Lange selbstgefällig, verhaftet in einer falsch verstandenen Nostalgie, maßgeblich verhunzt von Managern, die der eigenen Schönfärberei auch noch glauben – und falsch oder gar nicht investieren. Die Stahlsparte von Thyssenkrupp ist nicht irgendein Konzern. Konjunktur. Strukturelle Veränderungen. Strompreise. Grüner Wandel. Die Konkurrenz aus China. „Der Stahl“ von Thyssenkrupp ist auch nicht nur ein Kürzel für Duisburg oder das Ruhrgebiets. Er ist ein Kürzel für Deutschland. Was bei Thyssenkrupp passiert ist eine betriebswirtschaftliche Frage, eine soziale Frage – und eine politische.
Die Richtung stimmt
Das ist die große Folie, vor der Bernhard Osburg, der Chef der Stahlsparte, gestern Abend vor seinem Oberchef, dem Thyssenkrupp-Vorstandsvorsitzenden Miguel López, und vor Aufsichtsratschef Sigmar Gabriel, skizziert hat, wie der malade Stahl mit seinen noch 27.000 Mitarbeitern gesunden soll. Einen neuen Betriebspunkt soll es geben. Das bedeutet, dass die Kapazität der Rohstahlproduktion heruntergefahren werden soll, von 11,5 Millionen Tonnen auf einen „Korridor“ zwischen 9 und 9,5 Millionen Tonnen.
An diesem Volumen der „Flüssigphase“ hängen alle weiterverarbeitenden Betriebe, die Walzwerke, Werke von Finnentrop bis nach Gelsenkirchen. Betroffen – und im Zentrum ist auch das Werk der HKM, der Hüttenwerke Krupp Mannesmann im Süden Duisburg. Rund 3000 Menschen arbeiten dort. HKM ist ein Joint Venture von Thyssenkrupp mit Salzgitter und dem französischen Röhrenhersteller Vallourec. Noch gibt es keinen ausgearbeiteten Plan. Aber die Richtung ist festgelegt.
Und die Richtung stimmt. Zu lange hat Thyssenkrupp Steel Europe unterhalb seiner Kapazität produziert, war das Werk im Norden unterausgelastet. Ob das auch eine Folge von falschen Managemententscheidungen war, ist Stand heute egal. Die Grobblechproduktion etwa legte Thyssenkrupp still, Salzgitter fährt sie erfolgreich, wichtige Investitionen wurden lange nicht getätigt. Unter dem Strich bleibt, dass Thyssenkrupp derzeit Anlagen und Personal vorhält, die sich nur schwer profitabel machen lassen.
Das Tal muss nicht finster sein
Auch ist es richtig, dass der Vorstand nicht alles auf die maue Konjunktur schiebt. Die Nachfrage der für Thyssenkrupp so wichtigen Autoindustrie nach Stahl — auch das ein Sinnbild für Deutschland – dürfte sich nachhaltig ändern, qualitativ und quantitativ. Die Frage, ob Rohstahl und in welcher Menge Rohstahl wirklich in Deutschland produziert werden muss, wo der Strom absehbar teurer sein wird als etwa in Nordschweden, ist ebenso relevant wie mögliche Schlussfolgerungen aus einer Antwort: Muss man sich dann nicht vor allem auf die Weiterverarbeitung konzentrieren, wenn die Eisenschwamm-Pellets aus Skandinavien geliefert werden?
„Wir sind jetzt in ein Tal gelaufen“, sagt einer, der nah an dem Konzern dran ist – und meint die Konjunktur. „Aber danach geht es nicht wieder rauf.“ Damit meint er die strukturelle Veränderung der Nachfrage. Es ist gut, dass das Unternehmen diese Wirklichkeit nun benennt. Es ist tatsächlich nicht zwingend so, dass dieses Tal auch finster ist.
Es ist auch gut, dass Bernhard Osburg die Restrukturierung jetzt führt. Natürlich sitzt ihm López im Nacken, das ist der Job eines Vorstandsvorsitzenden. Und natürlich hat López, der sich im vergangenen Jahr vor allem als Ankündigungsweltmeister profiliert hat, den Verkauf an den Tschechen Daniel Křetínský im Blick oder an andere Interessenten wie die Investoren von CVC Capital Partners. Natürlich mag man auch eine Good-Cop-Bad-Cop-Arbeitsteilung zwischen Osburg und López unterstellen. Und natürlich gibt es das Risiko, dass der Stahl zu klein gespart wird. Aber mit Osburg ist immerhin jemand nach Außen in der Verantwortung, der Stahl kann und der Duisburg kann – und das nicht nur, weil er von dort stammt.
Er ist gegenüber den Arbeitnehmern kommunikationsfähig, genießt einen guten Leumund. Die Ansage, dass der B-Punkt auf rund 9 Millionen Tonnen gesetzt werden soll, ist ein erstes gutes Anzeichen. Auch andere Leute, die sich ernsthaft mit der Materie auskennen, glauben, dass sich bei diesem Betriebspunkt Geld verdienen lässt. Ob das dann, wie von López avisiert, in einem Joint Venture mit Křetínskýs EPH geschieht oder mit einem Stahl, der im Thyssenkrupp-Konzern verbleibt, ist zunächst zweitrangig.
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Schnell muss es gehen, und es muss investiert werden
Dabei sind zwei Punkte wichtig: Erstens, es muss schnell gehen. Das unheilschwangere Gerede von „Thyssenkrupps letzter Chance“ kann man locker auf die letzten Jahrzehnte anwenden. Immer wieder hat Thyssenkrupp Chancen gehabt, verpasst – und dann ging’s mehr schlecht als recht weiter. Das Momentum des Aufbruchs darf jetzt nicht im Dickicht der Konzerngepflogenheiten hängen bleiben. Osburg muss deshalb zügig konkret werden, um dann in die Gespräche mit den Arbeitnehmern zu gehen. Die pflegen zwar auch ihre eigene Rhetorik, wissen im Zweifelsfall auch, wie sie mit der Politik spielen. Aber zur Wahrheit gehört: Auf Seiten der IG Metall gibt es durchaus Realisten, die wissen, dass Eingriffe – etwa bei der HKM – nötig sind, um Thyssenkrupp auf Vordermann zu bringen.
Es ist nicht einmal undenkbar, dass etwa eine Abwicklung des HKM-Werks im Duisburger Süden halbwegs sozialverträglich machbar ist. Die Altersstrukturen der Belegschaften im Norden der Stadt, bei Thyssenkrupp, und im Süden, bei HKM, erlauben möglicherweise einen nicht allzu brutalen Übergang.
Der zweite Punkt: Es kann nicht nur gespart werden. Um Thyssenkrupp wettbewerbsfähig zu machen, sind erhebliche Investitionen nötig. Die noch geltende Strategie 20-30 hat Investitionen vorgesehen, die auch umgesetzt worden sind. Aber um etwa beim Elektroband dauerhaft mithalten zu können, muss auch Geld in die Anlagen für die Premiumprodukte gesteckt werden. Transformation kostet.
Und damit fallen die wirklich relevanten Entscheidungen am Ende natürlich nicht in Duisburg, sondern in Essen, in der Zentrale: Wie viel ist dem Konzern die Restrukturierung wert, wenn es um Investitionen geht, aber möglicherweise auch um Kosten dann doch für betriebsbedingte Kündigungen, die eigentlich bis März 2026 ausgeschlossen sind? Geht es um eine echte Chance, ein echtes Geschäftsmodell für den Stahl, oder darum, das Geschäft billig zu verkaufen und jetzt die Schmutzarbeit zu erledigen? Sicher ist bei Thyssenkrupp nie etwas. Die Chance, dass etwas vergeigt wird, ist konzernkulturell bedingt groß. Aber immerhin ist der Prozess jetzt auch die beste Chance, die der Stahl hat.
Was der Stahlvorstand von Thyssenkrupp plant, lesen Sie hier.