Cisco-Deutschlandchef „Die IT-Budgets haben sich vom Wachstum der Wirtschaft entkoppelt“

Stolzer Klempner des Internets: Cisco-Deutschlandchef Uwe Peter. Quelle: PR

Die Produkte des Netzwerkausrüsters Cisco gehören zum Rückgrat des Internets. Deutschlandchef Uwe Peter über Chips, die ganze Länder mit dem Internet verbinden, über das Geschäft mit KI – und über den Standort Deutschland.

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Der Netzwerkausrüster Cisco gehört zu den Urgesteinen im Silicon Valley. Im Jahr 2000 nahmen manche Beobachter an, dass der Konzern zum weltweit wertvollsten Unternehmen aufsteigen wird. Das trat nicht ein, aber mit einem Umsatz von 52 Milliarden Dollar ist Cisco einer der größten IT-Konzerne der Welt. Im Interview gibt Deutschlandchef Uwe Peter Einblicke in die Branche – und ihre Zukunft.

WirtschaftsWoche: Cisco beschreiben manche als Klempner des Internets. Stimmt das noch so oder fremdeln Sie mittlerweile mit dem Begriff?
Uwe Peter: Nein, wir sind stolze Klempner des Internets. Es gibt jetzt mindestens 30 Milliarden Endpunkte, die an das Internet angeschlossen sind. Das Internet wächst weiter immens, seine Komplexität nimmt zu. Attacken auf kritische Infrastruktur, auf unser produzierendes Gewerbe sind allgegenwärtig. Deshalb braucht es einfach einen verdammt guten Klempner, sozusagen einen gut ausgebildeten Meisterbetrieb, der diese Netze baut. Das ist die Basis der Infrastruktur, auf der Deutschland heute läuft.

Ihr Chef Chuck Robbins, der CEO von Cisco, hat sich zur Aufgabe gemacht, das Unternehmen stärker zu einem Anbieter von Software zu entwickeln. Momentan macht Hardware aber immer noch 56 Prozent des Umsatzes aus.
Und sie wird weiter eine wichtige Rolle spielen. Wir peilen für Hardware und Recurring Revenues – also Software und Services – ein Verhältnis von fünfzig zu fünfzig an. Jede Software braucht ja auch eine gute Hardware. Wir haben immer schon sehr viele Entwicklungsressourcen in Software gesteckt. Die Kosten flossen aber in den Preis der Hardware ein.

Zur Person

Was hat sich verändert?
In unserem Kerngeschäft, also bei den Netzwerken, haben vor ungefähr fünf Jahren erste Kunden gesagt, dass sie Hardware und Software auch gern getrennt kaufen wollen, also Router und Switches ohne Software oder umgekehrt. Wenn man heute ein Netz baut, geht es nicht mehr nur darum, einen PC oder eine Maschine anzuschließen. Es geht darum, zu automatisieren und die nötige Sicherheit mitzuliefern, damit das Netz die erste Verteidigungslinie gegen Hacker und Spione ist. Der Erfolg eines Projektes wird stark daran gemessen, welche Software-Funktionen bereitgestellt und wie diese genutzt werden können. Wobei die allermeisten Kunden weiterhin komplette Systeme kaufen. 

Cisco ist auch in die Entwicklung von eigenen Netzwerkchips eingestiegen. Wie unterscheidet sich Ihr Angebot von dem der Wettwerber wie Broadcom oder Nvidia?
Zunächst können wir durch die leistungsstarken Prozessoren unsere Router und Switches flexibler machen. Gleichzeitig sind wir durch den „Silicon One“-Chip in der Lage, die gleiche Chiptechnologie im gesamten Netz einzusetzen. Damit können wir den Betrieb deutlich besser automatisieren und vereinfachen. Und man kann nun über Software regeln, wozu man früher mehr Hardware zuschalten musste. Unsere Chips sind deutlich energieeffizienter. Wir haben Kunden, die sagen, dass sie innerhalb von 18 bis 36 Monaten nur durch die Einsparung der Energiekosten die gesamte Investition ins Netz wieder herausgeholt haben. Und wir können viel rascher neue Produkte in den Markt bringen, die schnellsten Netze bauen, die am einfachsten zu verwalten sind. Wir haben gerade einen Switch mit 51 Terabit pro Sekunde auf den Markt gebracht. Die größten Internet-Knotenpunkte der Welt haben 50 bis 100 Terabit pro Sekunde, da kommt der ganze Internet-Verkehr eines Landes rein. Das kriegen wir heute auf einen Chip.

Ist diese Leistungsfähigkeit dieser Chips nicht schon Overkill, wollen das Kunden überhaupt?
Ja, weil man dadurch das Netz viel besser planen kann. Historisch gesehen ist es das erste Mal, dass die Kapazität der Switches und Router schneller wächst als der Internetverkehr. Früher hat der Verkehr so rasant zugelegt, dass man die Topologie des Netzes, also wie es aufgebaut ist, ständig verändern musste. Man musste neue Hardware, neue Hierarchien einbauen. Jetzt halten wir die Topologie stabil, was für unsere Kunden ein riesiger Vorteil ist. Hinzu kommen die Anforderungen durch künstliche Intelligenz.

Wie wirkt sich KI auf ihr Geschäft aus?
Dadurch werden die Rechenzentren noch größer werden. Wir können mit unseren modernsten Switches bis zu 32.000 Grafikprozessoren miteinander vernetzen. Das ist von den Dimensionen her Wahnsinn. Aber wir brauchen das, weil wir am Anfang einer riesigen Umwälzung stehen. ChatGPT hat diese ins Bewusstsein gebraucht – wie einst das iPhone Multimedia beflügelt hat. Der Markt wird explodieren.

Künstliche Intelligenz – Geschichte einer Idee

Merken Sie das schon an der Nachfrage?
Die neuen Netzwerkchips sind erst seit zwei Wochen auf dem Markt. Ich darf momentan nicht ins Detail gehen, da wir erst Mitte August unsere Zahlen vorstellen. Aber generell ist das ein großer Wachstumsmarkt.

Viele große Hardwareanbieter – wie ihr Konkurrent Hewlett Packard Enterprise – meinen, dass Unternehmen eigentlich kein Interesse daran haben, Hardware selbst zu betreiben, und dass sich das Geschäft deshalb in Richtung Dienstleistungen verlagert. Sieht das Cisco ähnlich?
Definitiv. In Deutschland ist es so, dass die Unternehmen noch relativ viele gut ausgebildete eigene IT-Fachkräfte haben, die in der Lage sind, den Betrieb aufrechtzuerhalten. In anderen Ländern, beispielsweise Großbritannien, ist das anders. Dort hat die Welle, mehr auf sogenannte Managed Services zu gehen, viel früher eingesetzt. Aber IT ist mittlerweile kritisch für das Kerngeschäft unserer Kunden. Das bedeutet, dass die IT-Ressourcen beispielsweise bei der Digitalisierung der Produktion und der Endprodukte verstärkt eingesetzt werden müssen. Man muss die Unternehmen also an anderen Stellen entlasten, indem man etwa Komplexität beim Betreiben der Netze rausnimmt. Deswegen sehen wir auch bei deutschen Kunden einen Trend zu Managed Services.

Aber es ist immer noch so, dass die Mehrheit der deutschen Kunden Hardware und Software selbst kauft und betreibt, oder?
Ja. Wobei die großen deutschen Industrieunternehmen so aufgestellt sind, dass sie einen internen Dienstleister für IT haben. Die machen dann daraus einen Managed Service und stellen ihn bereit. Wir haben wiederum Partner, die genau das tun und dann ihren Kunden beispielsweise verbrauchsabhängige Modelle offerieren. Wir sind agnostisch, richten uns ganz nach den Wünschen unserer Partner oder Kunden aus.

Wie entwickeln sich in Deutschland die Budgets für IT nach Ihrer Beobachtung?
Interessant ist, dass sich die IT-Budgets in den vergangenen Jahren vom Bruttoinlandsprodukt entkoppelt haben. Sie steigen, auch wenn das BIP fällt. Früher war das nicht so. In der Finanzkrise 2008 beispielsweise sind die IT-Budgets gesunken. Wenn das Bruttosozialprodukt in Deutschland um ein Prozent gewachsen ist, dann haben wir drei bis sieben Prozent Wachstum bei den IT-Budgets gesehen und umgekehrt. Jetzt ist das anders. Die deutschen Unternehmen und die deutsche Politik haben schon vor Covid und dann während Covid extrem weitsichtig gehandelt. Wir haben dadurch kontinuierliches Wachstum gesehen. Im vergangenen Jahr waren es 8,9 Prozent Wachstum, für dieses werden 4,8 Prozent prognostiziert.

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von Michael Kroker, Thomas Kuhn

Aber während Covid wurden viele Investitionen vorgezogen, die sonst in den Folgejahren geschehen wären. Spüren Sie das?
Nicht alles, was an Budget bereitgestellt wurde, konnte auch abgerufen werden. Gerade eine Schule oder ein Krankenhaus haben Probleme, die Budgets abzurufen, weil sie dafür ja auch das entsprechende Personal benötigen, das die Projekte umsetzt. Ich beobachte also keine Einbrüche der Budgets bei Kunden.

Sie sprechen mit vielen deutschen Unternehmern. Wie empfinden Sie momentan die Stimmung in Deutschland mit Blick auf den Wirtschaftsstandort?
Bis vor Kurzem hat die deutsche Wirtschaft sehr viel richtig gemacht. Auch wenn es viele kritische Stimmen zur Digitalisierung gibt, finde ich, dass einiges gut gelaufen ist. Deutschland war global gesehen etwa der Vorreiter beim Aufbau von WiFi-6-Netzen in der Industrie – einer Technologie, die 5G beim Mobilfunk ähnelt. Die Amerikaner in unserer Zentrale haben anerkennend gesagt: Das ist ja irre, was da abläuft. Die deutsche Wirtschaft ist Taktgeber bei der Digitalisierung von Fabriken. Es gibt weitere Beispiele: Wir haben etwa viele gute und moderne Rechenzentren. Wir haben eine Kompetenz im Land, auf die wir stolz sein können.

Trotzdem gibt es mittlerweile viel Frust über den Wirtschaftsstandort Deutschland.
Sie spielen auf die Veränderungen an, die wir durch den Ukrainekrieg und die sich verändernden Energiepreise erleben. Im herstellenden Gewerbe berichten Kunden, dass sie – zum Beispiel – die Ammoniakproduktion in Deutschland komplett eingestellt haben. Ich persönlich glaube an die Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft. Krisen können helfen, die Produktivität zu erhöhen: gestärkt herauszukommen. Bisher haben wir das immer gut geschafft.

Auf die Strategie von Cisco hat die Kritik am Wirtschaftsstandort also keinen Einfluss?
Nein. Nicht ohne Grund hat sich das IT-Budget vom BIP und den wirtschaftlichen Aussichten entkoppelt. Es gibt ja nichts mehr, was ohne IT funktioniert. Stellen Sie sich vor, die Covid-Krise wäre zehn Jahre früher passiert. In der analogen Welt hätte alles stillgestanden. IT ist Teil der Lösung, wird immer wichtiger.

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