Was wurde aus...? Agfas steiler Abstieg – und wo die Marke bis heute weiterlebt

Jahrzehntelang war Agfa der deutsche Inbegriff für alles rund um Fotografie. Dann wurde die Firma zum ersten Opfer der Digitalisierung – und lebt doch bis heute weiter.

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Immerhin, ganz zum Schluss gab es noch mal einen echten Superlativ. „Die größte Sprengung in der Geschichte Münchens“, betitelte eine Lokalzeitung jenes Ereignis, das im Februar 2008 rund 15.000 Menschen auf den Giesinger Berg, eine eher sanfte Erhebung im alten Arbeiterstadtteil, lockte.

Aus sicherer Entfernung – näher als 200 Meter durfte niemand heran – wollten sie miterleben, wie 125 Kilogramm Sprengstoff das wohl hässlichste Wahrzeichen der Stadt niederstreckten: das Agfa-Hochhaus.



Tatsächlich hatten hier einst mehr als 5000 Menschen für Agfa gearbeitet, jene Firma, die zwischen Wirtschaftswunder und Jahrtausendwende für viele Deutsche nicht weniger war als der Inbegriff von allem, was mit Fotografie zusammenhing. Agfa stellte Kameras her, von Agfa kamen die Filmrollen, von Agfa kam die Technologie, um jene Filme zu entwickeln. Und von Agfa kam das Fotopapier, auf dem die Bilder schließlich konserviert wurden. An fast jedem Fotogeschäft – und damit in jedem größeren Ort – prangte irgendwo die ikonische Raute, die weiße Schrift auf rotem Grund: Agfa, Aktiengesellschaft für Anilinfabrikation.

Gegründet worden war das Unternehmen unter diesem Namen einst in Berlin. 1873 war das, die zunächst auf fotochemische Stoffe spezialisierte Firma stieg schnell zur globalen Marke auf.

Als Agfa 1910 eine neue Fabrik eröffnete, war es weltweit die zweitgrößte, übertroffen nur vom Kodak-Werk im US-amerikanischen Rochester. 1925 dann wurde Agfa neben Bayer und BASF Teil der IG Farben AG. Von Bayer erhielt Agfa im Zuge dessen auch das Münchner Camerawerk, das Bayer selbst erst ein paar Jahre vorher übernommen hatte.



Agfa beherrschte nun die gesamte Produktpalette der Fotografie. Entsprechend bedeutend – und unheilvoll – war dann auch die Rolle des Unternehmens in der Nazizeit. Tausende Zwangsarbeiter waren für Agfa im Einsatz.

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Als nach Ende des Zweiten Weltkriegs das Wirtschaftswunder einsetzte, gehörte zunächst auch Agfa zu den Profiteuren. Inzwischen vollständig unter dem Dach von Bayer angesiedelt, gehörte das Unternehmen mit den Hauptstandorten Leverkusen und München bald wieder zu den größten Filmkonzernen der Welt.

Doch lange bevor das Wort Digitalisierung die Runde machte, häuften sich bei Agfa die Sorgen. Zunächst musste die Kamerafertigung abgestoßen werden. 2004 dann der finale Schlag: Agfa, bereits fusioniert mit dem belgischen Gevaert-Konzern, musste das gesamte Fotogeschäft abgeben.

Ein Rettungsversuch einstiger Manager und Investoren scheiterte schon nach wenigen Monaten. Nur die Sparte für Gesundheitstechnik lebt unter wechselnder Eigentümerschaft bis heute weiter. Unter der Marke Agfa produziert sie moderne Bildverarbeitungssysteme.



Dieser Artikel erscheint in unserer Reihe WiWo History.

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