WiWo History Tatort Vergraben, aber nicht vergessen: Warum Atari einst tausende Spiele in der Wüste verbuddelte

Der Absturz war legendär. Binnen eines Jahres wurde der Spielekonzern Atari 1983 vom Branchenstar zum Crash-Kandidaten. Daraufhin fasst das Management einen skurrilen Beschluss.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Am 26. April 2014 rollt eine kleine Kolonne Bagger, Lkw und Kleintransporter aus Alamogordo im US-Bundesstaat New Mexico auf ein in der Nähe gelegenes Wüstengelände. Im Schlepptau: ein Kamerateam um Regisseur Zak Penn, bekannt für seine Blockbuster „Last Action Hero“ und „X Men 2“.

Doch an diesem Samstag plant Penn keine Fortsetzung seiner Actionstreifen. Er will ein Rätsel lösen, will aufklären, wie viel Wahres hinter dem Ereignis steckt, das sich 31 Jahre zuvor exakt hier, auf einer ehemaligen Mülldeponie, zugetragen haben soll. Das Ereignis ist als „Atari Video Game Burial“, als „Atari-Computerspielbegräbnis“ in die Annalen der Gamingindustrie eingegangen.

Die Grabungen sollen Überreste eines der größten kommerziellen Misserfolge der Branche ans Licht befördern – oder eines der ältesten Gerüchte der Szene als „Urban Legend“ entlarven. Denn genau dafür, für eine „moderne Legende“, halten Skeptiker die Erzählung, der Computerspielehersteller Atari habe 1983 Tausende Spiele, ungezählte Konsolen und zig Computer in der Wüste verscharrt. Lastwagenweise, heißt es, seien damals Geräte aus der Spieleantike bei Nacht angekarrt und in Gruben verscharrt worden: ein stilles Schrottbegräbnis – ohne Nachruf.



Was für die Geschichte spricht: Vom Atari-Lagerhaus im texanischen El Paso zum Schuttplatz in der Wüste sind es rund 90 Meilen. Das ist nah genug, um die Geräte in einer Nacht entsorgen zu können – und weit genug weg, um bei El Paso keine Spuren zu hinterlassen. Doch warum hätte sich Atari seiner Spiele 1983 entledigen sollen? Der Konzern hat seinen Wert von 1976 bis 1982 von 28 Millionen auf zwei Milliarden Dollar gesteigert, beherrscht damals vier Fünftel des Videospielemarktes, beschert dem Mutterkonzern Warner noch 1982 zwei Drittel des Gewinns.

Die Antwort kennen alle, die im April vor zehn Jahren bei Alamogordo mit den Grabungen beginnen: Ein Jahr nach dem Höhepunkt der Firmengeschichte steht Atari am Abgrund. Managementfehler, die überhastete Entwicklung eines Spiels zum Filmhit „E.T.“, das teuer floppt, Absatzprobleme bei der Heimvariante des Spieleklassikers „Pac-Man“ und Vorwürfe des Insiderhandels führen zum Absturz des Branchenpioniers. Warner vermeldet plötzlich eine halbe Milliarde Dollar Verlust, stößt die lukrative Spieletochter bald darauf ab.

Und die Atari-Manager entschließen sich tatsächlich, Zigtausende Spiele, Konsolen und Computer bei Alamogordo zu entsorgen – die Grabungen vor zehn Jahren beweisen es:



Der größte Teil des Spieleberges aber bleibt im Boden, bedeckt von einer Betonschicht, die Atari in der nächtlichen Aktion noch über die Reste hatte kippen lassen. Still ruht ein Branchenriese. Von einer „Legende“ spricht niemand mehr.




Dieser Artikel erscheint in unserer Reihe WiWo History.

Teilen:
  • Teilen per:
  • Teilen per:
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?