Jobverweigerer FDP fordert Verschärfungen beim Bürgergeld – SPD zeigt sich empört

Christian Lindner (FDP), Bundesminister der Finanzen. Quelle: Bernd von Jutrczenka/dpa

Wer eine „zumutbare Arbeit“ grundlos ablehnt, soll nach dem Willen der FDP härter bestraft werden. Das lehnt die SPD ab: Man lasse nicht zu, dass das Land „mit dem Fingerspitzengefühl von Investmentbankern geführt wird“.

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Wieder gibt es Streit beim Thema Bürgergeld: Die FDP streute am Wochenende Forderungen nach weiteren Verschärfungen für Jobverweigerer – und erntete prompt entschiedenen Widerspruch des Koalitionspartners SPD. „Wir werden nichts machen, was Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schwächt und den sozialen Gedanken des Grundgesetzes aushebelt“, sagte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur. Die Vorschläge der FDP seien „ein Überbleibsel aus der Mottenkiste und nicht auf der Höhe der Zeit“, erklärte er weiter. Generalsekretär Kevin Kühnert griff den Koalitionspartner im „Tagesspiegel“ frontal an: „Die SPD lässt nicht zu, dass unser Land mit dem Fingerspitzengefühl von Investmentbankern geführt wird. Grundlage der Ampel-Koalition ist und bleibt der Koalitionsvertrag.“

Die SPD-Politiker reagierten damit auf ein FDP-Beschlusspapier, das der dpa vorliegt und über das die „Bild am Sonntag“ zunächst berichtet hatte. Darin stellen die Liberalen zwölf Punkte „zur Beschleunigung der Wirtschaftswende“ vor. Demnach sollen Bürgergeldempfänger künftig sofort auf 30 Prozent ihrer Leistungen verzichten müssen, wenn sie einen Job verweigern. Bislang gilt für Leistungskürzungen ein Stufenmodell. Wie aus Daten der Bundesagentur für Arbeit (BA) hervorgeht, war 2023 nur ein Bruchteil der Leistungsbezieher von Sanktionen dieser Art betroffen. Das FDP-Papier soll am Montag im Partei-Präsidium beschlossen und auf dem Parteitag am Wochenende eingebracht werden.

Der FDP-Vizechef Johannes Vogel mahnte am Sonntag mit Blick auf die Äußerungen Mützenichs, dass die „derzeitige Schwäche des Wirtschaftsstandortes“ Deutschland auch den starken Sozialstaat hierzulande gefährde. „Alle Koalitionspartner müssen ein gemeinsames Interesse haben, die Wirtschaftswende hinzubekommen“, sagte Vogel der dpa. Dazu gehöre es, Bürgerinnen und Bürger steuerlich zu entlasten, aber auch „Leistungsgerechtigkeit“ beim Bezug von Grundsicherung herzustellen.

Schneller schlau: Bürgergeld

In dem FDP-Papier heißt es: „Wer seinen Mitwirkungspflichten im Bürgergeld nicht nachkommt und beispielsweise zumutbare Arbeit ohne gewichtigen Grund ablehnt, sollte mit einer sofortigen Leistungskürzung von 30 Prozent rechnen müssen.“ Die bisherige Regelung sieht vor, dass das Jobcenter Bürgergeldbeziehern bei der ersten Pflichtverletzung maximal 10 Prozent der Leistungen für einen Monat streichen kann. Danach greift zunächst eine 20-Prozent-Kürzung, ehe die Möglichkeit besteht, die Leistung zeitweise um bis zu 30 Prozent zu reduzieren. Das geht der FDP nicht weit genug.

Anders als die SPD wollten die Grünen die Vorschläge der Liberalen am Sonntag auf Anfrage zunächst nicht kommentieren. Aus der Partei Die Linke kam scharfe Kritik. Der Vorsitzende Martin Schirdewan nannte das FDP-Papier „ein Dokument der sozialen Grausamkeit“. Es brauche jetzt „keine neoliberale Rolle rückwärts, sondern endlich eine Zeitenwende für soziale Gerechtigkeit“, sagte Schirdewan der dpa.

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Das Bürgergeld war zum 1. Januar 2023 in Kraft getreten – und löste das umstrittene Hartz-IV-System ab. Ein Kern der Reform sind schwächere Sanktionsmöglichkeiten. Die Bundesregierung wollte mit dem neuen System auf mehr Kooperation mit Betroffenen setzen und weniger auf Druck durch Bestrafung. Ein Punkt, den nicht nur die FDP, sondern vor allem die Union scharf kritisiert.

Erst kürzlich beschloss die Bundesregierung – auch unter dem Eindruck der Dauerkritik – neue Verschärfungen. Seit März können die Jobcenter Arbeitslosen das Bürgergeld für maximal zwei Monate komplett streichen, wenn diese sich als „Totalverweigerer“ herausstellen. Laut Arbeitsagentur ist dies aber nur bei „wiederholtem“ Verweigern einer zumutbaren Arbeit möglich.



Von Februar bis Dezember 2023 zählte die Bundesagentur für Arbeit (BA) 15.774 Fälle von Leistungskürzungen infolge von Arbeitsverweigerung – bei insgesamt rund 5,5 Millionen Bürgergeld-Empfängern. Demnach lag die Gesamtzahl der Fälle, in denen das Jobcenter Leistungskürzungen verhängte, im vergangenen Jahr bei etwas mehr als 226.000. Laut BA betrafen die Kürzungen 2,6 Prozent der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten. 97 von 100 Menschen kämen „mit Leistungsminderungen nicht in Berührung“, hieß es dazu.

In den Jahren vor der Pandemie waren die Zahlen deutlich höher. So verhängte die BA 2019 noch knapp 807.000 Leistungskürzungen – also fast viermal so viele wie 2023. Einer der Gründe für diesen Rückgang sind laut BA die schwächeren Sanktionsmöglichkeiten im Bürgergeld-System.

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Ob die jüngsten Verschärfungen tatsächlich eine substanzielle Erhöhung der Zahlen zur Folge haben werden, bleibt abzuwarten. Das Bundesarbeitsministerium von Hubertus Heil (SPD) geht nach eigenen Angaben davon aus, „dass die neue Regelung zu Minderausgaben führt und vor allem eine große präventive Wirkung entfaltet“, wie es auf dpa-Anfrage heißt. Arbeitsmarktexperten sehen die Verschärfung dagegen kritisch. So wies beispielsweise Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt – und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg kürzlich darauf hin, dass ein komplettes Streichen problematisch sei. „Es geht nicht ohne Sanktionen, aber der Staat braucht das richtige Maß. Wenn Sie richtig hart zulangen, wenden sich Menschen womöglich vom System ab und verschwinden aus der Arbeitsvermittlung. Damit ist nichts gewonnen“, sagte er im Gespräch mit der WirtschaftsWoche.

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