Habeck will Sondervermögen Die Schuldenbremse wird fallen

Habeck fordert offenere Diskussion über Schuldenbremse Quelle: imago images

Kaum beschließt der Bund seinen Etat im Rahmen der Schuldenbremse, schlägt Robert Habeck ein neues Sondervermögen vor. Was da gerade passiert? Alte Gewissheiten lösen sich auf. Langsam, aber sicher. Ein Kommentar.

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Wissen Sie, wer sich am meisten darüber freut, dass Deutschland jetzt wieder die Schuldenbremse einhält? Es ist nicht Friedrich Merz. Auch nicht Christian Lindner. Es ist Wladimir Putin.

Die Zeiten, in denen sich unsere europäischen Nachbarn vor einem zu starken Deutschland fürchten mussten, sind Gott sei Dank lange vorbei. Mittlerweile fürchten sie sich eher vor einer Bundesrepublik, die nicht vorangehen will, weder wirtschafts- und sicherheitspolitisch noch militärisch. Wenn wir unsere Potenziale aber nicht ausschöpfen, kann es Europa auch nur bedingt. Wir mögen, wie Olaf Scholz neuerdings gerne betont, in der Welt nur eine „Mittelmacht“ sein, in der EU hingegen sind wir Führungsmacht. 

Im Guten wie im Schlechten. Schon jetzt zeigt sich doch: Ohne Olaf Scholz‘ – zugegebenermaßen sehr spät entdeckte – Entschlossenheit wäre die europäische Ukrainehilfe absolut unzureichend im Angesicht des Krieges. Und mit einem stagnierenden, vor sich hin grübelnden, dümpelnden, in sich hinein meckernden Standort im Herzen des Kontinents fehlt Europa insgesamt ökonomische Dynamik.

Und damit zurück zur Schuldenfrage und ein paar nüchternen Zahlen: Erstens, eine Unternehmensteuerreform, die ihren Namen verdiente, würde wohl grob 25 bis 30 Milliarden Euro an Einnahmeausfällen bedeuten, pro Jahr. In einem Brandbrief – WiWo-Leserinnen und Leser wussten es zuerst - haben die vier großen Wirtschaftsverbände genau eine solche kraftvolle Entlastung erst in dieser Woche wieder eingefordert. Das wäre genau die Mischung aus fiskalischer und psychologischer Signalwirkung, nach der sich dieses Land so sehr sehnt: Weniger Subventionsbeglückung aus Berlin – dafür endlich mehr Bewegungsfreiheit für die Unternehmen.

Was aber hat die Ampel in petto? Ein Wachstumschancengesetz, aus dem man zwei Worte ehrlicherweise streichen müsste: Chancen und Wachstum. „Man treibt große Elefanten auch mit kleinen Stöckchen“? Hübsch, Herr Lindner, sehr hübsch gesagt. Aber dieser Konter ist so hingebungsvoll von Ihrer PR-Abteilung zurechtgelegt, dass er erst recht beweist, wie sehr der Vorwurf zutrifft. Auch ein bisschen Bürokratieabbau hier, ein paar eingewanderte Fachkräfte und Strompreisdeckelungen dort, werden die Wende jedenfalls nicht bringen, nicht sofort und nicht kraftvoll genug.

Zweitens berichtete jüngst der „Spiegel“, dass das Bundesverteidigungsministerium zur Erfüllung des Nato-Ausrüstungsziels nach Ende des Sondervermögens eine Lücke von sage und schreibe 56 Milliarden Euro kalkuliert habe. Ebenfalls: pro Jahr. Eine gewaltige Summe, die nicht dadurch weniger eindrucksvoll wird, weil Boris Pistorius sie aus polit-pädagogischen Gründen bestimmt wohlwollend aufgerundet hat. Übrigens: Selbst mit diesem Batzen Geld würde die Bundeswehr in wirklich ernsten Zeiten nur am unteren Rand der Nato-Vorgabe verharren.

Die Schuldenbremse wird nicht so bleiben wie sie ist

Gehen wir also in einer sehr groben Überschlagsrechnung einmal davon aus, dass zwei wesentliche Projekte jeder kommenden Bundesregierung mindestens 50, eher mehr Milliarden an zusätzlichem Finanzbedarf nach sich ziehen. Wer glaubt, dass sich diese Summe mit den Haushaltsregeln von heute darstellen oder irgendwo herauskürzen ließe, hält bestimmt auch eine absolute Mehrheit für die FDP für realistisch. Oder möchte endlich mal erleben, wie es sich anfühlt, wenn Bauern und Handwerker, Studentinnen und Rentnerinnen, Arbeitnehmer und Grundsicherungsempfänger gemeinsam auf die Straße gehen. Viel Spaß dabei. 

Deshalb hier meine These: Die Schuldenbremse wird nicht so bleiben wie sie ist. Egal, wer ab 2025 regiert. Der Druck der Wirklichkeit ist zu hoch. Alte Gewissheiten fallen jedoch nicht einfach um. Sie bröckeln, verwittern, werden mürbe. Dann erst zeigt sich das Neue.

Robert Habecks gestriger Versuch allerdings, der Union ein weiteres Sondervermögen anzubieten, war in diesem Zusammenhang so durchschaubar wie hilflos. Den Gedanken trägt er schon länger mit sich herum, nur so offen hat er ihn bisher nicht formuliert. Der grüne Wirtschaftsminister verzweifelt zunehmend an dem, was er als fiskalischen Selbststrangulation empfindet. Amerika und China, warnt er, machten uns industriepolitisch „platt“. Und wie gesagt: Wladimir Putin gefällt das auch.

Stimmt alles. Dennoch ist die Idee eines weiteren Sondervermögens, diesmal für die Wirtschaft, wenige Tage nach der demonstrativen Absage von CDU-Oppositionsführers Friedrich Merz im Bundestag („Ich schließe eine Zustimmung meiner Fraktion zu einer Aufweichung der Schuldenbremse des Grundgesetzes heute, von dieser Stelle aus, erneut aus“) schlicht und ergreifend eine Totgeburt. 

Die Zukunft muss in einer regulären Haushaltspolitik liegen, die mehr Möglichkeiten bekommt – aber eben Möglichkeiten für das absolut Notwendige, nicht das irgendwie Wünschenswerte. 

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Die Wirtschaftsweisen haben mit ihrem überaus differenzierten, klugen und noch dazu maßvollen Vorschlag für eine flexible Neuordnung der Schuldenbremse quasi jeder denkbaren künftigen Koalition der demokratischen Mitte bereits den Weg dahin gewiesen. In Berlin wird die Kraft ihn zu beschreiten erst nach Neuwahlen aufzubringen sein. Allerdings, bitte nie vergessen: Keine politische Idee ist so mächtig wie die, deren Zeit einmal gekommen ist.

Lesen Sie auch: Warum die Schuldenbremse bleiben muss - und die Wirtschaftsweisen falsch liegen

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