US-Arbeitsmarkt Darum geht es dem US-Arbeitsmarkt trotz allem so gut

Quelle: dpa Picture-Alliance

Der Boom auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt verliert an Fahrt. Kann Präsident Joe Biden trotzdem weiter profitieren? Und wie reagiert die Zentralbank auf die neuen Zahlen?

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Der Boom auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt hält an. Allerdings verlangsamte er sich im April überraschend. Rund 175.000 neue Jobs seien im vergangenen Monat geschaffen worden, so teilte das Bureau of Labor Statistics (BLS) am Freitag mit – eine ordentliche Zahl, allerdings weniger, als Analysten vor der Veröffentlichung des Berichts erwartet hatten. Auch die Arbeitslosenquote stieg leicht an, sie liegt nun bei 3,9 Prozent.

Für das Weiße Haus sind die Zahlen ein unerwarteter Dämpfer. Schließlich ist Joe Biden vor allem gute Nachrichten vom Arbeitsmarkt gewohnt. In den vergangenen Jahren war es die Regel, dass die Werte des BLS fast immer über den Analystenerwartungen lagen. Doch selbst wenn man die aktuelle Verlangsamung mit einbezieht: Der amerikanische Arbeitsmarkt strotzt vor Stärke.

Die Arbeitslosenquote liegt mittlerweile seit 27 Monaten unter der Marke von vier Prozent – eine solche Serie hat es in den USA seit den 1960ern nicht mehr gegeben. Und auch die Labor Force Participation Rate, also der Anteil der US-Bevölkerung, der dem Arbeitsmarkt zu Verfügung steht, hat fast wieder das Niveau erreicht, auf dem es sich vor dem Absturz zu Beginn der Covid-19-Pandemie befunden hatte. Für die Lücke verantwortlich sind gleichwohl vor allem ältere ehemalige Arbeitnehmer, die sich im Zuge der Krise in den Ruhestand verabschiedet haben. Unter Jüngeren – also 25- bis 54-Jährigen – liegt die Kennziffer mittlerweile über dem Vor-Covid-Stand.

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Kein Wunder also, dass Biden die Zahlen trotz der Abkühlung für sich vereinnahmen wollte. „Mit der heutigen Veröffentlichung von 175.000 neuen Arbeitsplätzen geht das große amerikanische Comeback weiter“, so der US-Präsident. „Als ich mein Amt antrat, erbte ich eine Wirtschaft, die am Abgrund stand, mit der schlimmsten Wirtschaftskrise seit einem Jahrhundert. Ich hatte einen Plan, um unser Land umzukrempeln und unsere Wirtschaft von der Mitte nach außen und von unten nach oben aufzubauen. Jetzt sehen wir, dass dieser Plan in die Tat umgesetzt wird, denn seit meinem Amtsantritt wurden weit über 15 Millionen Arbeitsplätze geschaffen.“

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Biden hat gute Gründe dafür, den Boom für sich zu vereinnahmen. Seine Administration hat der amerikanischen Wirtschaft durchaus einen Schub gegeben hat. Das überparteilich verabschiedete Infrastrukturpaket, der Inflation Reduction Act und der CHIPS Act haben ein Umfeld geschaffen, das massive Investitionen begünstigt hat.

Seit seinem Amtsantritt haben Unternehmen mehr als 860 Milliarden Dollar angekündigt, etwa in den Ausbau erneuerbarer Energien, die Herstellung von Halbleitern, E-Autos und Batterien oder im Bereich der Schwerindustrie. Doch das ist nicht alles. Auch in den Bereichen Gesundheit und Freizeitgestaltung wurden massiv neue Stellen geschaffen. Ein Ende des Booms ist – trotz der Abkühlung im April – derzeit noch nicht absehbar.

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Allerdings gehen Analysten davon aus, dass sich die Nachrichten vom Arbeitsmarkt auch in den kommenden Monaten ein Stück weit eintrüben werden – wenngleich in überschaubarem Rahmen. „Während die Beschäftigungszuwächse stabil bleiben, kühlt sich der Arbeitsmarkt aufgrund der Ausweitung des Arbeitskräfteangebots (im Verhältnis zur Nachfrage) stark ab“, schreibt etwa Morningstar in einem aktuellen Arbeitsmarktbericht.

Einen Absturz erwarten die Analysten gleichwohl nicht. „Kurzfristig erwarten wir, dass die Verlangsamung des Wirtschaftswachstums dazu führen wird, dass die Arbeitslosenquote von durchschnittlich 3,7 Prozent im Jahr 2023 auf durchschnittlich 3,9 Prozent im Jahr 2024 (mit einem Höchststand von 4,1 Prozent im vierten Quartal 2024) ansteigt, was im Vergleich zu den Konjunkturabschwächungen in den USA in den letzten Jahrzehnten recht milde ist.“ Das deckt sich in etwa mit den Prognosen der Federal Reserve Bank von St. Louis. Diese erwartet in diesem Jahr eine durchschnittliche Arbeitslosenquote von vier Prozent – und bis 2026 keine großen Änderungen.

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Alles gute Nachrichten also?

Ganz so einfach ist es nicht. Denn in den starken Arbeitsmarktzahlen könne eine Gefahr für die amerikanische Volkswirtschaft schlummern. Schließlich gilt ein boomender Arbeitsmarkt unter Ökonomen traditionell als ein guter Indikator dafür, dass eine Wirtschaft zu überhitzen droht. Doch der derzeitige US-Aufschwung ist anders. Denn viele Jobs gehen an Menschen, die dem Arbeitsmarkt während der Pandemie nicht zur Verfügung gestanden haben – etwa weil sie sich nicht aktiv um Arbeit bemüht haben oder weil sie noch nicht in den USA waren.

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Das heißt: Trotz des Booms stehen dem Arbeitsmarkt immer noch viele potenzielle Arbeitskräfte zur Verfügung. Dieser Umstand erschwert es den Zentralbankern, einzuschätzen, ob die amerikanische Wirtschaft wirklich heiß läuft – und wann sie es sich erlauben könnte, den Leitzins zu senken, der seit dem vergangenen Juli bei 5,25 bis 5,5 Prozent verharrt – dem höchsten Stand seit 20 Jahren.

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Der aktuelle Arbeitsmarktbericht könnte die Zentralbanker beruhigen. Die Zahlen seien „genau richtig“, so Dan North, Ökonom bei Allianz Trade zu CNBC. „Was würden Sie sich an diesem Punkt des Zyklus wünschen? Die Zinssätze sind ziemlich hoch, so dass man erwarten würde, dass sich der Arbeitsmarkt ein wenig abkühlt.“

Trotzdem bleibt Unsicherheit. „Aus der Sicht vor der Pandemie sieht die Wirtschaft ziemlich stark, vielleicht sogar heiß aus“, so Ernie Tedeschi, Ex-Wirtschaftsberater im Weißen Haus, zur New York Times. Aber angesichts all der Zuwächse beim Arbeitskräfteangebot „sollten wir die Wirtschaft jetzt vielleicht nicht mit dem Blickwinkel einer Vorpandemie betrachten“

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Zumindest öffentlich gaben sich die Zentralbanker zuletzt noch unbesorgt. Dass die amerikanische Volkswirtschaft 2023 stark wachsen konnte, sei auch eine Folge des sich vergrößernden Arbeitskräfte-Angebots, so Fed-Chef Jerome Powell jüngst. „Denken Sie daran, was wir im letzten Jahr gesehen haben: Sehr starkes Wachstum, ein wirklich enger Arbeitsmarkt und ein historisch schneller Rückgang der Inflation“, so Powell weiter. „Ich würde nicht ausschließen, dass sich so etwas fortsetzen kann“.

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