Neuer Streit um Patente Vertriebsverbot für Motorola-Handys und Lenovo-Computer mit Funkmodul in Deutschland

Darf dieses Smartphone bald nicht mehr verkauft werden? Quelle: imago images

Im Streit um Mobilfunklizenzen hat der amerikanische Technologieentwickler InterDigital vor dem Münchner Landgericht gewonnen. Nach einer millionenschweren Kaution tritt der Verkaufsstopp ab sofort in Kraft.

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Nun also Lenovo: Nur kurz nach Bekanntwerden des aufsehenerregenden Entscheides des Münchner Landgerichts in einem Patentstreit gegen den Technologiekonzern Samsung, das diesen im Extremfall zur Zerstörung aller im deutschen Handel befindlichen Smartphones verurteilt hat, sind nun auch der chinesische IT-Riese Lenovo und seine Mobilfunktochter Motorola Mobility von einem Vertriebsverbot betroffen.

Das Münchner Landgericht hatte Anfang Mai in einem Patentstreit in einem bislang unveröffentlichten Urteil erneut zugunsten eines Klägers entschieden (AZ: 7 O 12029/23). Nach Auffassung des Gerichtes verstößt der Konzern mit einem Teil seiner angebotenen Geräte gegen ein Patent des US-Technologieentwicklers InterDigital. Lenovo kann zwar gegen das Urteil noch Berufung einlegen, doch nachdem der Kläger am 8. Mai eine Kaution von mehr als vier Millionen Euro beim Gericht hinterlegt hat, ist nun die sogenannte „vorläufige Vollstreckung“ in Kraft. „Den Beklagten ist es verboten patentverletzende Gegenstände in Deutschland anzubieten [...] oder einzuführen. Zudem ist Schadensersatz zu bezahlen“, bestätigte eine Sprecherin des Gerichts Informationen der WirtschaftsWoche.

Damit besteht für Lenovo beziehungsweise Motorola Mobility ab sofort ein bundesweites Vertriebsverbot für alle Geräte, die ein sogenanntes WWAN-Modul besitzen, also Technik für den mobilen Internetzugriff über Mobilfunknetze. Konkret sind das alle Smartphones sowie zudem Tablets und Laptops mit integriertem Mobilfunkzugang.  Bei Laptops und Tablets lag Lenovo 2023 laut einer Erhebung von Consumer Insights auf Rang zwei beziehungsweise vier der beliebtesten Hersteller. Motorola-Smartphones haben europaweit einen Marktanteil von rund fünf Prozent.

„Nach der Feststellung des Gerichts hoffen wir, dass Lenovo seinen Kurs ändert und endlich eine faire und vernünftige Lizenz erhält“, kommentiert Josh Schmidt, Chief Legal Officer von InterDigital. Lenovo sieht das naturgemäß anders: „Wir respektieren die Entscheidung des Münchner Gerichts, sind aber der Meinung, dass IDC selbst gegen die rechtlichen Verpflichtungen verstoßen hat, seine Technologie zu fairen, angemessenen und diskriminierungsfreien Bedingungen an Lenovo zu lizenzieren“, heißt es beim Techkonzern. „Wir freuen uns auf die nächste Phase des Verfahrens und unsere Berufung.“

Das aktuelle Urteil ist die jüngste Eskalation eines seit Monaten schwelenden Konfliktes, den InterDigital nun vors Münchner Gericht gebracht hat. Im Juni 2023 waren die Amerikaner in einem Rechtsstreit mit Lenovo um die Mobilfunkpatente vor dem High Court of Justice in Großbritannien noch abgeblitzt. Dagegen wiederum hatte InterDigital Berufung eingelegt, über die voraussichtlich im Juni vor dem britischen Court of Appeal verhandelt wird. 2023 hatte das Gericht entschieden, dass „der globale Mobilfunk-Lizenzsatz von InterDigital 0,175 US-Dollar pro Einheit betragen“ solle.

Inzwischen aber, heißt es aus der Branche, soll das US-Unternehmen die geforderten Gebühren deutlich erhöht haben. Weil sich die Unternehmen seither offenbar nicht einigen konnten, sei InterDigital nun den Weg zu den in Patentstreitigkeiten bekanntermaßen klägerfreundlichen deutschen Gerichten gegangen.

Wie in zahlreichen anderen Fällen entspinnt sich der Konflikt auch hier um sogenannte standardessenzielle Patente, kurz SEP. Das sind Patente, die grundlegende Kernfunktionen einer Technologie, wie etwa des Mobilfunks, erst möglich machen. Die Lizenzgebühren für diese sollen laut Regulierung „fair, angemessen und diskriminierungsfrei“ sein.

Was bedeutet „fair und angemessen“?

Was aber seit Jahren fehlt, ist eine internationale oder zumindest europaeinheitliche juristische Definition, wie genau solch ein faires, diskriminierungsfreies Angebot aussehen soll. Die EU-Kommission hatte schon vor mehr als einem Jahr angekündigt, die Regulierungslücke schließen und damit für einen einheitlichen europäischen Rechtsrahmen sorgen zu wollen. Dabei ist es allerdings bis heute geblieben.

Das lässt einen großen Spielraum für juristische Scharmützel, der regelmäßig von sogenannten Patenttrollen ausgenutzt wird, also Firmen, die keinen anderen Geschäftszweck verfolgen, als Patente aufzukaufen und ihre Nutzer im Nachgang auf hohe Lizenzzahlungen zu verklagen. InterDigital, das bereits seit rund 50 Jahren an Kommunikations- und Digitaltechnologien arbeitet, gehört allerdings nicht in diese Liga.

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Da Lenovo noch in Berufung gehen kann, musste InterDigital, um seine Ansprüche aus dem Urteil gegen den Lenovo-Konzern auch vollstrecken lassen zu können – ähnlich wie Datang im Samsung-Fall – eine Sicherheitsleistung in Millionenhöhe beim Gericht hinterlegen. „Für die Smartphones wurde diese auf eine Million Euro festgelegt, für Tablets und PCs auf drei Millionen Euro und hinsichtlich der Auskunftsansprüche wurden jeweils 50.000 Euro festgesetzt“, so die Gerichtssprecherin auf Anfrage der WirtschaftsWoche.

Zunächst hatte InterDigital diese Zahlungen aber nach dem Urteil nicht geleistet, sodass Lenovo weiter Ware an seine Vertriebspartner ausliefern konnte. Damit ist nun Schluss. Nach Informationen aus der Branche hat der US-Technologieentwickler die sogenannte Sicherheitsleistung inzwischen hinterlegt. Damit ist das Vertriebsverbot ab sofort wirksam. Was noch an Motorola-Smartphones im Handel ist, darf zwar noch verkauft werden. Neue Smartphones, aber auch Lenovo-Tablets und -PC mit integriertem Mobilfunk.

Dass es tatsächlich bei einem dauerhaften Vertriebsverbot der Produkte in Deutschland bleibt, ist allerdings unwahrscheinlich. In einem Großteil früherer Fälle haben sich Kläger und Beklagte in Patentverfahren im Nachgang zu den deutschen Urteilen in aller Regel geeinigt. Und meist sogar über die Höhe der weltweit fälligen Lizenzgebühren. Damit wirken die formell nur für Deutschland gültigen Urteile der hiesigen Patentgerichte vielfach weit über die juristischen Grenzen der Bundesrepublik hinaus.

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Transparenzhinweis: Der Beitrag erschien am 3. Mai und wurde am 6. Mai um die Stellungnahmen des Münchner Landgerichts und am 10. Mai um das Inkrafttreten des Verkaufsstopps ergänzt. 

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