBW hatte im April des vergangenen Jahres sein letztes am Netz verbliebenes Kernkraftwerk, Neckarwestheim 2, stillgelegt.
Hoffen auf einen strategischen Investor
Auch auf die Firma Urenco, die in Gronau in Nordrhein-Westfalen Uran anreichert und an der die Energieriesen RWE und E.On jeweils noch ein Sechstel besitzen, hat die Nukem-Insolvenz keine Auswirkungen. Man habe die Zusammenarbeit mit Nukem nach dem russischen Angriff auf die Ukraine „offiziell beendet“, heißt es von Urenco. Nach eigenen Angaben hatte Nukem für Urenco „Ingenieurleistungen zum Rückbau und der Neuerrichtung von Teilbereichen der Dekontamination“ erbracht.
Nun soll die Insolvenz in Eigenverwaltung, bei der das Management an Bord bleibt, eine Lösung mit neuen Investoren ermöglichen. „Wir haben die Verhandlungen mit einigen der Interessenten wieder aufgenommen“, teilt Nukem mit: „Das Interesse dieser Parteien besteht nach wie vor.“ Ziel sei es, „das Unternehmen mit einem strategischen Investor fortzuführen“ – ganz ohne russische Beteiligung.
Lesen Sie hier, wie der Rückbau eines Kernkraftwerks geplant und umgesetzt wird.