Debatte um Industriestandort Deutschland „Gefragt sind Anlagen, die wenig Energie und Platz brauchen – das können deutsche Unternehmen sehr gut“

Lohnt sich die Produktion in Deutschland noch? Quelle: imago images

Eine alte Frage erhält durch aktuelle Entwicklungen neuen Zündstoff: Lohnt sich der Industriestandort Deutschland noch? Nur noch für grüne Technik? Die EU sagt: ja! Die Industrie sagt: Es kommt drauf an.

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Technologische und klimaschonende Fortschritte sind nicht immer so sichtbar und für die breite Masse (an-)greifbar wie zum Beispiel Wärmepumpen; manchmal vollziehen sie sich im Stillen und von der Öffentlichkeit weitestgehend unbemerkt. Etwa im Odenwald: In der 4700-Einwohner-Gemeinde Waldbrunn, ganz im Norden Baden-Württembergs gelegen, sitzt das Familienunternehmen Mosca. Und von dessen Innovationskraft und Nachhaltigkeitsbemühungen haben wahrscheinlich nur diejenigen etwas mitbekommen, die in Supermarktlagern arbeiten, wenn überhaupt, oder am Institut für Management- und Wirtschaftsforschung (IMWF): Das Institut hat Mosca nämlich bereits zweimal als nachhaltigsten Maschinenbauer des Landes ausgezeichnet.

Mosca baut sogenannte Umreifungsmaschinen. Das sind Anlagen, die jene Bänder herstellen, mit denen man Kartons oder Packungen festzurren, bündeln und sichern kann. Moscas Bänder sind schmaler als andere, zudem ist das verwendete Material zu 100 Prozent recycelt; die Energie zur Produktion der Bänder gewinnt das Unternehmen aus eigenen Solaranlagen im Bandproduktions-Werk in Muckental, 15 Autominuten südöstlich vom Firmensitz. Rund die Hälfte der insgesamt 1120 Mitarbeiter sind für Mosca in Deutschland aktiv. „Mosca betreibt enormen Aufwand zur CO2-Reduzierung in der Logistikverpackung“, sagt Matthias Riemann, bei der Strategie- und Unternehmensberatung Munich Strategy verantwortlich für Maschinenbau. „Sie versuchen so, sich ein Alleinstellungsmerkmal aufzubauen.“ Mosca habe zum Teil große und bekannte Kunden aus der Lebensmittel- und Konsumgüterindustrie, die mehr und mehr auf Nachhaltigkeit schauen. „Da wollen sie etwas vorweisen können.“

Eine alte Frage, angereichert durch neue Entwicklungen

Mosca steht für Riemann deshalb exemplarisch dafür, wie ein Unternehmen den Industriestandort Deutschland erfolgreich auch in Zukunft nutzen und ausbauen kann: durch Innovation und Ideen. Denn um diese relativ alte Frage ist eine komplexe Diskussion entstanden, angereichert durch aktuelle Entwicklungen: Lohnt sich Industrie noch im Hochlohnland Deutschland, wo die Gas- und Strompreise zu den höchsten in Europa zählen? Wo es immer deutlicher und dramatischer an hoch- und mittelqualifizierte Fachkräften fehlt? Wo die deutsche, mitunter übergründliche Bürokratie willigen Unternehmern bisweilen Fesseln anlegt? Lohnt es sich vielleicht nur noch für sogenannte grüne Industrien?

Stiebel-Eltron-CEO Schiefelbein erzählt, wie sich der Viessmann-Verkauf auswirkt, was den Standort Deutschland attraktiv macht und weshalb er auf Premium setzt, aber nicht den „Bentley“ unter den Wärmepumpen produziert.
von Horst von Buttlar

„Die Diskussionen um den Industriestandort Deutschland führe ich seit 15 Jahren mit den Kunden“, sagt Riemann – „und noch nie waren die Gespräche so intensiv wie jetzt. Und leider sind sie nun fast ausschließlich negativ konnotiert.“ Dazu passt das neueste Lagebild des Bundes Deutscher Industrie (BDI), der von Ende April bis Mitte Mai rund 400 deutsche Mittelständler befragt hat. Der Umfrage zufolge beklagen 76 Prozent der deutschen Unternehmen zu hohe Personalkosten sowie einen anhaltenden Fachkräftemangel, und 37 Prozent kritisieren zu langsame Genehmigungsverfahren. Und noch eine interessante Zahl: Rund 16 Prozent der vom BDI befragten Unternehmen verlagern derzeit Teile ihrer Produktion und Arbeitsplätze ins Ausland, 30 Prozent der Befragten denken über diesen Schritt nach.

Wie also ist es um den Industriestandort Deutschland bestellt? Die Antworten sind, wie die Fragen auch, komplex. So komplex, dass Unternehmen mit vergleichbaren Voraussetzungen mitunter zu gegensätzlichen Entscheidungen kommen. Anschauungsmaterial dazu lieferten vor kurzem die beiden Familienunternehmen Viessmann und Stiebel Eltron.

Viessmann und Stiebel Eltron: ähnliche Voraussetzungen, gegensätzliche Strategien

Beide sind Wärmepumpenhersteller. Beide gehören in der Heizungsbranche zu den Großen: Viessmann erwirtschaftete im vergangenen Jahr rund vier Milliarden Euro, Stiebel Eltron 1,1 Milliarden Euro. Und beide dürften qua ihrer Ausrichtung auf Wärmepumpen zu den künftigen Gewinnern der politisch forcierten Wärmewende in Deutschland und der EU zählen.

Und doch reagieren beide sehr unterschiedlich, in Bezug auf ihre Standortpolitik. Wie Viessmann bereits im Sommer 2022 mitteilte, investiert die Firma mehr als 200 Millionen Euro, um ein neues Wärmepumpen-Werk im polnischen Legnica zu bauen. Und vor rund zwei Monaten, im April 2023, folgte dann die noch deutlich weitreichendere Entscheidung, den Geschäftsbereich Klimalösungen (mit dem Wärmepumpen-Geschäft) an den US-Konzern Carrier Global zu verkaufen. Stiebel Eltron dagegen verkündete wenige Tage zuvor, stolze 450 Millionen Euro in den Ausbau der Wärmepumpen-Produktion zu investieren – am Stammsitz im niedersächsischen Holzminden.

Für Stiebel Eltron sei der Viessmann-Verkauf „eher eine Chance“, sagt Stiebel-Eltron-Chef Kai Schiefelbein im WirtschaftsWoche-Podcast Chefgespräch. Weil der Verkauf dazu führe, „dass es Installateure gibt, die das Vertrauen in Viessmann verlieren und die als Kunden für Stiebel Eltron in Frage kommen.“ Und weil ein Unternehmen, das an ein sehr viel größeres Unternehmen verkauft worden ist, „eine ganze Zeit lang mit sich selbst und mit Integrationsfragen beschäftigt sein wird“ – so dass sich „die relative Wettbewerbsfähigkeit von Stiebel Eltron im deutschen Markt logischerweise verbessert“. In einem früheren WirtschaftsWoche-Interview hatte Schiefelbein zudem einen Satz gesagt, den Strategieberater Matthias Riemann wohl unterschreiben würde: „Man muss nicht unbedingt Marktführer zu sein, um attraktive Angebote zu machen.“ Stiebel Eltron sei schon „immer der David“ gewesen, der sich mit seiner verhältnismäßig frühen Konzentration auf Wärmepumpen gegen die Goliaths behauptet hat.

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Auch Stiebel Eltron verfügt über ein Werk im osteuropäischen Ausland, in der Slowakei. Dass dort die Löhne niedriger sind als hierzulande, sei „kein Geheimnis“, sagt Schiefelbein. Allerdings sei der vielzitierte deutsche Fachkräftemangel eben noch nicht im entscheidenden Maße bei ihm angekommen, zumal im Vergleich mit der Slowakei, wo es laut Schiefelbein doch deutlich schwieriger ist, geeignete Ingenieure zu finden und zu binden, als in Holzminden. Darüber hinaus versuche Striebel Eltron, durch automatisierte Prozesse den Lohnanteil an der Produktion zu verringern.

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