Stadt-Land-Unterschiede wachsen Der größte Unterschied liegt nicht zwischen Ost und West

Quelle: imago images

Vor den Wahlen in Europa und drei Ost-Ländern zeigt eine neue Studie: Die Haltung zu Klimawandel, Zuwanderung und Sozialstaat fällt dort zwischen Stadt und Land stärker auseinander als im Westen.

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Gleich in drei ostdeutschen Bundesländern wird 2024 gewählt, in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Die Europawahl vorher am 9. Juni gilt unter Demoskopen zudem als „Denkzettel“-Wahl. Menschen drücken dann häufiger als sonst üblich ihren Unmut auf dem Wahlzettel aus – und extreme Parteien schneiden tendenziell besser ab. Was bedeutet das für die in Teilen rechtsextreme AfD? Und wo landen die Grünen, die mehr als andere Ampelparteien fürs Heizungsgesetz, Wirtschaftsumbau und Energiewende mit hohen Strompreisen stehen?

Einen Einblick in die Unterschiede zwischen Landeiern und Großstadtpflanzen, Landbevölkerung und Stadtbewohnern bringt nun eine repräsentative Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung zu Tage. Die CDU-nahe Stiftung mag bei der Untersuchung auf Basis von zwei Meinungsumfragen mit jeweils mehr als 4000 Wählerinnen und Wählern das Abschneiden der Union im Blick gehabt haben. Das Ergebnis ist allerdings für alle Parteien aufschlussreich. Es zeigt, wie die Deutschen wirtschaftspolitisch ticken und beschreibt auch das Wachsen demokratiefeindlicher Tendenzen. Zu einem Teil lässt sich auch so die aufgeheizte Stimmung erklären, die während der Bauernproteste zum Jahreswechsel aufbrach.

Für die Studie wurde die Bevölkerung in vier Gruppen aufgeteilt: Die Menschen auf dem dünn besiedelten „ländlichen Land“, jene im „verdichteten Land“, die nicht in der Stadt oder Großstadt leben, dann die Bevölkerung in der „Stadt“ mit weniger als 500.000 Einwohnern und die in der „großen Großstadt“ mit mehr Einwohnern. Die „Städter“ machen rund die Hälfte des Wahlvolkes aus, die übrigen drei Gruppen jeweils mehr oder weniger ein Sechstel. Die Meinungsforschungsinstitute Infratest Dimap und USUMA lieferten die Daten aus Befragungen übers Jahr 2023.

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Kluft zwischen Stadt und Land

„Im Wahlverhalten zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen Stadt und Land“, urteilt der Hauptautor der Studie, Dominik Hirndorf. Am stärksten zeige sich das bei den Grünen: „Sie werden auf dem Land mehrheitlich abgelehnt und dagegen in der Stadt mehrheitlich gemocht.“ Die rechtsgerichtete AfD werde mehrheitlich abgelehnt, in der Großstadt seien vier von fünf Wahlberechtigten gegen sie, auf dem Land seien es zwei von drei Wahlberechtigten. Umgekehrt sei der Anteil derer, die mit der Rechtspartei sympathisierten, auf dem Land mit gut 30 Prozent doppelt so hoch wie in den Großstädten.

Relativ erwartbar schneiden CDU und CSU in den ländlichen Regionen besser ab. Dort werde die Union sympathischer bewertet als in der Großstadt, wo sich Zustimmung und Ablehnung die Waage hielten. Das SPD-Ergebnis habe bei der vergangenen Bundestagswahl erstmals kein Gefälle von Ballungszentren zu ländlichen Gegenden mehr gezeigt, sondern relativ ausgewogene Stimmenanteile. Die FDP zeige seit jeher keinen Unterschied zwischen den Regionen. Die Linke sei eher städtisch verankert. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), die Neugründung um die ehemalige Linken-Politikerin, ist noch nicht erfasst. Sie will in Ostdeutschland und zur Europawahl antreten.

Die Ökopartei, die an der Bundeskoalition beteiligt ist, polarisiert nach den Ergebnissen besonders. „Entweder wird die Partei gemocht oder abgelehnt“, heißt es. Dazwischen gebe es nur wenig. Auf dem Land lehnten 52 Prozent der Menschen die Grünen ab, 30 Prozent hätten ein positives Bild. In den großen Großstädten sei es genau umgekehrt. Je ländlicher, desto geringer auch ihr Zweitstimmenanteil bei der Bundestagswahl und umgekehrt. „Der Effekt ist in Ostdeutschland noch etwas stärker als in Westdeutschland.“  

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Schärfere Kontraste im Osten

Im Osten sind die Differenzen insgesamt stärker als im Westen. Dort sind die Menschen auch unzufriedener mit der Demokratie als insgesamt in Deutschland. Am unzufriedensten mit der bundesrepublikanischen Staatsform seien die Leute auf dem Land, heißt es. Nur 38 Prozent seien zufrieden oder sehr zufrieden mit der Demokratie, jede Vierte sei (sehr) unzufrieden. In den Städten und Großstädten seien dagegen gut 50 Prozent (sehr) zufrieden und nur rund 20 Prozent (sehr) unzufrieden. In den ländlichen Regionen in Ostdeutschland sehe es schlechter aus. „Hier ist nur jede(r) Vierte alles in allem zufrieden mit dem Bestand der Demokratie.“

Wirtschaftlich wichtige Themen beurteilen die verschiedenen Bevölkerungsgruppen auch recht unterschiedlich entlang ihres Wohnortes. Das dürfte es für die Parteien schwierig machen, in den anderen als den angestammten Regionen zusätzliche Stimmen zu gewinnen.

Als größte Bedrohungen werden allerdings in der Studie einheitlich der Klimawandel, die Spannungen mit Russland, Falschinformationen in der Öffentlichkeit und die steigenden Preise in Deutschland beurteilt. Beim Klima und den Falschinformationen liegen die Ängste der Städter etwas vorn. Tatsächlich ist für die Menschen auf dem Land ein Wachstum der Wirtschaft etwas wichtiger und sie stufen die Bekämpfung der Klimakrise dann etwas geringer ein.

Geht es ums eigene Verhalten und das Klima, lassen sich keine geringeren Anstrengungen zwischen Städtern und Ländlern ausmachen, steht in der Studie. In der Stadt versuchen die Menschen mehr, Autofahrten zu vermeiden, was in den Dörfern schwerer umzusetzen ist. Auf dem Land sind es die Flugreisen, die nach den Angaben eher vermieden werden. Das könnte auch an der geringeren Kaufkraft liegen.

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Auch gibt es klare Unterschiede bei Präferenzen zu Steuern und Sozialem. Im ländlichen Raum geben die Befragten eher geringeren Steuern und Abgaben den Vorzug als höheren Sozialleistungen – und umgekehrt.  Geht es um die Frage nach einem möglichen kriegerischen Angriff auf Deutschland und die Zuwanderung, machen sich die Menschen auf dem Land viel mehr Sorgen.  Überhaupt fühlen sich die Menschen jenseits der Städte nach den Ergebnissen nicht angemessen berücksichtigt. Knapp die Hälfte von ihnen ist der Auffassung, dass es Konflikte zwischen Stadt und Land gibt, in den Städten sind es weniger.

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