Die Presse- und Analystenkonferenz zur Halbjahresbilanz von SAP ist normalerweise eine eher zahlenlastige Veranstaltung, bei der sich alles rund um Umsatz, Gewinn und Marge dreht – also vor allem um die Finanzkennzahlen des Softwarekonzerns. Nicht so allerdings im vergangenen Jahr: Ende Juli 2023 zündete Konzernchef Christian Klein eine kleine Bombe, deren Wirkung sich erst Monate später so richtig entfaltete.
Größere Neuerungen in dem hauseigenen Flaggschiffprodukt S/4Hana, so Klein damals, würden künftig nur noch exklusiv in der Cloud angeboten. Anders ausgedrückt: Die zahlreichen Kunden, die ihre SAP-Software nicht über das Internet beziehen, sondern auf den eigenen Rechnern installiert haben – im Branchenjargon „On Premise“ genannt –, sollten bei Produktneuerungen künftig außen vor bleiben. Wenig verwunderlich, dass viele Kunden in den Monaten nach jener eher heimlichen Ankündigung gegen die Neuerung Sturm liefen, wie eine große WirtschaftsWoche-Recherche Ende 2023 zeigte.
Der Unmut vieler SAP-Kunden in Deutschland, Österreich und der Schweiz ist auch heute noch groß, wie eine aktuelle Umfrage der deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe (DSAG) belegt: In ihrem jährlich durchgeführten Investitionsreport hat die Anwendervereinigung erstmals auch um eine Einschätzung ihrer Mitglieder bezüglich der S/4Hana-Cloud-Strategie von SAP gebeten.
Diskussionsbedarf bei der Cloud-Strategie
Das Ergebnis ist ernüchternd für den Softwarekonzern aus dem nordbadischen Städtchen Walldorf: „Die befragten DSAG-Mitglieder sehen die Cloud-Strategie von SAP kritisch“, sagt DSAG-Chef Jens Hungershausen. Nur 13 Prozent der Befragten haben demnach eine positive Sicht auf den Cloud-Ansatz der Walldorfer – knapp die Hälfte der SAP-Anwender fällt hingegen ein negatives Urteil.
Die Kritik wundert den DSAG-Chef nicht: „Die Befragten möchten sichergestellt sehen, dass On-Premise-Kunden auch die strategischen Innovationen in vollem Umfang konsumieren können“, erläutert Hungershausen. Das bedeutet: Bestandskunden, die teils seit Jahren oder sogar Jahrzehnten in klassische SAP-Lizenzen investiert haben, verlangen, dass sie ebenfalls mit wichtigen Produktneuerungen versorgt werden.
Hiermit sind vor allem der konzerneigene KI-Chatbot Joule, gewissermaßen das SAP-Pendant zu ChatGPT, sowie die Nachhaltigkeitsfunktion Green Ledger zur Berechnung der CO2-Bilanz von Unternehmen gemeint, die SAP nur Cloud-Kunden zur Verfügung stellen will. Laut DSAG sehen viele deutsche SAP-Anwender also weiterhin Diskussionsbedarf bei der Cloud-Strategie von SAP.
Kann SAP das Blatt wenden?
Der Unmut der Kunden zeigt sich auch in der Investitionsbereitschaft der Anwender in die SAP-eigenen Cloud-Angebote „Rise with SAP“ – hier betreibt SAP die Software in einer privaten Cloud – und „Grow with SAP“, dem öffentlichen Public-Cloud-Angebot der Walldorfer: Laut DSAG-Report nutzen erst 16 Prozent der Befragten Anwender Rise – oder planen es zu nutzen. 61 Prozent hingegen planen keinen Schritt in diese Richtung.
Ähnlich ist die Situation bei Grow, das derzeit mit 55 Prozent mehr als jeder zweite Befragte nicht nutzen will. „Viele der befragten Unternehmen möchten mit ihren SAP-ERP-Systemen On Premise bleiben“, sagt DSAG-Chef Hungershausen. „Sie sahen zum Zeitpunkt der Umfrage keine Vorteile einer Migration in die Cloud – und das Vertrauen in SAP fehlt hier teilweise auch.“ Zudem nennen die Befragten ein ungünstiges Kosten-Nutzen-Verhältnis sowie die hohe Abhängigkeit von SAP als Gründe.
Immerhin räumt auch die Anwendervereinigung ein, dass SAP inzwischen auf seine Kunden zugegangen sei: Ende Januar hat der Konzern aus Walldorf sein Cloud-Umstiegsprogramm namens „Rise with SAP Migration and Modernization“ vorgestellt. Damit habe SAP auf DSAG-Forderungen reagiert, seine On-Premise-Bestandskunden nicht im Regen stehenzulassen. Das Programm sieht unter anderem vor, bereits geleistete Investitionen in Softwarelizenzen beim Umstieg in Cloud-Subskriptionen anzurechnen. „Es wird spannend sein zu beobachten“, so DSAG-Chef Hungershausen, „ob sich das Blatt für SAP durch dieses Programm wendet.“
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