Cannabis-Legalisierung Hohe Cannabis-Nachfrage führt zu „paradoxem Szenario“

Analysten schätzen die Zahl der deutschen Cannabiskonsumenten auf mindestens vier Millionen. Ein lukrativer Markt für Investoren aus dem Ausland. Quelle: imago images

Die Legalisierung von Cannabis erfreut nicht nur Konsumenten. Händler von Medizinalcannabis feiern Rekordzahlen. Unzählige Investoren und Unternehmer aus dem Ausland stürzen sich auf den deutschen Markt.

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Die Freude über die Entkriminalisierung von Cannabis ist groß. In der Nacht zum ersten April trafen sich am Brandenburger Tor Hunderte Menschen zum sogenannten Ankiffen. Seit diesem Monat darf hierzulande – unter einigen geringen Auflagen – legal Marihuana konsumiert werden. Auch der Besitz und der private Anbau von Cannabis ist mittlerweile erlaubt. Nur der Handel bleibt verboten, lediglich Cannabis Clubs dürfen künftig Blüten an ausgewiesene Mitglieder ausgeben.

Die deutsche Cannabispolitik ist im globalen Vergleich zu einer der liberalsten geworden. Das zieht Unternehmer aus aller Welt an. Während sich Cannabisproduzenten und Investoren auf die Legalisierung von Medizinalcannabis 2017 knapp ein Jahr lang vorbereiten konnten, wurde das jüngste Gesetz vergleichsweise kurzfristig beschlossen. Nach langen Diskussionen einigte sich das Bundeskabinett im August auf die Eckpunkte. Die wurden in den folgenden Monaten aber immer wieder leicht angepasst, viele Sachverhalte sind weiterhin unklar, sodass Stakeholder frustriert sind.

„Für Investoren der wahrscheinlich spannendste Zukunftsmarkt“

Das zeigte sich auch auf der Cannabis-Konferenz ICBC Mitte April in Berlin. Etwa 1500 Besucher, angereist aus vielen Ländern, tauschten sich über Anbau und Verkauf von Cannabis aus. Durch sämtliche Räume des Kongresszentrums schwebte ein leicht süßlicher Duft. Auf dem Podium saßen Dutzende Experten aus verschiedenen Bereichen, in den Ausstellungsräumen präsentierten vor allem Unternehmen aus den USA, Kanada und China ihre Produkte. Vor Ort waren Großhändler mit eigenen Farmen genauso wie Hersteller von Trocknungsgeräten, Terpen-Aromen, Rüttelmaschinen für Joints oder vertikale Beetkonstruktionen. Sie sind alle auf der Suche nach Partnern in Deutschland.

Niemand wisse, wann und ob ihre Dienstleistungen beziehungsweise Produkte überhaupt eingesetzt werden dürfen. Auch in den Panel-Diskussionen bekommen Gäste keine Antworten von den Experten. Bislang dürfen drei Unternehmen legal in Deutschland Cannabis für medizinische Zwecke anbauen. Die Cannabis Clubs müssen sich nach erfolgreicher Antragstellung selbst um die Kultivierung kümmern. Inwiefern Firmen aus dem Ausland bei den Anbauflächen unterstützen oder Investoren trotz des Werbeverbots mit Cannabis Clubs Geld verdienen können, steht aus. Die hohe Unsicherheit in der Branche trübt die Stimmung jedoch kaum – die Freude über die Gesetzgebung überwiegt. „Cannabis ist für Investoren der wahrscheinlich spannendste Zukunftsmarkt in Deutschland“, sagt etwa Andreas Rührig, Partner des Berliner Wagniskapitelgebers Shio Capital und Unterstützer des Berliner Social Clubs Blütezeit.

Auf der Cannabis-Messe in Berlin bereiten sich alle darauf vor, bald ein Stück vom Kuchen abhaben zu dürfen. Ob das in ein, zwei oder erst fünf Jahren passieren wird, sei egal, berichten Händler. Während die Gespräche auf der Konferenz im vorigen Jahr eher verhalten gewesen seien, zeigten sich die Besucher in diesem Jahr optimistisch. Schließlich würden sich ungewöhnlich viele vermögende Personen herumtreiben, die nach Investmentmöglichkeiten suchen, heißt es. Whitney Economics, ein Analysedienst mit Fokus auf die Cannabisindustrie, schätzt den deutschen Markt auf 7,8 Milliarden US-Dollar – nach Frankreich der zweitgrößte in Europa und in etwa so viel wie aktuell die US-Staaten Florida oder New York.

Der Datenanalyst schätzt die deutschen Konsumenten auf vier Millionen Personen ein, pro Jahr ergibt das einen Bedarf von 948.000 Kilogramm Cannabis – konservativ gerechnet. Potenziell könnten die Zahlen sogar doppelt so hoch sein. Steigt die soziale Akzeptanz von Marihuana und halten sich alle Konsumenten an die Gesetzgebung, prognostiziert Whitney Economics einen Marktwert von 15,6 Milliarden Dollar. Bis es so weit ist, wird es aber noch dauern.

200 Cannabis Clubs in Deutschland – oder doch 2000?

Im ersten Jahr nach der Legalisierung werden laut des Reports höchstens 50.000 Kilo benötigt. Die Analysefirma rechnet mit 200 Cannabis Clubs in Deutschland. „Ich gehe von 2000 bis 3000 Vereinen im ersten Jahr aus“, sagt hingegen Unternehmer und Cannabis-Club-Chef Stefan Röhrl. Experten glauben, dass sich zunächst viele Aktivisten und Freundesgruppen zu einem Social Club zusammentun, aufgrund der Komplexität aber schnell wieder aufgeben werden – und dann womöglich zu sogenannten Homegrowern werden, also Personen, die zuhause Marihuana anpflanzen.

Auf Cannabismessen werden Produkte für Großhändler und sogenannte Homegrower präsentiert. Hier etwa ein Kubus für den Anbau zuhause. Quelle: imago images

Auf der Cannabis-Konferenz ICBC hat man versucht, auch diese Zielgruppe stärker anzusprechen. Mit Kräutermühlen zur Zerkleinerung von Blüten, Aromastoffen, nachhaltigen Verpackungsmaterialien. Ein chinesischer Hersteller von Anbaugeräten für die Wohnung hat in den vergangenen fünf Jahren eigenen Angaben zufolge bereits eine Million Euro mit deutschen Kunden erwirtschaftet – lange vor der Legalisierung. Der Markt boomt.

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In Kanada sieht es indes anders aus. Dort gibt es zu viele Cannabisproduzenten und zu wenig Abnehmer – sowohl in der medizinischen Anwendung als auch im Freizeitgebrauch. Die Preise sind seit über einem Jahr im Sinkflug. Umgerechnet drei Euro kostet einem Branchenindex zufolge derzeit ein Gramm Cannabis in Kanada. In Deutschland ist bislang nur medizinisches Cannabis frei verkäuflich, dort bewegen sich die Preise bei sieben bis neun Euro. Die kanadischen Großhändler hoffen daher, Abnehmer in Deutschland zu finden. Die Nachfrage würde auch die Preise in Kanada wieder anheben, erwartet ein Produzent auf der ICBC.

Hohe Nachfrage, geringer Umsatz

Eines der drei Unternehmen, die seit 2017 legal Cannabis für medizinische Zwecke in der Bundesrepublik anbauen dürfen, ist das Start-up Demecan. Das neue Gesetz betrifft nicht nur den Freizeitgebrauch, sondern vereinfacht auch die Beschaffung von Medizinalcannabis. Da es nicht mehr als Betäubungsmittel eingestuft ist, können Ärzte nun ein reguläres Rezept für getrocknete Blüten oder Extrakte ausstellen. Vorher benötigten Praxen ein Sonderrezept, das beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) beantragt werden musste. Auch die Zusatzgebühr für dieses Betäubungsmittelrezept fällt weg. Da Cannabis bislang noch nicht über die Clubs verfügbar ist, gibt es derzeit nur den Weg über den Schwarzmarkt oder in Form von Medikamenten.

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Demecan beliefert deutschlandweit Apotheken und sieht bereits jetzt einen deutlichen Sprung bei der Nachfrage. „Die Apotheken sehen einen signifikanten Anstieg des Bestellvolumens, mit einer Spanne von einem Faktor von 0,5 bis zu 4. Trotz dieses Wachstums ist zu beachten, dass der durchschnittliche Warenkorbwert bei vielen Kunden gesunken ist“ , so Philipp Goebel, Gründer und Geschäftsführer von Demecan. „Dies führt zu einem paradoxen Szenario, in dem das Bestellvolumen zwar hoch ist, jedoch der Umsatz und die Marge gering ausfallen“ Den Grund kenne Goebel aber nicht. Der Großteil der Rezepte würde von zwei Telemedizinplattformen ausgestellt. Dieses Phänomen wolle Demecan nun weiter beobachten und entsprechend reagieren.

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