Preissprung beim Weizen „Stellen deutsche Müllereien den Betrieb ein, gibt es noch vier Tage Brot“

Gustav Deiters Quelle: pressebild

Der Getreideverarbeiter Crespel & Deiters macht aus Weizen sowohl Klebstoff für Verpackungen als auch vegetarische Fleischersatzprodukte. Wie sich der Preisanstieg beim Weizen auswirkt, erklärt Firmenchef Gustav Deiters.

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Wirtschaftswoche: Herr Deiters, in den vergangenen eineinhalb Jahren hat sich der Weizenpreis beinahe verdoppelt, mit dem stärksten Anstieg seit Beginn des Russland-Ukraine-Krieges. Wie macht sich das bei Ihnen bemerkbar?
Gustav Deiters: Man muss grundsätzlich differenzieren zwischen Kassamärkte und Agrarbörsen. Zunächst die physische Sichtweise: Bei Weizen ist Deutschland Selbstversorger. Wir exportieren sogar Weizen. Von der gesamten europäischen Weizenproduktion gehen 15 bis 20 Prozent in den Export. Das heißt, im Hinblick auf unsere unmittelbaren Warenströme sind wir nicht stark betroffen. Wir bekommen weit über 90 Prozent unseres Weizens aus Deutschland. Eine Ausnahme ist der Spitzenweizen mit sehr viel Protein. Der kann in Deutschland aus klimatischen Gründen nur partiell produziert werden, dort haben wir einen Importbedarf. Und ein Teil davon kommt aus der Ukraine.

Und die preisliche Seite?
Hier sieht es ganz anders aus – weil dieser Teil nicht nur durch Regionen abgebildet wird, sondern durch den weltweiten Agrarmarkt. Also haben weltweite Ereignisse direkten Einfluss. Hier beobachten wir seit einiger Zeit ganz erhebliche Verwerfungen und Kostensteigerungen, das ist dramatisch. Unter anderem ist das auf den Krieg in der Ukraine zurückzuführen.

Zur Person

Konkret?
Wir haben die sehr berechtigte Befürchtung, dass die Weizen- und Mais-Lieferungen aus der Ukraine ausfallen werden, weil die eingebrachte Ernte nicht mehr verschifft werden kann. Die ukrainischen Häfen sind ja blockiert; und der Transport über die Straßen wird kaum besser gelingen. Auch die nächste Ernte wird sehr schlecht werden. Weizen wird im Herbst ausgebracht. Da stellt sich die Frage: Wird sie in der Ukraine dann noch geerntet werden können? Gibt es dann noch Diesel und Traktoren? Mais wird im April und Mai gelegt – passiert das noch in der Ukraine? Der Krieg in der Ukraine ist also ein wesentlicher Treiber des Preises.

Aber auch schon vor Ausbruch des Krieges stiegen die Weizenpreise an.
Richtig. Der Ukraine-Krieg ist ein Beschleuniger der Preiskrise, aber nicht der Auslöser. Bereits die Ernte 2020/2021 war in der EU unterdurchschnittlich, so dass wir mit niedrigen Endbeständen gestartet sind. Im aktuellen Erntejahr 2021/2022 gab es dann auch einige Ausfälle etwa in den USA und in Kanada. Das ist sehr relevant, denn die USA sind der weltgrößte Mais-Exporteur. Aber auch in Europa hatten wir keine wirklich gute Ernte.

Wie wirkt sich das auf Ihr Geschäft aus?
Hier muss ich unterscheiden zwischen dem Geschäft mit Papierklebstoff und dem Lebensmittelgeschäft. Die Verträge mit Papier- und Wellpappe-Herstellern laufen in der Regel drei Monate, manchmal auch sechs Monate, länger nicht. Im Nahrungsmittelsektor ist das anders: Da gibt es in der Regel Jahresverträge, wegen der gewünschten Kalkulationssicherheit von Aldi, Rewe und Co. Bei einem Teil unseres Geschäftes können wir die Preisveränderungen also relativ zügig umsetzen, der andere Teil ist für ein Jahr festgezurrt.

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Wie muss man sich die nun anstehenden Vertragsverhandlungen also vorstellen?
Für das erste Quartal 2022 hatten wir eine vergleichsweise moderate Preisentwicklung einzubeziehen. Das eigentliche Drama kommt jetzt. Derzeit sind wir in Verhandlungen mit den großen Papierherstellern für das zweite Quartal. Wir reden über Preisanpassungen in Höhe von 50 Prozent. Kostete eine Tonne Wellpappenklebstoff im ersten Quartal noch rund 600 Euro, wird sie nun im zweiten Quartal 900 Euro bis 1000 Euro kosten. Und da kommen dann noch die Erhöhungen der Energie- und Logistikkosten hinzu. Das werden keine angenehmen Verhandlungen. Aber das muss leider so erfolgen.

Wer sind Ihre Abnehmer?
Die großen Verpackungs- und Wellpappe-Unternehmen, Smurfit-Kappa aus Irland, DS Smith aus England, International Paper aus den USA und die spanische Socar Gruppe. Unser Klebstoff macht nur etwa drei Prozent Kostenanteil von deren Produktion aus. Aber unsere Kostenstruktur sieht so aus: 65 Prozent der Kosten ist der Rohstoff, also Weizen, weitere 15 Prozent sind Energie, dann kommen noch acht bis zehn Prozent Logistikkosten hinzu. Der Anstieg dieser drei Faktoren führt zu dieser Preisexplosion. Wer das nicht in Teilen weitergibt, hält das nicht lange aus. Da ist man schnell pleite.

Und im Lebensmittelsektor?
Unsere Stärke- und Proteinprodukte finden in verschiedenen Bereichen der Lebensmittelindustrie Anwendung, zum Beispiel in Backwaren, in Fertig- und Convenienceprodukten oder auch in veganen und vegetarischen Lebensmitteln. Die Jahresverträge im Food-Sektor dauern in der Regel vom 1. Oktober bis zum 30. September, angepasst an die Ernte. Deshalb sind die Preisexplosionen des Ukraine-Krieges hier noch nicht wiedergegeben. Hier kommt das große Drama erst 2023. Aber meine größte Sorge ist gar nicht die Preisexplosion – sondern die Energieversorgung.

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Was genau meinen Sie?
Wir haben die berechtigte Sorge, dass der Gashahn abgedreht wird. Wenn dann die Versorgungssicherheit nicht mehr gegeben ist und deutsche Müllereien den Betrieb einstellen, dann hat man exakt noch vier Tage Brot in deutschen Supermärkten. So knapp ist die Versorgungslage. Wenn morgen das Gas reduziert würde, frage ich mich: Welche Industrie würde zuerst abgeschaltet? Niemand hält seine Industrie für unwichtig, wir erinnern uns an die Diskussionen über die kritische Infrastruktur während der ersten Corona-Welle. Aber wenn die Ernährungssicherung gefährdet würde, wäre das dramatisch. Hier und da fehlt vielleicht das Verständnis für die Komplexität der Ernährungsindustrie. Es ist meine große Sorge, dass das nicht ganz durchdrungen wird. Ich fand übrigens die Aussagen von unserem ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck unglaublich mutig und weitsichtig: dass wir frieren müssen für den Frieden. Ja, das kann passieren.

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