Gesetzentwurf Union fordert Paus Rücktritt: Streit um Kindergrundsicherung

Das Kabinett hatte am 27. September 2023 einen Gesetzentwurf zur Kindergrundsicherung beschlossen. Die Einführung ist – Stand jetzt – für das Jahr 2025 vorgesehen. Quelle: dpa

Das Ziel der Kindergrundsicherung ist klar: Kinderarmut bekämpfen. Doch die Umsetzung provoziert ordentlich Streit – vor allem zwischen den Grünen und der FDP.

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Nachdem sich die Ampel vergangene Woche auf einen Kompromiss zur Bezahlkarte für Asylbewerber geeinigt hat, entwickelt sich jetzt die geplante Kindergrundsicherung zum zentralen Dauerstreit-Thema der Koalition. Wieder sind es vor allem Grüne und FDP, die sich ineinander verhakt haben. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) bemühte sich zwar am Wochenende um Deeskalation. Doch die Empörung der Freien Demokraten über die von Paus für das Vorhaben geforderten zusätzlichen 5000 Behördenstellen hielt an.

Paus rudert bei Stellenforderung etwas zurück

Die Ministerin geht davon aus, dass die kritisierte Zahl zumindest nicht auf Dauer benötigt wird. „Ich bin mir sicher, dass unter anderem durch Synergieeffekte und konsequente Digitalisierung die Gesamtzahl der Stellen noch reduziert werden kann“, sagte Paus am Samstag der Deutschen Presse-Agentur. „Ich kann verstehen, dass die Zahl, die im Umlauf ist, Diskussionen verursacht. Es handelt sich dabei um Prognosen der Bundesagentur für Arbeit. Natürlich schauen wir uns sehr genau an, wo es Möglichkeiten zur Reduzierung des Verwaltungsaufwandes gibt.“

Die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Gyde Jensen äußerte dennoch Bedenken und forderte eine gründliche Überarbeitung der Pläne der Familienministerin. Sie sagte der dpa: „Es braucht keine neue Behörde, die ein System nur weiter bürokratisch aufbläht, das insgesamt nicht zielführend wirkt.“ Auf die Äußerung von Paus reagierte Jensen mit den Worten: „Wir verhandeln deshalb auch nicht in der Öffentlichkeit über die Anzahl der Bürokratiestellen.“ Und weiter: „Der Arbeitsauftrag für die Familienministerin ist klar. Bis jetzt ist sie ihm nicht nachgekommen.“

Die FDP hatte zuletzt vor allem kritisiert, dass für die Umsetzung der Kindergrundsicherung bei den örtlichen Familienbehörden 5000 zusätzliche Stellen geschaffen werden sollen – und Paus' Gesetzentwurf als nicht zustimmungsfähig bezeichnet.

Kindergrundsicherung soll verschiedene Leistungen bündeln

Mit der Kindergrundsicherung sollen bisherige Leistungen wie das Kindergeld, Leistungen aus dem Bürgergeld für Kinder oder der Kinderzuschlag in einer einzigen Leistung gebündelt werden. Sie gilt als das sozialpolitische Prestigeprojekt der Grünen. Laut dem dazu bislang vorliegenden Entwurf umfasst die Kindergrundsicherung drei Bestandteile: einen einkommensunabhängigen Garantiebetrag, der das bisherige Kindergeld ablöst, einen einkommensabhängigen und nach Altersklassen gestaffelten Zusatzbetrag, der den Kinderzuschlag ablöst sowie ein pauschales Schulbedarfspaket und weitere Beträge für Bildung und Teilhabe.

Das Kabinett hatte am 27. September 2023 einen Gesetzentwurf zur Kindergrundsicherung beschlossen. Die Einführung ist – Stand jetzt – für das Jahr 2025 vorgesehen. Wann der Bundestag abschließend über das Vorhaben beraten wird, ist jedoch bislang nicht absehbar.

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Auch SPD ist unzufrieden mit Gesetzentwurf

„Die Kindergrundsicherung ist ein komplexes sozialpolitisches Vorhaben mit vielen Schnittstellen zu anderen Sozialleistungen“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, Sönke Rix, der dpa. Diese Komplexität habe die Bundesregierung unterschätzt. „Der Gesetzentwurf lässt viele Fragen offen“, kritisierte er. Die Fraktionen seien aber in guten Gesprächen dazu. Er sei überzeugt, dass sich die Probleme mit dem Willen aller Beteiligten lösen ließen.

„Kinderarmut in Deutschland entgegnet man nicht mit mehr geldlichen Pauschalleistungen, sondern mit Teilhabechancen“, sagte Jensen. „Deshalb brauchen wir dringend das Kinderchancenportal, das Teilhabe für Kinder und Jugendliche einfach, übersichtlich und digital organisiert.“ Doch anstatt über diese konkreten Punkte zu beraten, zwinge die Bundesfamilienministerin „der Öffentlichkeit immer wieder die Debatte über einen Gesetzentwurf auf, der in keinster Weise Kinderarmut bekämpft“.



Jensen fuhr fort: „Wenn die Bundesfamilienministerin sich einer sinnvollen Aufgabe widmen möchte, dann schlage ich vor, dass sie dringend über ein Investitionsprogramm für die frühkindliche Bildung und die Weiterentwicklung von Qualität in den Kitas in ganz Deutschland verhandelt – mit ihren 16 Länderkollegen.“ Ein Betreuungsangebot wirke „wie ein Arbeitsanreiz-Motor und den brauchen wir, damit Familien selbstständig ihren Kindern die Chancen ermöglichen können, die sie auf ihrem Weg benötigen.“ Paus hatte erneut darauf hingewiesen, dass man mit dem Vorhaben „die bürokratischen Hürden für Familien in unserem Land deutlich verringern“ wolle – damit sie einfacher die Unterstützung bekommen, auf die sie Anspruch haben.

Kritik kommt allerdings nicht nur vom Koalitionspartner FDP. „Es schmerzt mich zu lesen, dass für die Kindergrundsicherung 5000 neue Stellen nötig sein sollen“, sagte Diakonie-Präsident Rüdiger Schuch der „Welt“. Angesichts knapper Kassen müsse deren Verwaltung schlank sein, damit die vorgesehenen 2,4 Milliarden Euro „und gern auch mehr“ bei den Kindern ankämen, anstatt neue Bürokratie zu finanzieren, forderte der Präsident des evangelischen Wohlfahrtsverbandes.

Rix: Ganz ohne zusätzliche Stellen geht es nicht

SPD-Fraktionsvize Rix sagte, dass bei den Behörden zusätzlicher, auch personeller Aufwand entstehe, wenn die Leistungen einfacher bei den Familien ankommen sollten. Dieser Aufwand könne aber durch Digitalisierung sowie die Nutzung und Verzahnung bestehender Strukturen sicher minimiert werden. Wie, das werde man nun im parlamentarischen Verfahren besprechen.

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Unionspolitiker Frei: Paus sollte über Rücktritt nachdenken

Die Grünen-Fraktion hatte in den vergangenen Tagen zwar die Bedeutung des im Koalitionsvertrag vereinbarten Reformprojekts betont, allerdings meist ohne konkret auf die Kritik an den Vorschlägen von Paus einzugehen. Die Union legte der Familienministerin am Sonntag den Rücktritt nahe. „Anstatt für noch mehr Bürokratie zu sorgen, sollte Frau Paus sich eher überlegen, ob sie noch die Richtige für diese Aufgabe ist“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei (CDU), der dpa. Der Dauerstreit der Ampel sei unerträglich und helfe den bedürftigen Kindern nicht. Ohnehin sei zu erwarten, dass sich Armutsstrukturen durch die Kindergrundsicherung eher verfestigen würden, anstatt dafür zu sorgen, dass Familien Musikinstrumente, Schwimmkurse, Sportausrüstung und Ähnliches für ihre Kinder beschaffen könnten.

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