Atomausstieg Der Atomkraft-Zoff ist nicht vorbei

Im Kern dreht sich der neu aufgeflammte Atomkraft-Streit um Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Quelle: imago images

Die Bundesregierung muss Fragen zum Ablauf des Atomausstiegs beantworten. Es geht nicht um das Ende der Atomkraft an sich, sondern darum, ob im Extremjahr 2022 vorurteilsfrei entschieden wurde. Ein Kommentar.

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Deutschlands Atomausstieg liegt ein Jahr zurück, heftig umstritten ist er bis heute. Am 15. April 2023 wurden die letzten drei Meiler abgeschaltet. Ein lang beschlossenes Ende, vollzogen von grün geführten Bundesministerien, einer Partei, die einst aus der Anti-Atombewegung entstand. Doch es war Krieg in der Ukraine, die Gasversorgung aus Russland war gekappt, die Energiepreise schossen durch die Decke und blieben hoch. Andere Länder investierten neu in die Atomkraft.

War das Ende der immer verfügbaren und in der Produktion preiswerten Stromquelle ohne CO2-Ausstoß wirtschaftlich eine Zumutung? Etliche Industrievertreterinnen sagen: Ja.

War es aus Gründen der Energiesicherheit vielleicht sogar gefährlich? Zumindest standen zwei umweltschädliche Energieträger, Kohle und Flüssiggas, zur Verfügung.

Wurde gar wider besseres Wissen und gegen den Rat eigener Fachleute etwas durchgezogen, was falsch und nur ideologisch zu begründen war? Die letzte Frage ist noch nicht ganz geklärt.

Im Kern dreht sich darum der neu aufgeflammte Streit um Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Prüfungen und Vermerke aus den beteiligten Bundesministerien sind öffentlich geworden, die das Abschalten rechtfertigen, zum Teil aber auch dagegen stehen. Beteiligt waren das für die Energieversorgung zuständige Wirtschaftsressort und das für die Atomsicherheit zuständige Umweltressort. Es gibt Anlass für Kritik, zumindest Skepsis.



Schon kurz nach Beginn des Ukrainekrieges versuchte das Wirtschaftsministerium im März 2022, eine längere Laufzeit der Kraftwerke übers Enddatum 31. Dezember 2022 hinaus zu bewerten – über den Winter bis Ende März 2023. Damals ist noch viel unklar: Wie viel Gas für Kraftwerke da sein würde, wie viel Kohle, wie kalt der Winter würde. „Eine Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke bis zum 31.3. kann helfen, diese Situation zu entschärfen“, hieß es. So ließen sich auch Kosten für Strom und Netze begrenzen. Es geht bald um die „Streckung“ des Atomkraftbetriebs, also darum, die Brennstäbe länger einzusetzen und so zu nutzen, dass noch Engpässe im Winter ausgeglichen werden könnten. Dazu müsste aber das Atomgesetz geändert werden.

Auch im Umweltministerium entstand ein Vermerk mit drei Optionen – abschalten wie gehabt, der Streckbetrieb über den Winter und auch eine deutliche Verlängerung der Laufzeiten. Nicht alle Fragen ließen sich zu diesem Zeitpunkt wohl beantworten.

Manche Szenarien wurden besser geprüft als andere

Schließlich entsteht sich ein gemeinsamer Vermerk der Häuser. Tenor: Streckbetrieb bis März 2023 sei möglich, allerdings gebe es deutliche Risiken und deshalb sei das Ganze nicht zu empfehlen. Das ist eine andere Betonung als in den Vorarbeiten. So ähnlich fällt wohl aber auch die Rückmeldung der Betreiber der verbliebenen Atomkraftwerke aus. Die Meiler sind zwar abgeschrieben und produzieren günstig. Doch juristisch ist einiges heikel, schließlich liegen auch die letzten grundlegenden Sicherheitsprüfungen etwas zurück und auch das Personal wandert aus der Branche ab.

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Die FDP und die Union verlangten deutlich längere Laufzeiten, auch Ökonomen unterstützten das, um die Strompreise zu begrenzen. Schließlich spricht der Kanzler das Machtwort. Am 15. April 2023 ist Schluss.

Aus heutiger Sicht lässt sich den Ministerien nicht direkt vorwerfen, zu wenig und zu schmal geprüft zu haben. Es liegt allerdings nahe, dass einige Szenarien besser ausgeleuchtet wurden als andere. Das tun im Übrigen auch die betroffenen Energiekonzerne, denen irgendwann kein Drang nach einem weiteren Betrieb der Werke mehr anzumerken ist. So argumentierte am Freitagmorgen auch Wirtschaftsminister Habeck: „Entscheidend ist, dass ich in den wirklich relevanten Runden und das sind die Runden mit den Versorgungsbetreibern – also RWE, ENBW und E.On – immer die richtigen Fragen stellen konnte. Und da bin ich sicher, dass die gestellt wurden. Das ist auch dokumentiert und schriftlich vorlegbar, dass die beantwortet wurden.“

Die Betreiber hätten argumentiert, dass die Brennelemente „ausgelutscht“ seien.

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Und hier beginnt nun das letzte Ende der nötigen Aufklärung. Der Atomausstieg an sich war rechtmäßig, seit Jahren beschlossen und vorbereitet. Es muss aber noch darum gehen, ob unter neuen Vorzeichen alles vorurteilsfrei geprüft und entschieden wurde, was sich mit dem Ukrainekrieg verändert hatte. Wenn hier Schritte und Informationen unterschlagen, wenn gar gelogen wurde, dann verlangt das politische Konsequenzen. Geht es um die Gewichtung von Argumenten und Entscheidungen in einem extremen Jahr für die Energieversorgung, sind Vermerke entscheidende Vorarbeit. Beschlüsse werden auf ihrer Basis am Ende aber politisch gefällt. Das ist umstritten, gehört aber zum Regieren.

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