Macron zur Zukunft der EU „Europa ist sterblich“

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Quelle: via REUTERS

Fast sieben Jahre nach seinem Europa-Diskurs an der Sorbonne redet Frankreichs Staatschef seinen Partnern erneut ins Gewissen. Und will ihnen an den Geldbeutel.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Sechs Jahre und sieben Monate sind vergangen, seit Emmanuel Macron im September 2017 seine vielfach als visionär gepriesene, aber in weiten Teilen doch folgenlos gebliebene Rede über Europas Zukunft an der Pariser Universität Sorbonne hielt. Als der französische Staatschef an diesem Donnerstagvormittag zurückkehrt an das Pult der altehrwürdigen Bildungsinstitution, ist sein Appell für eine stärkere Kooperation der Mitgliedsstaaten, für einen Kampf gegen selbst verschuldete Schwäche und Ineffizienz drängender: „Europa ist sterblich, es kann sterben,“ formuliert Macron drastisch. Der Kontinent stehe an einem Wendepunkt, seine Freiheit auf dem Spiel. „Es liegt an uns!“

Macron sieht sich bestätigt durch vergangene Krisen wie die Corona-Pandemie und aktuelle wie den Krieg in der Ukraine, daraus folgende geopolitische genauso wie wirtschaftliche Umbrüche. Weshalb er erneut eine gemeinsame Verteidigungsinitiative fordert, aber auch einen „gemeinsamen Investitionsschock“, im Umfang von bis zu eine Billion Euro zusätzlich. Damit solle Europa binnen fünf Jahren in Schlüsselsektoren wie künstliche Intelligenz, Biotechnologien und erneuerbaren Energien Marktführer werden. Die EZB solle ihre Geldpolitik vordringlich nicht nur an einem Inflationsziel orientieren, sondern an Wachstum und Dekarbonisierung.

Doch die Fliehkräfte innerhalb der EU sind seit 2017 eher größer als kleiner geworden. Wenn die Europäer zwischen dem 6. und 9. Juni die Abgeordneten für das Parlament in Straßburg neu wählen, könnten rechtsnationale Kräfte nicht nur in Frankreich enorm zulegen. Und in Deutschland wird Macrons erneute Forderung nach gemeinsamen europäischen Geldtöpfen vermutlich wieder wenig Gegenliebe finden.

Der wachsenden Kritik am Green Deal und der schwachen Bilanz der EU in Sachen Wachstum und Wirtschaft soll mit einem „Deal für Wettbewerbsfähigkeit“ begegnet werden. Dazu gehören auch neue Defizitregeln.
von Daniel Goffart

Europa habe die Corona-Pandemie nur deshalb glimpflich überstanden, weil die Mitgliedsländer mit gemeinsamen finanzielle Anstrengungen Impfstoffe beschafft und die Wirtschaft gegen die Folgen abgesichert hätten, wirbt Macron. Auch technologische Großprojekte wie Batteriefabriken und der Green Deal, mit dem die 27 Staaten bis 2050 klimaneutral werden wollen, seien wegweisend für eine stärkere Kooperation der Mitgliedsländer. Doch in Zeiten, in denen die USA und China sich immer weniger als Wettbewerbsregeln hielten, sei dies nicht genug: „Wir sind nicht auf Augenhöhe. Unser Wirtschaftsmodell ist nicht nachhaltig.“

„Die finanziellen Kapazitäten Europas müssen verdoppelt werden“

Staatliche Subventionen auf Länderebene hält Macron deshalb für nicht zielführend. Statt dessen schwebt ihm „ein großer kollektiver Investitionsplan“ vor, der im EU-Haushalt verankert werden müsse. Er wolle zwar Gesprächen mit den Partnern nicht vorgreifen. Ob es letztlich um gemeinsame Anleihen oder Stabilitätsmechanismen wie jenem zur Verhinderung von Staatsbankrotten überschuldeter Mitgliedsländer gehe, sei noch zu entscheiden. Aber: „Die finanziellen Kapazitäten Europas müssen verdoppelt werden.“ Und er setzt nach: „Mindestens verdoppelt werden.“

Aus der Erfahrung mit seiner Forderung von 2017 hat Macron gelernt. Um diese Ausgaben zu stemmen, sollen Europas Bürger nicht zusätzlich belastet werden, verspricht er nun. Stattdessen schlägt er eine CO2-Steuer für Waren vor, die Europa aus Drittstaaten importiert. Ebenso auf seiner Liste stehen Finanztransaktionssteuern wie sie Frankreich bereits handhabt, sowie eine weitere Verringerung der Möglichkeiten für multinationale Konzerne, ihre Gewinne steuergünstig zu verlagern. Eine solche Regelung würde wohl die 2022 getroffene Einigung auf EU-Ebene für einen Mindeststeuersatz von 15 Prozent in Frage stellen.

Auch sollten Steuervergünstigungen für Nicht-EU-Bürger aufgehoben werden. „Es gibt so viele Quellen, die EU-Bürger nicht treffen, und die für dieses Budget zu verwenden sind.“

Darüber hinaus zielt Macron auf verstärkte Privatinvestitionen und will dafür Anreize schaffen. Zu viel Bürokratie und Reglementierung stünden Investitionen entgegen. „Wo grüne Technologien produziert werden, entscheidet sich in den nächsten fünf bis zehn Jahren. Deshalb müssen wir Schluss machen mit einem Europa, das zu kompliziert ist.“

Macrons Spitze gegen Deutschland

Für die Schaffung einer „glaubhaften europäischen Verteidigung“ kündigt Frankreichs Staatschef für die nächsten Monate ein Treffen mit den europäischen Partnern an. Dann will er mit ihnen unter anderem über die Schaffung einer europäischen Militärakademie sprechen. „Europa muss das, was ihm am Herzen liegt, verteidigen können – mit seinen Verbündeten, wenn sie dazu bereit sind, aber auch allein, wenn es nötig ist.“ Dazu gehöre die Bereitstellung entsprechender Gelder und Aufträge für die europäische Rüstungsindustrie. In der Vergangenheit sei es „praktisch“ gewesen, Rüstungsgüter in den USA oder Südkorea zu kaufen. „Aber wie soll so europäische Verteidigung funktionieren?“

Das ist zumindest eine Spitze auch gegen Deutschland. Berlin entwickelt mit Paris zwar ein neues Kampfflugzeugsystems, das ab etwa 2040 die heutigen Kampfflugzeuge wie den Eurofighter Typhoon und die Dassault Rafale ablösen soll. An diesem Freitag wollen Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius und Frankreichs Ressort-Chef Sébastien Lecornu endlich auch einen Vertrag über das seit 2012 bestehende Projekt eines deutsch-französischen Kampfpanzers (MGCS) unterzeichnen. Doch vor zwei Jahren bestellte die Luftwaffe zum Ärger Frankreichs neue Kampfjets bei den Amerikanern.

Die Waffen europäischer Hersteller müssten auch vereinheitlicht und standardisiert werden, fordert Macron. Sein Appell für eine europäische Verteidigungspolitik sei eine der Lehren aus dem Krieg gegen die Ukraine. Die zur Verfügung gestellten Raketen und Munitionen der europäischen Unterstützer hätten oft nicht zusammengepasst.

Immer wieder in seiner Rede betont Macron die Notwendigkeit für Europa, eigenständig für seine Sicherheit und Wirtschaftskraft Verantwortung und Engagement zu zeigen. Er wiederholt seine heftig kritisierte frühere Äußerung, Europa dürfe sich nicht zum „Vasallen“ der USA machen. Der Kontinent müsse statt dessen in der Lage sein, „mit der ganzen Welt zu sprechen“.

Zur Sicherheit zählt Frankreichs Staatschef auch den Schutz von Europas Grenzen vor illegaler Einwanderung. Der Anfang April vom Europaparlament mit knapper Mehrheit gebilligte EU-Migrationspakt müsse mit verstärkten Abschiebungen einher gehen, fordert er. Handelsbeziehungen und Visa-Vergaben sollten künftig von der Bereitschaft der Herkunftsländer abhängig gemacht werden, ihre Staatsbürger zurückzunehmen.

Beitrag im Voraus zahlen Mit dieser Strategie sparen Gutverdiener mit der Krankenversicherung Steuern

Vor allem bei hohem Einkommen kann es sehr lohnend sein, Krankenversicherungsbeiträge für bis zu drei Jahre im Voraus zu zahlen. Es winkt ein Steuervorteil von teils mehreren tausend Euro.

Wohlstand Die Generation Z ist so reich wie keine vor ihr

Anders als Babyboomer und Millennials ist die Generation Z in ihren Zwanzigern vergleichsweise reich. Was bedeutet dieser Wohlstand?

Rezept zum Reichwerden? Das steckt hinter dem System von Deven Schuller

Ein selbsternannter Finanzexperte will seinen Kunden laut eigener Aussage dabei helfen, finanzielle Freiheit zu erreichen, und pflastert das Internet mit Werbung. Was steckt dahinter? Ein Selbstversuch.

 Weitere Plus-Artikel lesen Sie hier

Dem Fazit Macrons dürften sich zahlreiche Partner in der EU anschließen: „Wir reglementieren zu viel, wir investieren zu wenig, wir sind zu offen und zu wenig achtsam mit unseren eigenen Grenzen.“ Über die Maßnahmen dagegen werden die Ansichten allerdings auseinander gehen. Klar ist aber auch eines: Eine Wiedervorlage in sieben Jahren kann sich Europa nicht mehr leisten.

Lesen Sie auch: Was der „Deal für Wettbewerbsfähigkeit“ bringen soll

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%