Natürlich ist Gazproms Lieferstopp nach Polen und Bulgarien eine Machtdemonstration Wladimir Putins gegenüber Europa und vor allem gegenüber Berlin: Spielt ihr beim Gas nicht nach meinen Regeln, zahlt ihr euer Gas nicht in Rubel, drehe ich den Hahn ab, wie Ende März angedroht. Dann ergeht es euch wie Warschau und Sofia – und darüber hinaus schießen eure Spotmarktpreise nach oben. Putin nutzt sein Gas – und das ist wahrlich weder neu noch eine Überraschung – also weiter als Waffe, als Mittel der Erpressung.
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Die Rubelfrage bietet ihm zusätzlich sogar die Chance, die Mitglieder der Europäischen Union zu spalten – in jene Nichthörigen, die sich seinen neuen Zahlungsregeln verweigern wie Polen und Bulgarien und kein Gas bekommen und jene Hörige, die versuchen, es ihm trotz allem irgendwie recht zu machen, um einen Stopp ja zu verhindern.
Selbst die EU-Kommission sieht juristisch machbare Variante
Das gilt, natürlich und vor allem, für Deutschland. Berlin, allen voran Energieminister Robert Habeck, verfolgt bekanntlich bis auf Weiteres die Strategie, mit öffentlich gezeigtem schlechtem Gewissen weiter russisches Gas zu beziehen – mit Verweis auf die unvorhersehbaren wirtschaftlichen Folgen eines Embargos.
Gleichzeitig setzt Habeck alles daran, neue Bezugsquellen zu erschließen, um sich möglichst schnell aus der Abhängigkeit zu lösen. Es ist, trotz aller Widersprüchlichkeit, die richtige Strategie, die beim Öl offenbar sogar fixer aufgeht als gedacht. Beim Gas bedeutet das aber, dass die Bundesregierung versucht, Wege zu finden, wie deutsche Unternehmen, Gazproms Großkunden wie Uniper oder EnBW-Tochter VNG, Euro und Dollar in Rubel wechseln können, ohne Sanktionsvorgaben zu verletzen. Die EU-Kommission hatte Ende vergangener Woche verkündet, dass sie zwar auf die Einhaltung der Verträge poche, aber glaube, dass es möglicherweise eine juristisch vertretbare Variante gebe: Konten bei der Gazprom-Bank verstößen nicht gegen Sanktionen.
Ein jämmerliches Gewürge zu einem immer höheren Preis
Polen hat sich von so einer Kompromissstrategie früh distanziert, sowohl Polen als auch Bulgarien können sich auch schneller aus der Abhängigkeit von Putins Gas lösen als Deutschland – ihre Verträge mit Gazprom laufen ohnehin Ende des Jahres aus. Polen kann viel durch LNG-Importe ausgleichen, Bulgarien bekommt bald Zugang zu einer Pipeline zu Gas aus Aserbaidschan. Berlin kann und muss trotz der jüngsten Putinschen Eskalation vorerst ruhig Blut bewahren. In den nächsten Tagen und Wochen, wenn, gemäß dem Putinschen Dekret, die ersten Zahlungen aus Deutschland in Rubel fällig werden, gibt es wahrscheinlich eine Zahlungsvariante, die den Gasfluss nach Deutschland sichert.
Zur Wahrheit gehört freilich, dass all das ein jämmerliches juristisches Gewürge ist, dass Deutschland sich natürlich den Vorgaben Putins beugt und dass Putin die Europäer spaltet. Der Preis der Gaslieferungen für die Deutschen wird so auch politisch jeden Tag höher. Das Risiko wächst, bald mit Putins Gas, aber ohne Freunde, selbst in Europa dazustehen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat das russische Vorgehen am Mittwoch als „ungerechtfertigt und inakzeptabel“ bezeichnet. Man sei vorbereitet, es werde eine Reaktion der EU geben. Man stehe „geeint“ und „in Solidarität“. Die deutsche Solidarität ist bis auf Weiteres nicht unbedingt.
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