WirtschaftsWoche: Herr Professor Kooths, Nach monatelangen Verhandlungen gibt’s jetzt eine Einigung: Deutschland subventioniert die Intel-Ansiedlung in Magdeburg mit 9,9 Milliarden Euro, also mit der Hälfte der geplanten Investitionssumme von rund 20 Milliarden Euro. Ist das gut eingesetztes Steuergeld?
Stefan Kooths: Ich habe sehr große Zweifel, dass die Milliarden für Intel eine gute Investition für Deutschland sind, denn die Wettbewerbsfähigkeit eines Standorts kann man nicht herbeisubventionieren. Wer als Wirtschaftsraum attraktiv sein will, muss verschiedene Faktoren erfüllen, bei denen Deutschland jedoch erhebliche Schwächen hat.
Beispielsweise?
Die marode Infrastruktur, die mangelnde Digitalisierung und das Bildungsdesaster sind nur drei dieser eklatanten Defizite. Der Staat muss diese Grundpfeiler eines Standorts so bereitstellen, dass sie wettbewerbsfähig sind. Daraus bilden sich dann Wirtschaftsstrukturen entsprechend der Marktmechanismen von Angebot und Nachfrage heraus. Die Ampel-Regierung kehrt diese Logik nun aber um mit ihrer Industriepolitik.
Das heißt: Planwirtschaft statt Marktwirtschaft?
Es gibt im Wirtschaftsministerium und im Kanzleramt offensichtlich eine Vorstellung davon, was hierzulande produziert werden soll und subventioniert dann die Ansiedlung entsprechend, in Fall von Intel sind es Chips, die nun mit einer nie dagewesenen Summe für ein ausländisches Unternehmen gefördert werden: 9,9 Milliarden Euro. Das ist hart erarbeitetes Steuergeld, das von allen Akteuren nun mitbezahlt werden muss, egal, ob sie eine solche Industriepolitik nun wollen oder nicht.
Zur Person
Stefan Kooths ist Konjunkturchef des Instituts für Weltwirtschaft Kiel und Direktor des Forschungszentrums Konjunktur und Wachstum. Nach dem Volkswirtschaftsstudium und anschließender Promotion an der Universität Münster war er dort zunächst mehrere Jahre in Forschung und Lehre tätig, zuletzt als Geschäftsführer des Muenster Institute for Computational Economics. 2005 wechselte er in die angewandte Wirtschaftsforschung und wurde Forschungsleiter in der Konjunkturabteilung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Seit 2010 arbeitet er für das IfW Kiel, zunächst als Repräsentant in Berlin und als Verantwortlicher für die Analyse der deutschen Konjunktur. 2014 übernahm er die Leitung des Prognosezentrums, das 2020 im Forschungszentrum Konjunktur und Wachstum aufging.
Die Bundesregierung rechtfertigt die Subvention damit, die Chipversorgung für die Industrie langfristig sichern zu wollen – gerade in geopolitisch unsicheren Zeiten. Überzeugt Sie das Argument nicht?
Überhaupt nicht, denn die Chips werden ja dahin verkauft, wo die höchsten Preise dafür erzielt werden können – und nicht dahin, wo die höchsten Subventionen geflossen sind. Alles andere wäre auch fatal, denn wenn wir Industrieansiedlungen in Deutschland nur noch unter dem Vorbehalt von möglichen Exportbeschränkungen der hier produzierten Güter zulassen, würde der Standort ja noch mehr geschwächt, weil dann erst recht kein Unternehmen mehr hierherkommen würde. Sicher gibt es Ausnahmen im militärischen Bereich und der Rüstungsexportkontrolle, aber grundsätzlich will jedes Unternehmen auf dem Markt die besten Preise erzielen und sich Exporte nicht erst genehmigen lassen müssen.
Die Regierung und auch das Land Sachsen-Anhalt rechtfertigen die Milliarden-Subventionen auch mit den Arbeitsplätzen, die jetzt in Magdeburg entstehen sollen. Wird auch dabei durch eine rosarote Brille geblickt?
Ich sehe hier schwarz – und nicht rosarot. 9,9 Milliarden Euro Subventionen werden gezahlt für überschaubare 3000 Arbeitsplätze, die entstehen sollen. Das sind 3,3 Millionen Euro pro Arbeitsplatz. Das ist nicht nur teuer bezahlt, sondern auch nicht nachvollziehbar. Denn das Argument, Arbeitsplätze sichern zu wollen, verfängt in zunehmender Knappheit von Arbeits- und Fachkräften ja immer weniger. Es führt auch zu einer weiteren, fatalen Marktverzerrung.
Und zwar?
Kleine und mittelständische Unternehmen werden jetzt einem Wettbewerber ausgesetzt, der ihnen die begehrten Fachkräfte auch aufgrund der der hohen Subventionen abjagen kann. Die Leute wären ja auch ohne Intel nicht arbeitslos gewesen. Es handelt sich hier also nicht um neue Arbeitsplätze, die geschaffen werden, sondern um einen reinen Verschiebebahnhof. Für den Standort steht so kein positiver Saldo.
Dann haben Robert Habeck und Olaf Scholz eine Milchmädchen-Rechnung gemacht?
Die Intel-Ansiedlung ist zu einem Prestigeprojekt geworden, offenbar wollte man sie im Wirtschaftsministerium und Kanzleramt um jeden Preis, um mit einer schillernden Erfolgsmeldung beweisen zu können, wie attraktiv der Standort noch ist. Das schwächt natürlich die Verhandlungsposition, wenn das Unternehmen weiß, wie sehr es erwünscht ist. Intel selbst kann man dabei keinen Vorwurf machen, die spielen natürlich die verschiedenen Standorte gegeneinander aus so gut sie können – das freut dann am Ende die Intel-Aktionäre, nicht aber die deutschen Steuerzahler.
Andere Konzerne dürften den Intel-Poker in den vergangenen Monaten sehr interessiert verfolgt haben. Wird das jetzt ein Showcase: Von Intel lernen, heißt Subventionen abgreifen lernen?
Das wäre ein sehr schlechtes Signal. Wir sollten von diesem Subventionswettlauf, den wir jetzt uns jetzt bei Intel geleistet haben, möglichst schnell wieder verabschieden und klar machen, dass das ein einmaliger Ausrutscher war. Denn wenn das jetzt die neue Norm der Wirtschaftspolitik in Deutschland wird, kommt uns das sehr teuer zu stehen – und es würde gerade auch den Mittelständlern schaden, die die Subventionsmaschine nicht so bedienen können wie große Konzerne. Hinzu kommt die ganze Bürokratie, beim Staat wie auch den Unternehmen entstehen hohe Kosten durch Antrags- und Genehmigungsverfahren, die nicht zu einer höheren Produktivität führen. Das alles ist mit den Regeln einer wettbewerblichen Marktwirtschaft nicht vereinbar.
Der deutsche Chiphersteller Infineon dürfte sich ärgern, dass er nicht höhere Subventionen für seinen neuen Standort in Dresden herausgeholt hat. Gehen Sie davon aus, dass der taiwanesische Hersteller TSMC in seinen laufenden Verhandlungen für einen möglichen Standort in Dresden die Forderungen jetzt noch erhöht?
Das ist Spekulation, aber herunterschrauben werden sie ihre Forderungen nach der Intel-Zusage sicher nicht. Umso dringende müssen wir den Subventionsgeist wieder in die Flasche bringen, weil das sonst ausufert.
Wie es anders geht, zeigt gerade Israel: Dort will Intel offenbar sogar für 25 Milliarden eine neue Chipfabrik hochziehen, die israelische Regierung subventioniert die Ansiedlung aber wohl nur mit 3,2 Milliarden Euro. Hat sich Israel weniger erpressen lassen?
Ich kenne die Verhandlungen nicht, aber das Beispiel zeigt eins: Die Chipproduktion wird derzeit in vielen Ländern subventioniert, etwa auch in den USA. Aber es geht hier um eine zyklische Industrie, weshalb die Gefahr groß ist, dass Überkapazitäten gezüchtet werden, die einen Preisverfall zur Folge haben und dann wird es Rufe nach neuen Subventionen geben, weil die Geschäftsmodelle nicht wie geplant aufgehen.
Und was ist die Lösung?
Um die Versorgung mit Chips zu gewährleisten, sollte auf die Marktkräfte vertraut werden. Denn Unternehmen, die in geopolitisch weniger exponierten Standorten produzieren oder divers aufgestellt sind, können eine höhere Liefersicherheit garantieren und deshalb auch höhere Preise als solche Unternehmen erzielen, die hart am Wind segeln. Es gibt deshalb keinen Widerspruch zwischen einer unternehmerischen Rationalität und der gesamtwirtschaftlichen Rationalität, beiden Seiten ist an einer stabilen Lieferkette gelegen.
Was heißt das für Deutschland?
Statt die Chipversorgung für andere Ländern mit Steuergeldern in Milliardenhöhe zu sichern, wäre es eigentlich klüger, die Subventionen, die anderswo gezahlt werden, auszubeuten.
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